Anja Gada
Roxane Steiger

Kommentar

Sicherheitspolitik: Keine Antworten auf fehlende Fragen
28.06.2023 | Die Kriegsfinanzierung des russischen Aggressors aus der Schweiz läuft weiterhin. Wie es dazu kommen konnte, ist eine Frage, die sich die bürgerlichen Kräfte hierzulande nicht stellen wollen. Deshalb versuchen sie die Aufmerksamkeit bezüglich der Unterstützung der Ukraine auf Nebenschauplätze zu lenken.
Am 1. Mai 2022 wurde ein Meilenstein für eine verantwortungsvollere Schweizer Sicherheitspolitik erreicht. Mit dem Inkrafttreten des Gegenvorschlags zur Korrekturinitiative sollten keine Schweizer Waffen mehr an Länder geliefert werden dürfen, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen. Die Bewilligungskriterien für Waffenexporte werden seither nicht mehr auf dem Weg der Verordnung, sondern auf der Ebene des Kriegsmaterialgesetzes geregelt. Dies stellt einen wichtigen Schritt für die Demokratisierung und Transparenz der Bewilligungen von Waffenexporten dar. Nur ein Jahr nach Inkrafttreten enerviert sich die bürgerliche Seite über ebendiese Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes. Es würde dem Bundesrat die Hände binden und untergrabe die Schweizer Unterstützung der Ukraine. So rütteln die Bürgerlichen seit Beginn des Ukrainekriegs an bis vor kurzem breit abgestützten Errungenschaften. Dies tun sie nicht zugunsten der Menschen in der Ukraine, sondern für den Profit der Rüstungslobby.

Whataboutism von Rechts

Die Diskussion um die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes steht sinnbildlich für die Schweizer Sicherheitspolitik seit dem 24. Februar 2022. Während eine massive Erhöhung des Armeebudgets bis 2030 beschlossen wurde, verstrickt sich das Parlament seit Monaten in einer aufwendigen Debatte darüber, wie Schweizer Rüstungs­güter indirekt in die Ukraine gelangen können. Forderungen nach mehr Transparenz und Regulierungen auf dem Rohstoffhandelsplatz sowie der wirkungsvollen Umsetzung von Sanktionen werden weggewischt. Dabei erweist sich die diskursive Strategie der Bürgerlichen als Goldgrube: Solange über 12’000 Schuss Munition und einige eingemottete Panzer diskutiert wird, müssen für alle anderen Missstände keine Antworten gefunden werden. Dass militärische Unterstützung aus der Schweiz wenig Einfluss auf den Kriegsverlauf hätte, sich im Graubereich der sonst so hochgehaltenen Neutralität befindet oder gewisse Lockerungsvorschläge Waffenexporte in Länder erlauben würden, welche die Menschenrechte mit Füssen treten, scheint nebensächlich. Nicht überraschend ist, dass genau jene, die sich heute an vorderster Front für eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes einsetzen, seit jeher jegliche Forderung nach effektiven Massnahmen auf dem Rohstoffhandelsplatz oder eine Taskforce zur Aufspürung von Oligarchengeldern ablehnen.

Aufrüstung Putins aus der Schweiz

Ja, der Krieg in der Ukraine stellt die Linke mit ihren antimilitaristischen und pazifistischen Haltungen vor schwierige Fragen. Das Ringen im Parlament um einen mehrheitsfähigen Vorstoss zur Ermöglichung von indirekten Waffenexporten in die Ukraine zeigt dies in aller Deutlichkeit. Während die linken Positionen diesbezüglich öffentlich ausgeschlachtet werden, muss sich die bürgerliche Seite den sich ihr aufdrängenden Fragen kaum stellen. Dabei haben sie massgeblich zur Aufrüstung Putins aus der Schweiz beigetragen. So beantragte die damalige Ständerätin Karin Keller-Sutter (FDP) nach der Annexion der Krim in einer Interpellation, Dual-Use-Exporte, also Güter, die sowohl zivil wie auch militärisch verwendet werden können, nach Russland wieder zu ermöglichen. Dieser Forderung wurde von Bundesrat und Parlament Folge geleistet. Werkzeugmaschinen, Triebwerksteile für Militärflugzeuge oder Chips, die Liste von Schweizer Gütern, welche in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, Putins Armee trotz völkerrechtswidriger Annexion der Krim aufzurüsten, ist lang.
Über Jahre hinweg wurden zudem in Genf, Luzern, Zug und Lugano die idealen Niederlassungsbedingungen für globale Rohstoffriesen wie Glencore, Gunvor, Vitol und Co. geschaffen. Diese verdienen ihr Geld hauptsächlich mit dem Handel von Erdöl und Gas. Einer ihrer wichtigsten Exporteure ist Russland. Die daraus resultierenden Einnahmen fliessen aufgrund der russischen Verstaatlichung von fossilen Unternehmen direkt in die Putins Kriegskasse und stellen mehr als einen Drittel der Staatseinnahmen dar. chon vor dem Krieg gegen die Ukraine und der Annexion der Krim wurden Organisationen wie Amnesty International vom Kreml als “terroristische Vereinigung” klassifiziert, unabhängige Medien zensiert und Oppositionelle verhaftet. Doch die Milliarden flossen weiter über den Schweizer Rohstoffhandelsplatz nach Russland.

Bürgerliche Verantwortungslosigkeit

Man hätte sich erhofft, dass in bürgerlichen Kreisen mit dem Einmarsch Putins in die Ukraine zumindest ein Hinterfragen der eigenen Politik stattgefunden hätte. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Seit dem 24. Februar 2022 kümmert man sich weder um eine verantwortungsvolle Aussenpolitik, noch um eine wirkungsvolle Sicherheitspolitik, sondern vor allem um sich selbst: Es folgte der Beschluss einer Verdoppelung des Armeebudgets bis 2030 sowie der Entscheid, den F-35 Kampfjet, das grösste Rüstungsgeschäft der Schweizer Geschichte, zu beschaffen, ohne die bereits eingereichte Volksinitiative abzuwarten.
Doch viel gravierender ist die Untätigkeit im Bereich des Rohstoffhandels. Wie Recherchen der NGO Public Eye und der Zeitung Republik kürzlich zeigten, wird in Genf und Zug noch immer russisches Öl gehandelt. Mit Ship-To-Ship Transfers und dubiosen Tochterfirmen mit Sitz in Dubai oder dem Oman wird russisches Öl verschleiert, an Staaten wie Indien oder China geliefert, dort raffiniert und schliesslich wieder von europäischen Staaten importiert. Neben den ökologischen Gefahren, die solche STS-Transfers im Falle eines Öllecks bergen, bedeuten diese Geschäfte nur eines: Die Kriegsfinanzierung des russischen Aggressors aus der Schweiz läuft weiterhin. Wie es dazu kommen konnte, gehört zu den Fragen, die sich Thierry Burkart, Gerhard Pfister oder Karin Keller-Sutter nicht stellen wollen. Deshalb reden sie lieber über 12‘500 Schuss Panzermunition, die vermutlich frühestens in eineinhalb Jahren zur Verfügung stünden und im Gefecht innert 15 Minuten aufgebraucht wären.

Humanitäre Offensive starten

Die parlamentarische Linke muss angesichts dieser Entwicklungen mehr denn je auf die historische Verantwortung der Schweiz in der aktuellen Krise sowie auf ihre zentralen Hebel pochen. Auch wenn der Diskurs um die Waffenfrage und Solidarität mit der Ukraine alles andere als einfach ist, darf sich die Linke nicht in Debatten um die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes verheddern. Die wichtigen Fortschritte, die mit dem Gegenvorschlag der Korrekturinitiative erreicht wurden, müssen erhalten bleiben. Waffenexporte nach Saudi Arabien und Katar wieder zu legalisieren, um jetzt 12’500 Schuss Munition in die Ukraine zu liefern, ist aus einer antimilitaristischen Perspektive fahrlässig. Es verkennt nämlich viel gewichtigere Massnahmen, um eine wirkungsvolle Kriegsprävention und Friedenspolitik in der Schweiz voranzutreiben. Anstatt Autokraten wie Putin aufzurüsten, sollten wir uns tatkräftig für die konsequente Aufspürung der Oligarchengelder, der Umsetzung von Sanktionen im Bereich der Dual-Use-Exporte und mehr Transparenz auf dem Rohstoffhandelsplatz einsetzen. Grundsätzlich sind Geschäfte, die über die Schweiz autoritäre Regimes finanzieren, zu unterbinden und nicht vereinbar mit einer proaktiven Friedensförderung.
In dieser Hinsicht wäre es auch wünschenswert, die Ressourcen, welche die Armee derzeit für deren Aufrüstungsauswüchse erhält, in einen humanitären Friedenskorps zu investieren. Die sich häufenden Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen erfordern zivile Unterstützung, Geld und vor allem gut ausgebildete Helfer:innen, die in Krisengebieten tätig sind. Mit dem nötigen Know-How könnte die Schweiz hier eine zentrale und offensive Rolle einnehmen und sich so sehr konkret für die Sicherheit der betroffenen Menschen einsetzen. Löschflugzeuge statt Tarnkappenbomber; das müsste das Credo der Schweizer Friedenspolitik sein. Anstatt in der Aufrüstungssackgasse zu landen, müsste der Sicherheitsbegriff breiter gedacht und eine neue Richtung eingeschlagen werden. Dazu gehört neben dem Ausbau einer zivilen Friedenspolitik ein Ende des Füttern von Kriegskassen aus der Schweiz, ernsthafte Abrüstungsbestrebungen, die Bekämpfung des Klimawandels und das Entgegenwirken sozialer Ungleichheiten.
Autor:innen | Anja Gada ist politische Sekretärin der GSoA und Aktivistin im Klimastreik. Roxane Steiger ist politische Sekretärin der GSoA.
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