Jonas Kampus

Kommentar

Schluss mit der Blockadepolitik, konsequente Klimapolitik jetzt!
24.07.2023 | Als Klimabewegung wissen wir, dass eine andere Welt möglich ist. Die 2020er sind das absolut entscheidende Jahrzehnt für all die Ideen, Träume und Utopien, für die sich Generationen von Arbeiter:innen, Revolutionär:innen, Freiheitskämpfer:innen, Lernende und alle anderen antikapitalistischen Kräfte eingesetzt haben. In einer 3 °C wärmeren Welt wird es keine funktionierende Gesellschaft mehr geben, alles wofür wir jemals gekämpft haben, wäre verloren. Radikaler, inklusiver, antikolonialer, feministischer, antirassistischer, antikapitalistischer Klimschutz bietet uns aber auch die Möglichkeit, im Hier und Jetzt eine Welt aufzubauen, welche nicht mehr länger auf der Ausbeutung von Menschen, nicht-menschlicher Tiere oder der restlichen Umwelt fusst. Millionen gehen seit Jahren für die Realisierung einer solchen Gesellschaft auf die Strasse. Es wird Zeit, dass sich die etablierten linken Kräfte endlich dieser Bewegung anschliessen.
Wie gross ist das verbleibende klimagerechte CO2-Budget der Schweiz? Diese Frage sollte am Anfang jeder Strategiediskussion der Klimabewegung, ja der ganzen Linken in diesem Land stehen, denn diese Frage ist weitaus komplexer und die aus der Antwort zu ziehenden Schlüsse sind weitreichender, als man zuerst annehmen mag. Dazu später mehr.
Szenenwechsel: Später Herbst 2022 im Volkshaus in Zürich. Ein Werbefilm der SP verspricht mit grossem Pathos, dass sie Partei fürs Klima ergreife. Umweltministerin Sommaruga ist zurückgetreten und nun präsentieren sich die drei Bundesratskandidat:innen an den öffentlichen Hearings. Nach einer kurzen Diskussionsrunde kann das Publikum seine Anliegen an die Kandidat:innen richten. Es gibt eine Frage zur EU, zum Kopftuch und dann stelle ich die obige Frage zum CO2-Budget: grosse Fraglosigkeit. Eine Kandidatin fragt mich zurück, was denn die richtige Antwort sei, niemand auf der Bühne scheint auch nur annähernd zu verstehen, was mit der Frage überhaupt gemeint ist. Am Ende der Veranstaltung gestehen mir weitere hohe Parteivertreter:innen in amüsiertem Ton, dass sie die Antwort auch nicht gewusst hätten.
Dieser Vorfall steht emblematisch für die ernüchternde Bilanz linker Klimapolitik in den letzten vier Jahre. Mir geht es nicht darum, hier undifferenziert über die «Reformis» in den Parlamenten abzuziehen, damit mir nachher ein ehemaliger Bewegter in leicht paternalistischer Manier sagen kann, wie er meinen «gesunden Antikapitalismus» schätze, und ich mich in meiner klaren Abgrenzung dazu suhlen kann. Dafür ist die Lage zu ernst und die Zeit zu knapp, doch die nächsten vier Jahre dürfen nicht gleich verlaufen wie die vergangene Legislatur. Darum muss ich hier ein wenig ausholen und aufzeigen, inwiefern die etablierten Parteien ihre Klimapolitik fundamental überdenken müssen.

Linke Parteien verhindern netto null 2030

Am besten beginne ich wohl bei einer Sitzung in einem Zürcher Bürokomplex ein Jahr vor der Debatte im Volkshaus, also irgendwann im Herbst 2021. Als Vertreter:innen des Klimastreik treffen wir uns mit allen drei linken Parteien im Zürcher Gemeinderat und versuchen zum letzten Mal, sie doch noch umstimmen zu können und für netto null 2030 in der Stadt Zürich einzutreten. Unsere Gefühlsage schwankt zwischen Wut, Entsetzen und Verzweiflung. Wir sehen uns im Minutentakt mit hohlen Phrasen, Halbwissen und einem Unwillen zu konsequentem Handeln konfrontiert. Am Schluss haben wir nichts erreicht, doch besonders die älteren Herren haben uns versichert, dass sie super finden, was wir machen und wir nicht aufgeben sollten. Danke für nichts.
Dazu muss man wissen, dass die gleichen Parteien kurz nach den ersten Klimastreiks unsere Forderungen aufgenommen und diese offiziell im Gemeinderat eingebracht hatten. Daraufhin erteilte der ebenfalls linksdominierte Stadtrat von Zürich diesen Forderung mit dem ziemlich fadenscheinigen Argument, wonach mit netto null 2030 nicht alle Einsprachefristen eingehalten werden können, eine Absage. Sorry Kids, aber Herr und Frau Schweizer verrecken halt lieber bei 40 Grad, als dass sie keine Einsprache gegen Solarpanels auf Nachbars Haus einreichen könnten. Ironischerweise konnte das Einspracherecht gegen das stinkende und dröhnende Ölkraftwerk von den in Birr lebenden Migrant:innen ohne Probleme eingeschränkt werden. Der letzte Akt ist rasch erzählt: Nach der Ankündigung des Stadtrats bekräftigen die Grünen ihre Position, die Delegierten der SP ebenfalls. Ein halbes Jahr später wollten sie davon nichts mehr wissen. Immerhin will die Stadt Zürich nun 2040 netto null erreichen. Sogar die FDP war dafür.
In Basel konnten die Stimmberechtigten dank einer Volksinitiative über netto null 2030 abstimmen. Doch die SP stellte sich dagegen, weshalb auch der Gegenvorschlag von netto null 2037 zur Debatte stand. Am Ende gewann der Gegenvorschlag, doch 57% der Abstimmenden sprachen sich für netto null 2030 aus. SP-Regierungsrat Beat Jans war ganz überrascht ob der Radikalität der Basler:innen. Ähnliches trug sich übrigens diesen Frühling in Berlin zu, wo ebenfalls eine Mehrheit für netto null 2030 war, das Volksbegehren aber am Quorum scheiterte. Die SPD war gegen das Volksbegehren.

Nur ungenügende Fortschritte in der Klimapolitik wegen den linken Parteien

Während linke Kandidat:nnen in Werbespots reihenweise angeblich Partei fürs Klima ergreifen, stellte sich keine ihre Ständerät:innen gegen die Rettung der Swiss mit Milliardenbeiträgen aufgrund der Covidpandemie. Ein halbes Jahr zuvor standen noch hundertausend Menschen auf dem Bundesplatz für eine konsequente Klimapolitik ein. Fraktionschef:innen verkündeten in der Parlamentsdebatte, dass netto null 2030 nur in einer Diktatur erreichbar sei, und die Delegierten der Grünen sprachen sich aktiv gegen dieses Reduktionsziel aus. Stattdessen wollen sie lieber irgendwann in ferner Zukunft CO2 in Pipelines nach Norwegen transportieren. Vor den letzten Wahlen gaben noch praktisch alle aktuellen Fraktionsmitglieder der Partei bei der Klimacharta an, dass sie die Forderungen des Klimastreiks unterstützten.
Die Liste des inhaltlichen Versagens linker Parteien in der Klimapolitik wäre noch länger, doch die Parteivertreter:innen machen da nicht halt; ihre Regierungsmitglieder verteidigen aktiv die Interessen klimazerstörender Konzerne. Den Auftrag zur Räumung der Besetzung gegen die Umweltzerstörung des Zementproduzenten Holcim in La Sarraz gab eine grüne Sicherheitsdirektorin. Während die Aktivist:innen mit Gummigeschossen und Tränengaskartuschen beschossen wurden, trank sie mit dem Leiter des Holcimwerks einen Kaffee. Gleiches wiederholte sich an zahlreichen anderen Orten der Schweiz: Die Räumung des Bundesplatzes war nur durch die Zustimmung des linken Stadrates möglich und das Wegsperren von minderjährigen Aktivist:innen im Zuge der Blockade von CS und UBS in Zürich hat ebenfalls eine linke Sicherheitsvorsteherin zu verantworten.
Es wird wohl deutlich, wieso der Frust über die Untätigkeit bzw. die bewusste Blockadepolitik linker Parteien in der Klimabewegung so tief steckt. Natürlich konnten wir gerade mit dem deutlichen Ja zum Klimaschutzgesetz einen wichtigen Sieg erringen, der nur durch die parlamentarische Arbeit linker Politiker:innen zustande kam, doch wir können nicht in diesem Tempo weitermachen.

Linke Politik ohne konsequenten Klimaschutz funktioniert nicht mehr

Zurück zum eingangs erwähnten CO2-Budget: Dieses Budget beschreibt, wie viel CO2 wir noch ausstossen dürfen, um die völkerrechtlich beschlossene 1.5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten. Ab 2020 hatten wir noch 300 GtCO2 zur Verfügung. Das bei einem jährlichen Ausstoss von 40 GtCO2, Tendenz steigend. Bei einem linearen Verlauf wäre dieses Budget Mitte 2027 aufgebraucht. Wir wissen, dass bis jetzt nichts gegen diesen Trend unternommen wurde. Es werden jährlich also mindestens immer noch so viele Emissionen ausgestossen wie vor drei Jahren. So kommt man bei einem linearen Absenkpfad auf ein globales Klimaziel von netto null bis 2031. Weil es de facto noch keine grossflächig einsetzbaren Technologien zur Entnahme von CO2 gibt, müssen wir bis dann praktisch auf brutto null sein, nicht nur netto. Die Schweizer Bevölkerung stösst im internationalen Vergleich massiv viel mehr CO2-Emssionen pro Kopf aus und hat auch in der Vergangenheit überdurschnittlich viel zur Klimaerhitzung beigetragen. Unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten ist unser Budget also eigentlich schon längst negativ, sicherlich aber nicht grösser wie jenes der restlichen Weltbevölkerung. Die Forderungen des Klimastreiks sind dementsprechend keineswegs «zu extrem», sondern mittlerweile – aufgrund des Nichthandelns – sogar zu wenig ambitioniert.
Die Klimapolitik der nächsten vier Jahre muss sich endlich an den physikalischen Realitäten und nicht an dem engen Korsett einer bürgerlichen Pseudodemokratie ausrichten, welche durch die Profitinteressen der fossilen Lobby dominiert wird. Keine Kampagnen mehr mit Wegweisern, Gletschern oder Alpseen. Nun müssen endlich die wahren Leidtragenden im Zentrum unserer Politik stehen.
Tatsache ist, dass schon heute in Pakistan Kinder in wenigen Tagen an Malaria sterben, weil ein Drittel des Landes überflutet wurde. Ihre Mütter sterben in den Fluten, weil Frauen nicht schwimmen lernen. In Nordamerika sterben Schwarze häufiger wärend Hitzewellen, weil ihre Quartiere weniger Bäume und schattenspendende Orte aufweissen. Im deutschen Aartal starben fast ein Dutzend Personen einer Pflegeeinreichtung in den Fluten, weil sie sich aufgrund ihrer Immobilität nicht selbst in Sicherheit bringen konnten. Bis Ende des Jahrhunderts könnten bis zu zwei Milliarden Menschen, mehrheitlich in Indien und Nigeria, unter lebensfeindlichen Bedingungen leben. Linke Politik ohne konsequenten Klimaschutz funktioniert nicht mehr. Oder: Sozialismus ohne Ökologie ist die gemeinsame Verwaltung unseres Untergangs.

Auf in eine klimagerechte Zukunft!

Was muss in den nächsten paar Jahren geschehen? Als Klimastreik erwarten wir von den linken Parteien im nationalen Parlament, dass sie sich geschlossen und vehement gegen den Bau und Betrieb von fossilen Kraftwerken stellen werden. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat deutlich gemacht, dass keine neue fossile Infrastruktur mehr gebaut werden darf. Wir werden die Versuche vom als Umweltminister verkleideten Öllobbyisten diesbezüglich konsequent bekämpfen. Dann erwarten wir, dass die Linke überall dort, wo sie eine Mehrheit hat, also mehrheitlich in den Städten, den Klimaturbo zündet. Konkret bedeutet dies, dass sie in die klimapolitische Offensive geht und ihre inkonsequente und fatale Kompromisspolitik aufgibt. Der Klimastreik hat mit Expert:innen und Wissenschaftler:innen einen umfassenden Klimaaktionsplan ausgearbeitet, welcher die konkret umzusetzenden Massnahmen beinhaltet. Dieser wurde auch auf die Situation in den Städten adaptiert.
Des Weiteren muss die Repression gegen Klimaaktivist:innen umgehend aufhören. Es gibt keine geteilten Rollen in oder vorgeschobene Loyalität zu einem bürgerlichen Rechtsstaat. Wer uns verhaftet, wer unseren Protest behindert ist gegen uns und für die Zerstörung und Vertreibung von Millionen von Menschen. Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Da gibt es kein Verständnis für linke Regierungsmitglieder, die sich vor ihrer Verantwortung drücken.
Parteien und Gewerkschaften müssen endlich ihren fast ausschliesslichen Fokus auf die Institutionen und deren vorgegebenen Rahmen aufgeben. Nicht einmal mehr der Chefredaktor der Financial Times glaubt daran, dass die Energiewende im Kapitalismus gelingen kann. Die Klimakrise wird sich nicht in diesem Wirtschaftssystem überwinden lassen. Nur eine antikapitalistische Klimapolitik in einer demokratisierten Wirtschaft, welche rasch, geordnet und inklusiv dekarbonisiert werden kann, bietet einen kleinen Hoffnungsschimmer, die globale Erhitzung auf 1.5 °C zu begrenzen.
Dies bedeutet, dass die Bürde der Verantwortung nicht mehr mehrheitlich auf den Schultern von Lernenden, Schüler:innen und Student:innen lasten darf, welche seit Jahren tausende unbezahlte Stunden für die Organisation und Mobilisierung aufwenden. Im Zuge der Proteste gegen den russischen Angriffskrieg konnte ich erleben, wie Gewerkschaften und Parteien in kürzester Zeit riesige Summen und Personal aufwenden konnten. Wieso das nicht schon beim Strike for Future möglich war, ist für viele im Klimastreik ein Rätsel. Wir fordern also von linken Parteien und Gewerkschaften, dass sie sich endlich am Aufbau von Strukturen beteiligen, welche die gegenwärtig vorherrschende hegemoniale Macht ernsthaft angreifen kann. Das gibt es nicht gratis und das bedeutet, endlich eine klare Sicht auf die Ernsthaftigkeit der Lage anzunehmen.
Als Klimabewegung wissen wir, dass eine andere Welt möglich ist. Die 2020er sind das absolut entscheidende Jahrzehnt für all die Ideen, Träume und Utopien, für die sich Generationen von Arbeiter:innen, Revolutionär:innen, Freiheitskämpfer:innen, Lernende und alle anderen antikapitalistischen Kräfte eingesetzt haben. In einer 3 °C wärmeren Welt wird es keine funktionierende Gesellschaft mehr geben, alles wofür wir jemals gekämpft haben, wäre verloren. Radikaler, inklusiver, antikolonialer, feministischer, antirassistischer, antikapitalistischer Klimschutz bietet uns aber auch die Möglichkeit, im Hier und Jetzt eine Welt aufzubauen, welche nicht mehr länger auf der Ausbeutung von Menschen, nicht-menschlicher Tiere oder der restlichen Umwelt fusst. Millionen gehen seit Jahren für die Realisierung einer solchen Gesellschaft auf die Strasse. Es wird Zeit, dass sich die etablierten linken Kräfte endlich dieser Bewegung anschliessen.
Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Das CO2-Budget schrumpft. Die Repression gegen die Klimabewegung nimmt zu, der Unmut der Bevölkerung gegenüber steigenden Preisen oder polizeiliche und patriarchale Gewalt auch.
Handeln wir heute, morgen ist es zu spät.
Wir sehen uns am 15. September am Globalen Klimastreik und am 30. September in Bern an der nationalen Klimademo. Alle Infos unter: climatestrike.ch/events
Autor | Jonas Kampus studiert Volkswirtschaftslehre und Physik an der Universität Zürich und ist seit Beginn beim Klimastreik aktiv. Er hat unter anderem bei der Verfassung des Klima-Aktionsplans und der Durchführung der Strikes for Futures mitgewirkt.
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