Nadja Mosimann
Andreas Rieger

Kommentar

Sorgenbewirtschaftung? Wie Deutschweizer Medien im Vorfeld der Wahlen 23 das Thema Migration bespielen
25.08.2023 | Am 17. April dieses Jahres titelt der Tages-Anzeiger: «Fast zwei Drittel wollen die Zuwanderung in die Schweiz begrenzen.» Sofort nimmt die Weltwoche den Ball auf und labt sich zwei Tage später an den «Grenzen der Zuwanderung». Im Juni macht Raphaela Birrer, Chefredaktorin des Tages-Anzeigers, in einem Interview mit dem Präsidenten der Mitte klar, dass Wokeness und die «Migrationsfrage» für sie die beiden grossen Wahlkampfthemen sind. Im gleichen Monat gibt es eine SRF-Arena zum «Asylchaos mit Ansage» und im Juli doppelt Raphaela Birrer im Tages-Anzeiger mit einem Kommentar zur Wahlumfrage der Tamedia nach und verkündet: «Die Gegner machen es der SVP einfach. Die SVP dürfte die Wahlen gewinnen – auch weil alle über sie reden.» Schon 2014 befand Kaspar Surber in der WOZ: «Am stärksten überfüllt von der Zuwanderung waren in den letzten Jahren nicht die Züge, sondern die Medien» und meinte damit vor allem den Tages-Anzeiger.1
Die Schlagzeile des Tages-Anzeigers vom April basiert auf einer von der Tamedia und 20 Minuten in Auftrag gegebenen und im Herbst 2022 durgeführten Umfrage unter dem Namen «Das Leben in der Schweiz». Das auch mit den Abstimmungs- und Wahlumfragen der Tamedia beauftragte Institut LeeWas befragte für die Studie über 50‘000 Personen und qualifiziert die Umfrage als repräsentativ – wenn auch nicht klar wird auf welchen Merkmalen der Befragten diese Repräsentativität sichergestellt wird. Die Umfrage gliedert sich in die fünf Bereiche «Die persönliche Situation», «Einschätzungen zur Schweiz und ihren Bewohner:innen», «Familienleben, Partnerschaft und Haushalt», «Einschätzungen zur Politik» und «Einschätzungen zu kulturellen Themen».
Auffällig ist, dass die Studie in den Abschnitten rund um die Immigration plötzlich politische Handlungsmöglichkeiten abfragt, während sie insgesamt relativ unpolitisch angelegt ist. Die «Einschätzungen zur Politik» machen nur gut 10 Prozent der Umfrage aus und beinhalten Fragen zur Rolle der Schweiz in der Welt, zur Aufnahme von Geflüchteten, zum Wahl- und Stimmrecht für Ausländer:innen und zur, vom Tages-Anzeiger ausgeschlachteten, Begrenzung der Zuwanderung. Anders gesagt: Während die Umfrage beinahe 40 Frageblöcke enthält, davon einige mit mehreren Unterfragen, entscheidet sich der Tages-Anzeiger die Studie Mitte April mit einem Fokus auf die Zuwanderungsbegrenzung an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Schlagzeile zur gleichen Studie lautete in der – ebenfalls der Tamedia angehörenden – 24 Heures übrigens: «En Suisse, on est heureux mais on s’aime assez peu». Der dazugehörige Artikel vermittelt eine breite Übersicht über die verschiedenen Abschnitte der Studie, verzichtete gänzlich auf das Immigrations-Framing und erwähnt die Frage zur Begrenzung der Zuwanderung nicht einmal.
Die ganze Sache ist dabei keineswegs unschuldig. Wer will, dass die SVP diesen Herbst bei den Wahlen zulegt, sorgt dafür, dass Immigration, eigentlich ein gegenwärtig gar nicht so brennendes Thema2, wirkungsmächtig wird und so rechte Wähler:innen mobilisiert. Wieso ist es wichtig, was Medien im Vorfeld von Wahlen schreiben? Wir wissen aus der Forschung, dass saliente Themen, also Themen, welche die öffentliche Debatte dominieren, den Ausgang von Wahlen entscheidend mitbeeinflussen, auch weil sie als Mediator zwischen Medienberichten und Wahlentscheidung fungieren. Die Dominanz des Migrationsthemas half 2015 der SVP, die Dominanz der Thematik rund um die Klimakrise half 2019 den Grünen und der GLP. Natürlich ist Wahlverhalten komplexer und schwieriger zu erklären, aber es ist auch eindrücklich wie die (mediale) Konjunktur von Themen und Wähleranteile von Parteien korrelieren.
Was sind also die Implikationen von Themensetzungen in Umfragen wie jener zum «Leben in der Schweiz» im Vorfeld von Wahlen wie jenen diesen Herbst? Was kann eine verzerrte Berichterstattung und Sorgenbewirtschaftung durch die Medien im Vorfeld von solchen Wahlen bewirken? Über diese Fragen sprachen wir mit Melanie Berner, Fachverantwortliche Medienpolitik im Schweizer Syndikat Medienschaffender und Alt-Kantonsrätin der AL in Zürich, Kijan Espahangizi, Historiker an der Universität Zürich und Autor von Der Migration-Integration-Komplex, sowie René Levy, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Lausanne und Mitglied der Regionalgruppe Romandie des Denknetz.
Denknetz: Die sehr ausführliche Umfrage «Das Leben in der Schweiz» befasst sich zum grössten Teil mit lebensweltlichen und kulturellen Fragen. Die «Einschätzungen zur Politik» machen gerade mal 12 Prozent der Umfrage aus und beschränken sich auf einen Abschnitt zur Schweiz und der Welt sowie drei Abschnitte zur Migration, genauer Begrenzung, Geflüchtete und Ausländer:innenstimmrecht. Was bedeutet diese Themenselektion?
Kijan Espahangizi: Je nachdem, wie man Umfragen gestaltet, werden damit implizite Setzungen transportiert. Wenn diese dann von den Urheber:innen nicht transparent gemacht werden, ist das höchst problematisch. Wenn also etwa beim Themenfeld Politik bestimmte Fragen gebracht und andere ausgeblendet werden, wird das Ergebnis verzerrt. In dem Fall ist die Abwesenheit von innenpolitischen Themen wie Gesundheit, Bildung, Steuern, Kinderbetreuung, Mobilität und so weiter ebenso augenfällig wie fragwürdig. Als beträfe Politik vor allem das Verhältnis zu den «Anderen».
Melanie Berner: Mit einer Themenselektion wird meiner Meinung nach auch immer die (angebliche) Wichtigkeit eines Themas unterstrichen oder besser gesagt suggeriert. Mit dieser doch recht einseitigen Themenselektion im Bereich der Politik wird betont, dass im Bereich des Innenpolitischen die Ausländer:innen-Thematik aktuell eine grosse Bedeutung hat. Damit kann eine Art «Spin» angestossen werden, welcher dem Thema dann auch tatsächlich mehr Bedeutung gibt.
René Levy: Auch wenn ich natürlich nicht wissen kann, welche Motive oder Absichten hinter diesem Auftrag von 20 Minuten und Tamedia stehen, ist mit Blick auf das Wahljahr 2023 der Eindruck schwer zu vermeiden, dass es in erster Linie um die klassischen SVP-Themen Ausländer:innen und Immigration geht. Der relativ weite thematische Rahmen darum herum, den die restlichen Fragen andeuten, wirkt eher als Dekoration. Dies auch deshalb, weil die politischen, kulturellen und sozialen Themen, für welche die anderen Fragen von Belang sein könnten, so wenig vertieft sind, dass analytisch damit nicht viel herauszuholen wäre. Nur fragt man sich dann, weshalb die eigentlich interessienden Themen nicht besser ausgeleuchtet werden und das thematische Umfeld nicht gezielter und ebenfalls strukturierter behandelt wird. Der Bericht liefert im übrigen keine eigentlichen Analysen, sondern nur mehr oder weniger differenzierte Daten, deren Interpretation offenbar von den Auftraggeber:innen in eigener Regie vorgenommen werden soll. Als ob es in erster Linie darum ginge zu sondieren, mit welchen Themen am meisten Stimmen zu holen sind.
Denknetz: Zur Immigration lautet die Frage «Soll die Schweiz die Zuwanderung (z.B. mit Kontingenten) stärker begrenzen?». Eine Differenzierung nach EU und Drittländern wird nicht gemacht; bereits bestehende Kontingente werden nicht erwähnt. Beim Ausländer:innenstimmrecht wird dagegen differenziert zwischen den politischen Ebenen, also Gemeinde, Kanton und Bund differenziert. Was bewirkt diese Fragestellunng?
Berner: Was genau die Fragestellung bedeutet, finde ich schwierig zu beantworten. Am ehesten würde ich sagen: Auf einseitige Fragen, folgen einseitige Antworten. Und im Zusammenhang mit der Themenselektion durch die Umfrage, löst diese Fragestellung bei mir Unbehagen aus. Wird die Frage nicht in einen erklärenden Kontext gestellt und werden keine Informationen zur tatsächlichen Situation mitgeliefert, ist das Resultat vorhersehbar: Ein Ja zu mehr Begrenzung. Warum jemand welche Antwort gibt, wissen wir nicht. Weiss die Person, welche Begrenzungen es bereits gibt? Welche Zuwanderung soll stärker begrenzt werden? Die aus der EU, jene aus Drittstaaten? Wie gut ist die befragte Person über die (Im)Migrationspolitik der Schweiz informiert? Warum soll die Zuwanderung stärker begrenzt werden? Aus Angst vor Arbeitsplatzverlust, Xenophobie, Druck auf dem Wohnungsmarkt oder anderen Gründen? Ohne Zusatzinformationen wird es meiner Meinung nach sehr schwierig, das Resultat zu interpretieren.
Espahangizi: Problematisch wird es in Umfragen, wenn Suggestivfagen ins Spiel kommen, die so angelegt sind, dass sie bestimmte politische Überzeugungen empirisch stützen sollen. Die Frage nach der Begrenzung von Zuwanderung reproduziert, in dieser pauschalen Weise gestellt, die aktuelle Polarisierung im politischen Diskurs. Nach dem Motto: Bist Du für oder gegen Einwanderung? Da ist die öffentliche Meinungsbildung in der Schweiz in der Tat viel weiter und umfasst längst Differenzierungen, die auch in der Umfrage hätten Platz finden können und müssen. Gegenüber der gesellschaftlichen Realität bliebt die Umfrage hier fahrlässig unterkomplex. Sie trägt damit zum Problem bei, nicht zur Analyse oder gar der Lösung.
Levy: Eine konkrete Absicht aus dieser Feststellung abzulesen, scheint mir problematisch. Sie stützt aber den allgemeinen Eindruck einer schnell entworfenen und wenig vertieften Umfrage, weil es wohl gar nicht um wirkliche Analysen geht, sondern um eine Art politische Marketingstudie, mit der abgeschätzt werden soll, welche Artikel gute Verkaufschancen haben – auch wenn das seitens von Medien erstaunen mag, die sich als politisch neutral, aber inhaltlich eher anspruchsvoll geben.
Denknetz: Die Deutschschweizer Berichterstattung der Blätter der Tamedia zur Umfrage entschied sich für einen Immigrations-Frame: «Fast zwei Drittel wollen Zuwanderung in die Schweiz begrenzen» heisst es im Tages-Anzeiger vom 17. April 2023. Weiter ist zu lesen: «Das Bevölkerungswachstum und der zunehmende Ausländeranteil bereiten vielen Menschen Sorgen. 62 Prozent wollen die Zahl der Einwandernden beschränken – etwa mit Kontingenten». Was sind mögliche Implikationen eines solchen Fokus?
Levy: Nur schon die Tatsache, dass diese Frage isoliert von anderen Themen herausgepickt und kommentiert wird, kann manipulatorisch wirken. Bei Abstimmungen besteht ja beispielsweise immer ein aktueller Aufmerksamkeitskontext, auf den sich die Stimmenden ausdrücklich oder auch nur stillschweigend beziehen. Davon ist hier keine Spur zu sehen. Erst in einem solchen Vergleichszusammenhang würde sich dann auch herausstellen, ob 62 Prozent als viel oder als wenig zu taxieren sind und wie wichtig die «Lösung» dieses «Problems» den Befragten tatsächlich ist. Und siehe da, die allerletzte Frage der Studie tut genau das, wurde aber offenbar nicht in die Berichterstattung aufgenommen. Aus einer Liste der «dringendsten Problemen» wählen die Befragten Migration/Zuwanderung (41 Prozent) gleichauf mit dem Klimawandel (40 Prozent) an 4. und 5. Stelle aus, weniger oft als Gesundheitskosten (63 Prozent), Altersvorsorge/Renten (54 Prozent) und Miet- und Immobilienpreise (48 Prozent).
Espahangizi: Wir haben es hier offensichtlich mit einer doppelten Themenselektion zu tun, erst in der Umfrage und dann nochmals in der medialen Aufbereitung. Hier kommen zwei Mal problematische Vorannahmen ins Spiel: Man geht davon aus, dass das Thema Einwanderung die Menschen mehr umtreibt als andere und weil man davon ausgeht, überbetont man das Thema. Am Ende steht das Thema Migration tatsächlich im Zentrum der Berichterstattung zur Umfrage. Das nennt man self-fulfilling prophecy. Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Dauerfokus auf das Thema Einwanderung eben kein repräsentativer Ausdruck der Wahrnehmung in der Bevölkerung ist, die sehr viele unterschiedliche Anliegen und Sorgen hat, sondern eine künstliche Situation – allerdings mit problematischen realen Auswirkungen..
Berner: Mit dieser Themenselektion sind wir zurück bei dem, was ich vorhin gesagt habe. Der Spin wurde bei der Umfrage gesetzt, welche die Ausländer:innen-Thematik als sehr wichtiges innenpolitisches Thema portiert. Dann wird er bei der doch eher einseitigen Frage, ob die Zuwanderung stärker begrenzt werden soll fortgesetzt und zuletzt mit maximalem «Aufmerksamkeits-Erzielungs-Effekt» medial aufbereitet: 62 Prozent der Befragten wollen die Zahl der Einwandernden beschränken! Beim Lesen des Tagi-Artikels vom 17. April kann sehr einfach der Eindruck entstehen, dass sich das Thema der Zuwanderungsbegrenzung durch eine intensive Befragung als zentrales Thema herauskristallisiert habe. Dass dies nicht der Fall ist, wird der/dem Leser:in nicht klar. Die Interpretation der Ergebnisse ist nach wissenschaftlichen Standards mutig bis irreführend. Es werden Kausalzusammenhänge impliziert, welche so nicht überprüft worden sind. Im selben Artikel wird dann auch erwähnt, dass die SVP in ihrem Wahlkampf voll auf die Zuwanderungsthematik setze und auf einen entsprechenden Artikel verlinkt. Zudem wird der Wahlkampfleiter der SVP als einziger Vertreter einer Partei im Artikel zitiert. Im Artikel ist dann auch noch der Link zum Tagi-Kommentar «Wer die Zuwanderung ignoriert, hat die Wahl schon verloren» platziert. Für mich geht das alles schon sehr stark in Richtung «Kampagnen-Berichterstattung».
Denknetz: Im CS-Sorgenbarometer, wie die Tamedia-Umfrage im Herbst 2022 durchgeführt, stehen Umweltschutz/Klimawandel, AHV/Altersvorsorge und Energie an der Spitze der Sorgen der Schweizer:innen. Ausländer:innen/Zuwanderung findet sich auf der Liste der Sorgen weit zurück auf Platz 9, Flüchtlinge/Asylfragen auf Platz 10. Gibt es in der Schweiz so etwas wie eine «Sorgenbewirtschaftung»?
Berner: «Sorgenbewirtschaftung» verspricht «Clicks» und «Clicks» sind in Zeiten der digitalen Revolution in der kommerziellen Medienwelt die wertvollste Währung. Von daher ist es denkbar, dass die Sorgenbewirtschaftung in den kommerziellen Medien in den vergangenen Jahren tatsächlich zugenommen hat. Das wäre eine nicht uninteressante Forschungsfrage. Das Verkaufsinstrument der Blick-Schlagzeile, welche – zumindest früher – in Grossbuchstaben auf gelbem Hintergrund eine «sensationelle Neuigkeit» versprach und Kund:innen zum Kauf der Zeitung animierte, also diese Boulevard-Methode, hat in meiner Wahrnehmung schon in je länger, je mehr kommerziellen Medienprodukten Einzug gehalten. Wie gesagt, das wäre eine interessante Forschungsfrage und zu überprüfende Hypothese. Aber für mich liegt die Vermutung nahe, dass das zumindest in der Tendenz tatsächlich zugenommen hat.
Levy: Ja, sicher, auch wenn man darunter verschiedenes verstehen kann. Im Sorgenbarometer haben wir wenigstens ansatzweise einen Vergleich zwischen politischen Anliegen, der im Fall, den wir jetzt besprechen, in der Auswertung weggelassen wurde, obwohl ja eine entsprechende Frage auch hier gestellt wurde. Aber zurück zur Sorgenbewirtschaftung. Grundsätzlich gehört sie legitimerweise mit zur Demokratie, jedenfalls, wenn sie von politischen Parteien und anderen Interessenorganisationen im öffentlichen Raum betrieben wird und wenn das ohne Manipulation passiert. Die Rolle der Medien besteht prioritär darin, solche öffentlichen Diskurse um politische Orientierungen zu widerspiegeln und kritisch zu kommentieren, aber nicht, sie zu befeuern oder anzuschwärzen, auch wenn das in vielen Fällen Eingang in ihre Praxis gefunden hat. Einzelne Elemente ohne den Zusammenhang zu präsentieren, in dem sie Sinn machen, gehört schon in die Instrumentenkiste der Manipulation.
Espahangizi: Ich würde von einer systematischen Empörungsbewirtschaftung sprechen. Empörung ist heute zu einer zentralen Währung in medialen und politischen Aufmerksamkeitsökonomien geworden. Es braucht Umsatz und Klicks, sonst gibt es keine Rendite. Daher werden zunehmend Themen bewirtschaftet, die Empörung garantieren. Andere Themen, die der Bevölkerung wenn nicht sogar wichtiger sind, fallen dann eher aus dem Blick. Ich kann in meiner Forschung zeigen, wie das Thema Migration seit den 1960er- Jahren nach und nach vom Rand ins Zentrum politischer und medialer Aufmerksamkeit gerückt ist. Der Grund dafür ist eben nicht, dass Einwanderung das zentrale Problem unserer Gesellschaft ist, sondern dass es sich so trefflich zum Polarisieren eignet. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass das öffentliche Streiten über Migrationsfragen paradoxerweise zu einer dominanten Form geworden ist, wie wir uns als Gesellschaft über uns selbst verständigen. Dass das ein grosses Risiko für unsere Gesellschaft birgt, die so auf gefährliche Sollbruchstellen zusteuert, hat nicht nur der Brexit in Grossbritannien vor Augen geführt. Es zeigt sich auch in der immer noch offenen Frage nach dem Verhältnis der Schweiz zur EU. Das Thema Migration überlagert die Vielschichtigkeit dieser Herausforderung und legt politische Kurzschlüsse nahe.
Autor:innen | Nadja Mosimann ist Geschäftsführerin des Denknetz. Andreas Rieger ist Mitglied des Denknetz und ehemaliger Präsident der Unia. .
Dieser Artikel ist Teil der Reihe des Denknetz zu den Wahlen 23.

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Fussnoten

1. In der WOZ vom 24. August 23 widmet sich Kaspar Surber dem sich verstärkenden politischen Rechtsdrall der Schweizer Medien.
2. In der Umfrage «Das Leben in der Schweiz» selbst, rangieren Migration/Zuwanderung (eines der drängendsten Probleme für 41 Prozent der Befragten) und Asylwesen (30 Prozent) als drängende Probleme hinter den Gesundheitskosten (63 Prozent), Altersvorsorge/Renten (54 Prozent) und Miet- und Immoblienpreise (48 Prozent), ersteres gleichauf mit dem Klimawandel (40 Prozent). Im CS-Sorgenbarotmeter vom November 2022 rangiert Umweltschutz/Klimawandel als grösste Sorge (Hauptsorge von 39 Prozent der Befragten), dahinter AHV/Altersvorsorge (37 Prozent), Energiefragen/Kernenergie/Versorgungssicherheit (25 Prozent) und Beziehungen zu Europa/EU/Rahmenabkommen/Zugang zum europäischen Markt (25 Prozent). AusländerInnen / Zuwanderung / Personenfreizügigkeit (19 Prozent) sowie Flüchtlinge/Asylfragen (16 Prozent) finden sich etwas abgeschlagen auf Platz 9 und 10. So weit hinten wie nie seit 2019. Auch in der sechsten Welle des Panels von Selects, der seit 1995 laufenden Schweizer Wahlstudie, vom Herbst 2022 übertrumpft EU/Europa als wichtigstes Problem (für 25 Prozent) der über 7‘000 Befragten Immigration/Asyl (11 Prozent) mit Umwelt/Energie (20 Prozent) und soziale Sicherheit/Wohlfahrtsstaat (20 Prozent) dazwischen.