Übergewinne in der Schweiz: Die Politik muss handeln
20.12.2022 | Die aktuellen Versorgungsengpässe werden von Energie- und Handelskonzernen genutzt, um weltweit Sondergewinne in der Höhe von Tausenden von Mrd. US£ einzustreichen. Basierend auf einer Studie des Recherche-Dienstleisters DataCatering können die im Jahr 2022 in der Schweiz erzielten Sondergewinne auf eine Grössenordnung von mehreren Dutzend Mia CHF geschätzt werden. Die EU hat beschlossen, auf solche Übergewinne eine Solidaritätssteuer von 33% einzufordern. Die Schweiz muss mitziehen – nur schon deshalb, um der EU jetzt nicht in den Rücken zu fallen.1
Ausgangslage
Die Coronakrise und gleich danach der Ukraine-Krieg haben zu Verknappungen bei essenziellen Gütern wie Energieträgern, Halbfabrikaten, Lebensmitteln, Dünger etc geführt. Diese Verknappungen wurden von Produktions- und Handelsfirmen genutzt, um teilweise enorme Preiserhöhungen durchzusetzen, bei weitgehend gleichbleibenden Kosten. Die dadurch entstandenen Gewinnsteigerungen werden als Übergewinne resp. Windfall-Profits bezeichnet2.
Diese Übergewinne haben enorme Ausmasse angenommen. Laut den Angaben der amerikanischen Zentralbank von St. Louis (eine der 12 FED-Banken) sind die Quartalsprofite aller nicht-Finanz-Unternehmen der USA seit Anfangs 2020 von rund 1000 Mrd US$ auf über 2000 Mrd US$ hochgeschnellt3. Die Übergewinne ergeben sich aus den Anteilen, die über dem mehrjährigen Quartalsschnitt von 1000 Mrd (2015-2020) liegen. Sie belaufen sich für das gesamte Jahr 2021 auf über 3400 Mrd US$ und machen beinahe 15% des US-BIP respektive 3,3% des globalen BIP aus. Für das erste Halbjahr 2022 kommen diese Übergewinne auch bereits auf rund 2000 Mrd US$ zu stehen. Bei gleichbleibendem Trend werden es 2022 also nochmals mehr sein als 2021.
Ein weiteres Indiz für die exorbitant hohen Übergewinne haben die Autoren der Studie ‘Kriegsgewinne besteuern’ für die Mineralöl- und Erdgaskonzerne zusammengetragen. Nach Schätzungen dieser Studie betragen die Übergewinne in dieser Branche für das Jahr 2022 1.160 Milliarden US-Dollar4.
Übergewinne in der Schweiz
Die Schweiz ist einer der weltweit wichtigsten Handelsplätze für Rohstoffe. So wird geschätzt, dass 75% des Handels mit russischem Erdöl respektive Erdgas über die Schweiz abgewickelt wird. Konzerne wie Glencore und Trafigura gehören zu den Weltmarktführern. Damit stellt sich die Frage, in welchem Masse in der Schweiz tätige Unternehmen von Übergewinnen profitieren und inwiefern die Politik davon herausgefordert wird. Um dazu eine Abschätzung vornehmen zu können, hat das Denknetz den Recherchedienstleister DataCatering mit folgenden Abklärungen beauftragt. DataCatering hat 1) die bedeutendsten Schweizer Erdöl-, Erdgas- und Kohlehandelsfirmen identifiziert (Glencore, Vitol, Trafigura, Mercuria, Gunvor)5, 2) deren Gewinne im 1.Halbjahr 2022 mit den durchschnittlichen Halbjahres-Gewinnen der Jahre 2015-2021 verglichen und daraus 3) die Grössenordnung für die Gewinnsteigerungen dieser Firmen im 1.Halbjahr 2022 ermittelt. Das Ergebnis: Die Summe der Halbjahresgewinne, die über dem langjährigen Durchschnitt liegen, bewegt sich für die fünf untersuchten Firmen in einer Grössenordnung von 20 Mrd US$ (siehe untenstehende Grafik 1). Nach der Auffassung des Autors dieser Zeilen handelt es sich bei dieser Summe ziemlich genau um die Übergewinne dieser fünf Firmen. Vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen bleiben im ganzen Jahr in etwa dieselben, dann werden sich die Übergewinne dieser Firmen fürs ganze Jahr 2022 auf rund 40 Mrd $ belaufen.
Erläuterung
Vergleich der Summe der Halbjahresgewinne 2022 der fünf grössten Erdöl-, Erdgas- und Kohle-Handelsfirmen mit den durchschnittlichen Halbjahresgewinnen 2015-2021
Quelle
DataCatering (01.11.2022). Comparison of H1/2022 profits of the largest Swiss energy traders versus the average 2015-2022. Unveröffentlichte Studie.
Das ist aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht der Gesamtbetrag aller Übergewinne des Schweizer Rohstoffsektors. Allerdings ist dieser Sektor insgesamt wenig transparent. So hat laut Angaben von Public Eye die wenig bekannte Sibirische Energie- und Kohlegesellschaft SUEK, die ihren Sitz in der Schweiz hat, im Jahr 2021 die Menge von 102.5 Mio Tonnen Kohle gefördert und weitere 17 Mio Tonnen Kohle von Drittfirmen dazugekauft. Damit kann sich diese Firma volumenmässig mit dem Kohlegeschäft von Glencore messen: Glencore förderte im gleichen Jahr 103.3 Mio Tonnen Kohle und kaufte 67.7 Mio Tonnen dazu6. SUEK kommt also auf 70% des Kohle-Handelsvolumens von Glencore.
Nun hat Glencore nach eigenen Angaben 53% des Halbjahres-Gewinnes 2022 im Kohlegeschäft erzielt7. Der (nach der oben geschilderten Methode ermittelte) Übergewinn von Glencore beläuft sich für dieses Halbjahr auf 10.7 Mrd US$. Davon entfallen rund 5 Mrd US$ auf das Kohlegeschäft. Angenommen, SUEK hat vergleichbare Gewinnmargen erzielt. Dann hätte SUEK im 1. Halbjahr 2022 einen Übergewinn von gut 2.8 Mrd CHF einstreichen können (70% desjenigen vom Glencore-Kohlegeschäft). Allerdings ist unklar, ob die SUEK-Gewinne tatsächlich so hoch ausgefallen sind, da SUEK wegen der internationalen Boykottmassnahmen gegenüber Russland womöglich nicht die gleichen Preise erzielen konnte wie andere Firmen. Dennoch ist allein schon das Volumen des SUEK-Kohlehandels sehr beachtlich.
Nicht in den obigen Schätzungen berücksichtigt sind weiter die allfälligen Übergewinne von Unternehmen der Strombranche. Die europäischen Strompreise sind im Zuge der Gaspreiserhöhungen stark gestiegen. Doch die Gestehungskosten sind bei Wasserkraftwerken oder AKW praktisch unverändert geblieben, wovon die Schweizer Stromkonzerne eigentlich stark hätten profitieren müssen. Allerdings werden im Strommarkt häufig Termingeschäfte getätigt, d.h. die Lieferverträge betreffen Zeiträume in der Zukunft, die Lieferpreise aber beziehen sich auf die Gegenwart. Steigen nun die Preise massiv, und sind die Anbieter überdies auf Zukäufe angewiesen, um ihre Lieferverträge erfüllen zu können, dann schmelzen die möglichen Übergewinne dahin. Genau dies ist der AXPO, dem zweitgrössten Stromversorger der Schweiz, passiert. Sie hat deshalb im Geschäftsjahr 2021/2022 (1. Oktober 2021 bis 30. September 2022) ihren Gewinn gegenüber der vorherigen Periode lediglich bei rund 600 Mio CHF halten, aber nicht steigern können8. Überdies war die AXPO mit (vorübergehenden) Liquiditätsproblemen konfrontiert. Diese sind entstanden, weil die Stromunternehmen für die auf Termin verkaufte Strommenge sehr hohe Sicherheitsleistungen erbringen müssen. Die AXPO musste sich dafür beim Bund eine Kreditlinie in der Höhe von 4 Mrd CHF zusichern lassen, die sie allerdings nun nicht hat in Anspruch nehmen müssen.
Die Alpiq, der grösste der Schweizer Stromversorger, hat im ersten Halbjahr 2022 den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) auf 114 Mio. CHF steigern können, gegenüber 83 Mio. CHF im ersten Halbjahr 20219. Die Bernische Kraftwerke AG BKW, drittgrösster Versorger, konnte ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2022 im Vorjahresvergleich um 37 Prozent auf rund 2,3 Milliarden CHF und ihr Betriebsergebnis (EBIT) um 46 Prozent auf 330 Millionen CHF steigern10. Die BKW hat im Oktober 2022 überdies verlauten lassen, dass sie die Elektroanlagen Dresden-Mitte GmbH übernommen und damit «einen weiteren Schritt hin zur Etablierung als deutschlandweit führende Dienstleisterin in der Hochspannungs-Anlagetechnik» gemacht habe.
Steuern auf Übergewinne
Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Übergewinne des laufenden Jahres, die im Rohstoff- und Energiegeschäft mit Schweizer Bezug erzielt werden, sich in einer Grössenordnung von mehreren Dutzend Milliarden CHF bewegen.
Solch enorme Übergewinne sorgen weltweit für Turbulenzen. Die Energiepreise sind 2022 in einem Ausmass gestiegen, das private Haushalte und viele produzierende Unternehmen erheblich belastet. Die Übergewinne sind zudem der Hauptauslöser für das aktuelle Inflationsgeschehen.
Leider bleibt der wirtschaftspolitische Mainstream bei der Bekämpfung dieser Inflation auf Leitzinserhöhungen durch die Zentralbanken fixiert. Solche Zinserhöhungen haben allerdings nicht die geringste Wirkung auf knappheitsbedingte Preiserhöhungen zur Erzielung von Übergewinnen. Ihre unmittelbare Wirkung ist vielmehr eine Verschärfung der Inflation, weil sie die Kapitalbeschaffung generell verteuern und die Hypothekarzinsen in die Höhe treiben. So wird für den Zeitraum bis 2025 – basierend auf einer Marktstudie der UBS – eine Verteuerung der Mieten in der Schweiz um bis zu 20% vorausgesagt. 11
Viel zielführender wäre es, Übergewinne durch Steuern abzuschöpfen. Denn erstens werden dadurch gezielt jene Firmen erfasst, die für die Auslösung der gegenwärtigen Inflation verantwortlich sind. Dadurch werden die Anreize für Preissteigerungen zurückgebunden. Zweitens erhält die öffentliche Hand dank einer solchen Steuer die nötigen Mittel, um die Folgen der Inflation abzufedern und um den dringend erforderlichen Wechsel von fossiler zu erneuerbarer Energieversorgung zu beschleunigen. Es sei daran erinnert, dass Kohle für 40% der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist12. Es ist mehr als stossend, dass nun ausgerechnet die Produzenten und Händler von Kohle Sonderprofite in Milliardenhöhe erzielen können.
Das Konzept der Besteuerung von Übergewinnen ist nicht neu. In den USA zum Beispiel galten während der Weltkriege Übergewinnsteuern von bis zu 95 Prozent. Damals sollten Übergewinne abgeschöpft werden, die auf dem Kriegsgeschehen beruhten13.
Übergewinnsteuern sind denn auch aktuell in vielen Ländern ein Thema. Sie sind im laufenden Jahr in vielen Ländern eingeführt oder ihre Einführung ist angekündigt worden. Grossbritannien hat den Steuersatz für Öl- und Gasförderungen aus der Nordsee von 25% auf 35% erhöht, und das bis ins Jahr 2028. Italien will die Sondersteuer für Energiefirmen ebenfalls von 25% auf 35% erhöhen. Österreich plant eine Übergewinnsteuer von bis zu 40%, und auch Deutschland diskutiert über eine Sondersteuer von 33%. Entsprechende Steuern sind weiter in Belgien, Griechenland, Rumänien, Spanien, der Tschechischen Republik und Ungarn ein Thema14. Die EU-Kommission hat Ende September 2022 nebst einer Strompreisbremse beschossen, ihre Mitgliedsländer aufzufordern, eine Übergewinnsteuer (als Solidaritätssteuer bezeichnet) einzuführen, die sich wie folgt bemisst: Basis ist der um 20% erhöhte Durchschnittsgewinn der Jahre seit 2018. Auf Gewinnanteile, die diese Basis übertreffen, beträgt die Übergewinnsteuer 33%15. Die Steuer ist vom Vorgehen der Spanischen Regierung inspiriert, die angesichts der aktuellen Preisdynamik als eine der ersten solche Solidaritätssteuern eingeführt hat16.
Die Politik muss handeln
In der Schweiz ist ein entsprechender Vorstoss im Parlament hängig. Balthasar Glättli, Präsident der Grünen Partei, verlangt in einer parlamentarischen Initiative, dass deutliche Übergewinne im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine mit einem höheren Steuersatz belegt werden. Im Parlament ist der Vorstoss noch nicht behandelt worden. Würde die Schweiz den Vorgaben der EU-Kommission folgen, dann würden alleine die Übergewinne der Firma Glencore aus dem ersten Halbjahr 2022 einen Steuerertrag von über 3 Mrd US$ erbringen17. Aufs Ganze Jahr bezogen könnte der Ertrag auf alle Übergewinne eine Grössenordnung von 10 Mrd CHF oder mehr erreichen.
Leider hat der Bundesrat verlauten lassen, dass er einer solchen Steuer nicht zustimmt. Das ist sehr bedauerlich. Es wäre dringend geboten, dass die Schweiz sich dem internationalen Trend zur Besteuerung von Übergewinnen anschliesst. Dies auch aus Gründen der Solidarität, insbesondere gegenüber den EU-Ländern. Denn ohne eine solche Steuer wird die Schweiz die EU-Steuerbemühungen unterlaufen und ihre Rolle als Steuerdumping-Domizil-Land für Rohstoffkonzerne und Handelsunternehmen nochmals verstärken. Weiter ist Glättli zuzustimmen, wenn er in der Begründung seines Vorstosses darauf hinweist, dass die Schweiz in der Pflicht steht: Sie soll sich angemessen am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen und zur Linderung der Hungerkrisen beitragen, die aufgrund der gestiegenen Preise von Grundnahrungsmitteln in verschiedenen Weltregionen drohen. Erträge aus Übergewinnen wären dafür eine passende Finanzierungsquelle.
Zum Autor: Beat Ringger ist Publizist und geschäftsleitender Sekretär des Denknetz von 2004 bis 2020.
Kategorie | Diskussion
Fussnoten
1. Dieser Text wäre nicht möglich geworden ohne die Expertise des Recherchedienstleisters Datacatering – vielen Dank. Für weitere wertvolle Hinweise danke ich Olivier Christie von DataCatering und Roland Herzog von der Denknetz-Fachgruppe Politische Ökonomie.
5. Grundlage für diese Auswahl bildet die Top-500-Liste der Handelszeitung, (gelesen am 1.11.22), plus Trafigura, die seit kurzer Zeit nicht mehr auf dieser Liste figuriert. Siehe dazu Jorgos Brouzos (2021). Von Liste verschwunden – Rätsel um grösste Schweizer Firma. In: Tages-Anzeiger vom 12.10.2021
13. Joseph J. Thorndike (2020). Should We Tax Excess Profits Or Pandemic Profits? In TAX NOTES FEDERAL, APRIL 20, 2020. (gelesen am 15.11.22)