Jo Lang

Diskussion

Putins Krieg und die Schweizer Linke
10.11.2022   |   So einig war sich die Linke friedens-, aussen- und sicherheitspolitisch schon lange nicht mehr. Das gemeinsame Handeln von SPS, Grünen, GSoA gegen den Tarnkappenbomber F/35 und die gemeinsame Klimafonds-Initiative von SPS und Grünen sind ein Ausdruck davon.
Aber die politische Übereinstimmung geht weit darüber hinaus. Die linksgrüne Einheit baut auf die grossen Klima- und Friedensmobilisierungen sowie auf die überparteilichen Diskussionen in deren Rahmen. Dabei spielte die Wochenzeitung über die Deutschschweiz hinaus eine vitale Rolle. Am wichtigsten wurde die WoZ in den Tagen und Wochen nach Putins Überfall auf die Ukraine.
Die wichtigsten gemeinsamen Inhalte seit dem 24. Februar 2022 sind:
1. Verantwortlich für den Überfall auf die Ukraine sind Putin und sein grossrussischer Chauvinismus. Die Folgerungen daraus sind vollständiger Truppenabzug und Verfolgung der Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.
2. Die Schweiz, die Putin über den Rohstoffhandel, die Oligarchen und die Dual-Use-Güter massive Beihilfe zur Aufrüstung geleistet hat, stoppt die Geldlieferungen nach Russland über umfassende Sanktionen.
3. Vor Ort und in den Nachbarländern wird humanitäre Hilfe gewährt, Flüchtlinge werden grosszügig aufgenommen.
4. Der Ukraine-Krieg liefert weder für erhöhte Armeeausgaben noch für einen Tarnkappenbomber sachlich-militärische Argumente.
5. Im Aufruf für die vom SGB organisierte Friedensdemo vom 2. April auf dem Bundesplatz steht, was Friedensförderung bedeutet: «Humanitäre Einsätze und eine aktive Friedenspolitik im Rahmen der OSZE und der UN-Charta stehen für uns im Zentrum.» Die Nato ist keine Option.
6. Die wichtigste allgemeine Lehre aus Putins Angriffskrieg lautet: Raus aus den fossilen Abhängigkeiten, Ausbau der Friedens- und Freiheitsenergien! Dazu kommt eine Forderung, die wenig erwähnt wurde, auch weil sie selbstverständlich ist: Die Schweiz soll den Atomwaffenverbotsvertrag endlich unterzeichnen. Weiter muss das Geldwäschereigesetz verschärft, mehr Transparenz über Firmenbeteiligungen geschaffen und die Konzernverantwortung wieder angepackt werden.

Zwei Blockdenk-Strömungen

Die linke Einheit wurde gestärkt durch die Gewerkschaften, die bei den Antikriegsdemos eine aktive Rolle spielten, und durch NGOs wie Public Eye. Sie lieferte wertvolle Informationen zur wichtigsten aller Schweizer Fragen: das Finanz- und Rohstoff-Embargo. Wie nachhaltig die gemeinsame Grundlage und Praxis der Linken ist, wird die Zukunft zeigen. Zu den offenen Fragen gehört die europäische «Sicherheitsarchitektur», die selbst noch in ihren Anfängen steckt und in einem wichtigen Punkt der schweizerischen Gesetzgebung widerspricht. Für die EU ist das UNO-Mandat nicht verbindlich, für die Schweiz sehr wohl (was eine wichtige linke Errungenschaft ist). Eine weitere offene Frage, die allerdings die Schweiz nicht direkt betrifft, ist die von Waffenlieferungen anderer Länder an die Ukraine. Bei der SP und den Grünen sind klare Mehrheiten dafür, in der pazifistischen GSoA sind die Meinungen geteilter.
In der Parteien- und erst recht Wählerbasis der Linken ist die Bandbreite grösser. So gibt es neben der emanzipatorischen Position, die von universellen Werten und nicht von Machtblöcken ausgeht, zwei – allerdings heterogene – Blockdenk-Strömungen: Eine östliche, teils stalinoide, und eine westlich-abendländische. Erstere steckt in den Fussstapfen jener Kreise, die 1968 den Einmarsch des Warschauer Paktes in die CSSR verteidigten oder verharmlosten und 1989 das Ende der DDR-Diktatur bedauerten. Letztere erinnert an die 1960er-Jahre, als das Gros der alten Linken den Krieg der USA gegen Vietnam unterstützte. Das «östliche» Blockdenken relativiert Putins Verantwortung für den Krieg, tendiert zur Forderung «Verhandlungen statt Sanktionen», womit nolens volens Russland unterstützt wird, und verweigert dem ukrainischen Widerstand die Solidarität. Das «westliche» Blockdenken lehnt sich stark an die Nato an, verdrängt dessen völkerrechtswidrige Kriege und die Katastrophe des «Kriegs gegen den Terror», misstraut der universellen UNO.
Das Blockdenken ist unter den Jüngeren auffällig marginaler als unter den Älteren. Den nach dem Ende des Kalten Kriegs Politisierten, insbesondere den Klimabewegten, leuchtet nicht ein, warum die Wichtigkeit der Menschenrechte von irgendeiner Lagerzugehörigkeit abhängen oder die Dringlichkeit der Ökologie irgendeinem Wirtschaftszwang untergeordnet werden soll. In der Romandie verläuft die Diskussion in der Linken nicht viel anders als in der Deutschschweiz. Allerdings gibt es mit der POP/PdA eine Partei, die im Ukraine-Krieg eine zweideutige Haltung einnimmt. Einerseits wird Putins Überfall verurteilt, andererseits werden dessen «Argumente» weitgehend übernommen. Die ökosozialistische Bewegung SolidaritéS, die sich stark am antistalinistischen Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) in Frankreich orientiert, vertritt mehrheitlich eine Position, die der Deutschschweizer Linken gleicht. Die Ausrichtung des wichtigsten Links-Organs Pages de Gauche ist vergleichbar mit der der WoZ.

Das Kapital-Putin-Verhängnis

Wenn die SPS, die Grünen, die GSoA, die WoZ und Pages de Gauche in der Ukraine-Frage einen Schwachpunkt haben, dann liegt er im mangelnden Offensivgeist gegen die hiesigen Bürgerlichen: Die gleichen Rechtskreise, die Putin jahrelange Beihilfe zur Aufrüstung geleistet haben, nützen nun deren Folgen aus, um die Schweiz aufzurüsten. Die SVP, die Mitte und die FDP haben mit ihrer Tiefsteuerpolitik, Standortförderung, Laxheit beim Geldwäschereigesetz, mit der Lieferung von Dual-Use-Gütern beispielsweise für die Herstellung von Bombertriebwerken sowie mit ihren Energieimporten Putins Kriegskasse alimentiert und Kriegsmaschine ausgerüstet. Die doppelte Aufrüstung wird – abgesehen von Ausnahmen – zu wenig thematisiert und skandalisiert.
Die Diskussion über die Verbindung von schweizerischem und russischem Kapital erfüllt noch einen weiteren Zweck: Der Vorwurf aus dem «östlichen» Blockdenken, wer einseitig gegen Russland und für die Ukraine Stellung beziehe, reihe sich ins westlich-kapitalistische Lager ein, lässt sich kontern mit dem Hinweis, dass ein gewichtiger Teil des europäischen Kapitals faktisch auf der Seite Putins stand – und weiterhin steht. Ein helvetisches Symbol dafür ist die Rettung von Putins Staatskasse durch Glencore nach der Krim-Annexion im Jahre 2016. Iwan Glasenberg, CEO des damals grössten Schweizer Konzerns, wurde 2017 von Putin der Freundschaftspreis der Russischen Föderation verliehen. Auch die Genfer Vitol-Gruppe, die Glencore zwischenzeitlich überholt hat, war und ist mit Russland eng verbunden.
Zusätzlich zum wirtschaftlichen Verhängnis westlicher Kapitalfraktionen mit dem ökonomischen Putinismus gibt es das rechtsextreme Verhängnis westlicher Demokratiefeinde mit dem politischen Putinismus. Das östliche Blockdenken verdrängt diese Tatsache wie auch das ultrakonservative Welt- und Menschenbild Putins weitgehend. Das Nato-nahe Blockdenken weicht der Frage aus, ob der Trumpismus und der Orbanismus, Kaczynski, Erdogan, Meloni, Salvini, Berlusconi et al. auch zur «westlichen Wertegemeinschaft» gehören.
Die Schweizer Linke, die in ihrer Friedens-, Aussen- und Militärpolitik auf einer humanistisch-universalistischen Basis eine einheitliche Linie gefunden hat, tut gut daran, diese gemeinsam weiterzuentwickeln. Dazu gehören die konsequente Verteidigung der Menschenrechte und des Völkerrechts (auch im Nahen und Fernen Osten), die Verstärkung des Engagements im UNO-Bund statt im Nato-Sonderbund, der Kampf für weltweite Abrüstung. Nur wenn die Militär- und Kriegsausgaben reduziert werden, lässt sich der globale Klimaschutz finanzieren.
Zur Person: Josef Lang ist Historiker, alt Nationalrat der Alternativ-Grünen Zug und GSoA-Vorstand.
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