Klimapolitik –
wie weiter?
Ein realpolitischer Erklärungsversuch

Die Schweiz hat sich in den letzten Monaten aufgerafft und die ersten Schritte für eine ambitioniertere Klimapolitik aufgegleist. Doch das Nein zum CO2-Gesetz hat der Klimabewegung einen plötzlichen Dämpfer verpasst. Wie konnte das passieren? Was für Lehren ziehen wir aus der verlorenen Abstimmung? Und wie geht es jetzt weiter? Wir suchen nach Gründen für diesen Volksentscheid. Und diskutieren, was für Schritte in den nächsten Monaten realpolitisch möglich sind, um die Zwischenziele des Pariser Abkommens doch noch einhalten zu können. Denn die Ziele in der Klimapolitik sind noch dieselben, und die Dringlichkeit nimmt mit jedem Jahr zu. Nur wenn wir einen Weg finden, wie die Forderungen auch umgesetzt werden, können wir unseren Beitrag zur globalen Netto-Null Herausforderung leisten.

Die Krux von Kompromissen

Als das Parlament im Jahr 2019 die Debatte über das CO2-Gesetz aufnahm, standen die Zeichen gut für eine klimapolitische Erneuerung in der Schweiz: Die Klimabewegung hatte volle Fahrt aufgenommen, im Parlament waren die umweltfreundlichen Kräfte nach den Gesamterneuerungswahlen sowohl im linken wie auch im bürgerlichen Lager stärker vertreten und der Bundesrat beschloss Netto-Null 2050. Damit nahm er das Hauptanliegen der Gletscherinitiative auf, noch bevor diese überhaupt in die interne Beratung kam. Sogar die FDP entdeckte irgendwo in ihrer DNA ein grün scheinendes Nukleotid. Entsprechend erwartungsvoll stieg man in die Debatte. Nach den Beratungen in der zuständigen Kommission zeichnete sich ein Kompromiss ab, der vom Parlament breit getragen wurde: Ambitionierte Ziele und etwas weniger ambitionierte Instrumente. Alles in allem aber ein ausgewogener Mix aus liberalen Lenkungsabgaben und CO2-Bepreisung, aus Vorschriften, Grenzwerten und Technologieförderung. Das Gesetz hätte zwar nicht gereicht, die Emissionen auf Netto-Null zu senken, aber es wäre eines der fortschrittlichsten Gesetze weltweit geworden. Und somit ein Schritt in die richtige Richtung.
Es war das Resultat solider Parlamentsarbeit. Aber – und das liegt in der Natur von Kompromissen – am Ende war doch niemand so richtig zufrieden. Das Gesetz kreiste so lange zwischen den Räten bis sämtliche Ecken und Kanten abgeschliffen waren. Keine Partei stand mit Herzblut hinter dem Kompromiss: Für ein blaues Gesetz war der neu zu schaffende Klimafonds zu etatistisch. Für ein grünes Gesetz waren die Absenkpfade zu flach. Für ein rotes Gesetz die Rückvergütung von nur der Hälfte der Lenkungsabgaben zu zurückhaltend. Und so blieb das Gesetz bis zum Schluss farblos. Was als Erfolgsrezept für die parlamentarische Beratung diente, wurde zum Todesstoss in der öffentlichen Debatte. Die Skepsis von Teilen der Klimajugend hat das Gesetz nicht zum Kippen gebracht. Aber es hat exemplarisch für Linksgrün gezeigt, womit auch Blaugrün zu kämpfen hatte: Der eigenen Wähler*innenbasis den schalen Geschmack eines technischen Kompromisses zu erklären.
Einem Kompromiss fehlt naturgemäss ein emotionales Commitment. Und die Emotionen fehlten auch im Abstimmungskampf. Die Kampagne war zwar solide gemacht und mit ausreichend finanziellen Ressourcen ausgestattet, aber sie hat es nicht geschafft, die Dringlichkeit des Themas zu vermitteln. Von der klimapolitischen Aufbruchsstimmung, wie sie die Klimajugend entfacht hatte und so der Debatte anfangs den nötigen Schub verlieh, war kaum mehr etwas zu spüren. Dabei hätte es im kollektiven Bewusstsein genügend Symbole gegeben, um die Kampagne – trotz Corona – emotional aufzuladen und so eine Bewegung zu schaffen wie 2015, als das Volk mit 58% JA gesagt hat zur Energiestrategie 2050 oder wie bei der Klimawahl 2019. Mit Klimapolitik fürs Herz hätte man die Rappenspalter-Argumente der Gegner entkräften können. Man hätte genügend Unterstützer*innen mobilisieren können, um das fehlende Engagement des Bauernverbandes und seiner ländlichen Kreisen zu kompensieren. Und man hätte genügend Beispiele gehabt, um die über 1.5 Jahren Corona-Pandemie gewachsene Behörden-Skepsis zu überwinden.
Das gescheiterte CO2-Gesetz ist eben auch ein Lehrstück über Realpolitik. Ihr Handlungsspielraum spannt sich auf zwischen dem, was angesichts drohender Krisen dringend gemacht werden müsste und dem, was aufgrund politischer Kräfteverhältnisse umsetzbar ist. Diese Kluft lässt sich im direktdemokratischen System der Schweiz auch mit einer erdbebengleichen Klimawahl nicht schliessen. Für uns Politiker*innen heisst das, dass wir in kleinen Schritten für politische Lösungen kämpfen müssen, Kompromiss für Kompromiss. Dies zu erklären, wird aber zunehmend schwieriger: Was unter der Bundeshauskuppel passiert, kann überall nachverfolgt werden, die Bilder der Abstimmungsresultate werden zeitgleich auf Twitter verbreitet. Gerade in diesen Zeiten muss der Wert eines Kompromisses wieder höher eingeschätzt werden. Und auch wir Parlamentarier*innen müssen die Kompromisse, die wir im parlamentarischen Prozess erringen, wieder mit Bestimmtheit vertreten.

Die nächsten Schritte

Was bedeutet die Absage ans CO2-Gesetz aber nun für die Klimapolitik der nächsten Jahre? Wichtig ist: Das Resultat vom 13. Juni war kein Nein zum Klimaschutz. Es war ein Nein zu einem liberalen Kompromiss, ein Nein zu einem Gesetz ohne Herz. Aber das Ziel, die globale Erwärmung auf unter 1.5°C zu halten, hat sich dadurch nicht verändert. Das Ziel, dass die Schweiz bis 2050 aus den fossilen Energieträgern aussteigt und sie bis 2030 halbiert, steht immer noch. Und das ist Auftrag genug, andere Ansätze und Wege zu finden, um die Klimapolitik weiter zu bringen. Klimaschutz muss künftig stärker über den Bundeshaushalt finanziert werden.
Als erstes gilt es, den Status Quo des alten CO2-Gesetzes weiterzuführen. Die Massnahmen, die Ende dieses Jahres auslaufen, müssen verlängert werden. Allen voran das Reduktionsziel der Schweiz. Aber auch die Befreiung der CO2-Abgabe bei individuellen Zielvereinbarungen für Unternehmen soll weitergeführt werden. Die zuständige Kommission hat dafür bereits ein Projekt auf den Weg geschickt. Bis im Dezember soll die Beratung durch die Räte beendet sein, sodass auch die befristeten Massnahmen des CO2-Gesetzes bis mindestens 2024 weiterlaufen.
Zweitens muss das alte CO2-Gesetz punktuell verbessert werden. Unbestrittene Punkte existieren, und die klimafortschrittlichen Kräfte sind bereits mit Hochdruck daran, diese umzusetzen. Zum Beispiel könnte ein Klimafonds geschaffen und statt über Lenkungsabgaben mit Mitteln der öffentlichen Hand geäufnet werden. Damit könnte ein Teil der Investitionen finanziert werden, wie zum Beispiel der Ausbau des Nachtzugangebotes. Der Finanzplatz soll – wie im neuen CO2-Gesetz vorgesehen – zumindest deklaratorisch in die Pflicht genommen werden. Indem die SNB und FINMA die Klimarisiken evaluieren, öffentlich kommunizieren und Massnahmen einleiten, um diesen Risiken entgegen zu wirken. Und die Flottenziele der Automobilimporteur*innen sollen zumindest entsprechend den Plänen der EU schrittweise reduziert werden, sodass wir nicht hinter den internationalen Effizienzstandards hinterherhinken. In der Woche nach den nationalen Abstimmungen wurden bereits zahlreiche Vorstösse deponiert, mit denen die bisherige Gesetzesgrundlage angepasst werden können. Um genau solche Massnahmen einzuführen, für die zumindest im Parlament ein Kompromiss gefunden worden war. So können die Stellschrauben jetzt einzeln gestellt werden.
Drittens braucht es eine Allianz der Willigen. Wirtschaftsverbände, NGOs, zivilgesellschaftliche Organisationen – sie alle haben sich während des Abstimmungskampfes zum Klimaschutz verpflichtet. Diese Bestrebungen können auch ohne gesetzliche Grundlage umgesetzt werden. Die Ziele aus dem Pariser Abkommen, die Emissionen bis 2030 zu halbieren, können von Unternehmen weiterhin verfolgt werden. Freiwilliges Engagement, insbesondere von Wirtschaftsakteur*innen und gesellschaftlichen Organisationen, wird an Bedeutung gewinnen.
Viertens müssen die Möglichkeiten ausserhalb des CO2-Gesetzes voll ausgeschöpft werden. Dazu gehört insbesondere die Energiepolitik: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss rasch vorangehen, um fossil- und nuklearfreien Strom für die Dekarbonisierung des Verkehrs und des Gebäudeparks bereitzustellen. Dass dies möglich ist, hat das Parlament bereits drei Tage nach der verlorenen CO2-Abstimmung bewiesen: Es hat einer Verlängerung und einem Ausbau der Fördermassnahmen für die Erneuerbaren zugestimmt. Mit der Revision des Energiegesetzes wird in den kommenden Monaten diese Diskussion weitergehen. Dabei muss neben dem Umbau des Energiesektors auch die Notwendigkeit von Effizienz- und Suffizienzmassnahmen diskutiert werden. Und die Gletscher-Initiative bietet die Möglichkeit mit einem indirekten Gegenvorschlag rasch weitere Massnahmen auf Gesetzesstufe zu beschliessen.
Fünftens muss der politische Druck hoch bleiben. Die Klimaziele dürfen nicht heruntergeschraubt werden. Die Klima-Allianz wird mit einer Initiative das Thema Finanzplatz aufnehmen. Und die Jungen Grünen lancieren mit der Umweltverantwortungsinitiative eine Grundsatzdebatte über ein mögliches Wirtschaftssystem.
Und schliesslich muss sechstens der nächste Anlauf zur Reform der Klimapolitik an die Hand genommen werden. Aber auch das ist möglich: Denn das revidierte CO2-Gesetz hätte nicht gereicht, um die Klimaziele zu erreichen. Weitere Schritte wären sowieso notwendig gewesen. Jetzt sind wir zwar über einen Tritt gestolpert, aber wir werden deswegen nicht vom Weg abweichen. Sondern werden weitergehen und jede Gelegenheit ergreifen, die eine realpolitische Verbesserung für das Klima bringt. Schritt für Schritt.
Zur Person: Franziska Ryser ist Nationalrätin der GRÜNEN und Vorstandsmitglied des Denknetz.