Werner A. Meier
Pascal Zwicky

Diskussion

Demokratiegerechte Schweizer Leitmedien vs. polarisierende Techkonzerne?
08.12.2021   |   Die Corona-Pandemie wirft ein Schlaglicht auf vieles, was bereits zuvor im Argen lag. Dazu gehört der problematische Zustand der schweizerischen (Medien-)Öffentlichkeit. Seit Jahren wird die für unsere Demokratie unentbehrliche «journalistische Infrastruktur» durch profitgetriebene private Medienunternehmen und eine eher defensiv agierende SRG ausgedünnt. Die US-Techkonzerne fördern mit ihren «Social Media»-Plattformen Fake News, Hassreden und Filter-Bubbles. Vor diesem Hintergrund findet am 13. Februar 2022 die Abstimmung über das «Massnahmenpaket zugunsten der Medien» statt. Ein guter Zeitpunkt also, um einen differenzierten Blick auf die hiesige Medienlandschaft zu werfen.
Es ist eine der Eigenheiten der schweizerischen Demokratie, dass die stimmfähigen Mitglieder der Zivilgesellschaft regelmässig von Bundesrat und Parlament aufgefordert werden, sich über anstehende Themen schlau zu machen, zu debattieren und an einem bestimmten Wochenende darüber abzustimmen. Volksabstimmungen sind allerdings nicht immer vorgesehen. In solchen Fällen wird die Regelsetzung dann meist an Wirtschaftsunternehmen oder Verbände delegiert. Gerade im Medienbereich ist es durchaus üblich, die Regulierung den Medien- und Kommunikationsunternehmen selbst zu überlassen. Auch beim im nächsten Februar zur Abstimmung gelangenden Massnahmenpaket zugunsten der einheimischen Medien haben die führenden Verlagshäuser des Landes an einem runden Tisch ihre Vorstellungen artikuliert und einem Kompromiss zugestimmt, der vom Parlament bestätigt wurde. Erst das erfolgreiche Referendum ermöglicht nun eine breite öffentliche Debatte in den einschlägigen Leitmedien und Plattformen.
Ein behutsames Vorgehen wählt der Bundesrat bezüglich der Frage, ob und wie die Kommunikationsplattformen von Google/Alphabet, Facebook/Meta etc. reguliert werden könnten. Am 17. November 2021 hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) beauftragt, ihm bis Ende 2022 ein entsprechendes Aussprachepapier vorzulegen.
Im vorliegenden Beitrag geht es nicht darum, die vom Bundesrat ins Auge gefassten Massnahmen zur Förderung der kommerziellen Alt-Medien in der Schweiz und diejenigen zur Einhegung der amerikanischen Plattformen zu analysieren. Es soll vielmehr auf die offensichtlichsten Gemeinsamkeiten von kommerziellen Verlagshäusern und amerikanischen Plattformkonzernen aufmerksam gemacht werden. Dies ist umso mehr nötig, als die aktuelle Debatte dazu tendiert, die Schweizer Leitmedien zu adeln, während die amerikanischen Plattformen als Gefahren für die Leistungsfähigkeit der politischen Öffentlichkeit und der Demokratie gebrandmarkt werden. Die Affiche lautet: Gierige amerikanische Techkonzerne ruinieren qualitativ hochstehende Schweizer Presse. Das Narrativ tönt gut, erzählt allerdings nicht einmal die halbe Wahrheit.

Unabhängige Medien?

Klassische Leitmedien zelebrieren ebenso wie Techkonzerne bestimmte Ideale und schwärmen von freien Medien, unabhängigem Journalismus, von der Grundversorgung und Systemrelevanz für die direkte Demokratie, von kritischer Berichterstattung und von Vierter Gewalt im Staat als Wächteramt. In der NZZ liest sich das dann so: «Für die Glaubwürdigkeit privater Medienunternehmen ist die grösstmögliche Unabhängigkeit von zentraler Bedeutung. Nur so ist eine kritische Berichterstattung möglich. Journalisten müssen Bedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben, sich mit den Mächtigen anzulegen. Journalisten müssen nahe an der Politik sein und gleichzeitig so staatsfern wie nur möglich. Voraussetzung für diese Unabhängigkeit ist ein privates Finanzierungsmodell».
Zum tatsächlichen Verständnis von Medien und Journalismus trägt diese ideologisch aufgeladene Beschwörung «privater Medien» und des «unabhängigen Journalismus» allerdings nicht viel bei. Eine realistische Analyse kommt zum Schluss, dass Medien wie alle Organisationen in die Gesellschaft eingebettet sind. Ein börsenkotierter Medienkonzern wie die TX Group (ehemals Tamedia) muss Renditen liefern. Die mächtigen Verlegerfamilien oder Aktionär:innen (wie im Falle der NZZ) wissen ihre ökonomischen Interessen und politischen Überzeugungen in die Redaktionen hinein durchzusetzen. Ein Regionalmedium kann nicht einfach unabhängig von seinem Publikum und seinen Werbekunden am Markt überleben. Gleiches gilt für eine «alternative» Zeitung wie die WOZ. Und die SRG sieht sich als öffentliches Medienunternehmen stärker mit parlamentarischem und ausserparlamentarischem Druck konfrontiert. Absolute Unabhängigkeit ist eine Illusion. Und sie wäre auch nicht wünschenswert – wer möchte schon von Organisationen informiert werden, die sich von der Gesellschaft abkoppeln? Wichtig ist aber eine Vielfalt von voneinander unabhängigen und auch unterschiedlich institutionalisierten Medienorganisationen. Aufgabe einer progressiven Medienpolitik wäre es, diese Vielfalt zu ermöglichen und zu stärken. Ein vielstimmiger und ebenso vielfältiger Journalismus wäre das, was eine nachhaltige demokratiegerechte Öffentlichkeit ausmacht.

Eigentumsverhältnisse und Geschäftsmodelle strukturieren Publizistik

Nicht die Unabhängigkeit der Medien und Techkonzerne ist entscheidend für ihre Machtfülle und Leistungsfähigkeit, sondern ihre Eigentumsverhältnisse, ihre strategischen Zielsetzungen, ihr unternehmerisches Führungspersonal, ihre wirtschaftlichen und politischen Ressourcen sowie ihre gesellschaftlichen Einbettungen und Abhängigkeiten. Auch in der Schweiz liegt die Medien- und Meinungsmacht in den Händen weniger einflussreicher Personen bzw. Familien. Im Zentrum stehen die Familien Coninx (TX Group), die Familie Ringier (welche u.a. die Blick-Gruppe herausgibt) und die Familie Wanner mit der CH-Media-Gruppe sowie die NZZ-Gruppe, die allerdings keine einflussreichen Familienbindungen im exklusiven Aktionariat aufweist. Gemäss dem Feuilleton-Chef der NZZ handelt es sich um «reiche und schwerreiche Familien, die über Jahrzehnte vorzüglich am Mediengeschäft verdient haben und immer noch gut verdienen.»
«Entscheidend ist das Geschäftsmodell oder auch die Motivation, die hinter Medienbesitz steckt», bringt es Olaf Steenfadt vom Media Ownership Monitor (MOM) gegenüber dem Deutschlandfunk auf den Punkt. Neben der konsequenten Profitorientierung stehen bei Leitmedien auch politische Motive und Zielsetzungen von Besitzer:innen, Aktionär:innen, Management und Redaktion fallweise hoch im Kurs. Auch wenn die NZZ kein Parteiblatt ist und der Chefredaktor kein Mitglied der FDP, so stellt sich eine grosse Nähe zum Freisinn ein, weil die publizistische Aufgabe der NZZ darin besteht, sämtliche politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Schweiz und des dafür relevanten Auslandes aus einer wirtschaftsliberalen Perspektive zu beobachten, zu analysieren, zu bewerten und zu kommentieren. Abgesichert durch das Redaktionsstatut, das im Arbeitsvertrag integriert ist, führt dies zwangsläufig zu einer grossen politischen und publizistischen Nähe zur Wirtschaft und zur FDP. Diese politische Einbettung manifestiert sich weniger bei den nationalen und globalen Techkonzernen, doch die Gemeinsamkeiten von kommerziellen Medien- und Techkonzernen wachsen ständig, weil die jeweiligen Geschäftsmodelle fast identisch sind.
Die Ausübung von wirtschaftlichen, politischen und publizistischen Formen der Macht auf der einen, und die Ambivalenz von Machtaffinität und Machtabhängigkeit von eingebetteten Leitmedien auf der anderen Seite sind nach wie vor blinde Flecken in Medienorganisationen.

Werbefinanzierung als grosse Gemeinsamkeit

Was klassische Medienunternehmen und Techkonzerne wirklich verbindet – und auch alle nachgelagerten Aktivitäten (also auch den Journalismus) strukturell definiert und bündelt – ist ihr Geschäftsmodell, konkret die Werbefinanzierung. Werfen wir einen kurzen Blick zurück in Geschichte: Der wirtschaftsliberale Staat hat den Zeitungen und Medien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Geschäft verholfen. Mit dem Einsatz von Werbung sind die Medien zu einer lukrativen Industrie geworden. In der Schweiz hat diese Entwicklung mit der Lancierung des «Tages-Anzeiger» im Jahr 1894 ihren Anfang genommen. Für die führenden Zeitungen war das primär auf Werbung basierte Geschäftsmodell ein finanzieller Erfolg, der sich bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts fortsetzte. Die Werbeeinnahmen deckten die Produktionskosten der Zeitungen, die Aboeinnahmen diejenigen der Distribution. Das von der erfolgsverwöhnten Verlegerschaft bewusst gewählte Geschäftsmodell entpuppte sich allerdings immer bei Konjunktureinbrüchen als volatil, weil die Werbeeinnahmen in Zeiten von Rezession rasch einbrachen… bis zum nächsten konjunkturellen Aufschwung. Seit dem Jahr 2000 sind allerdings die Werbeeinnahmen strukturell sukzessive zurückgegangen. Die werbetreibende Wirtschaft sah sich nach neuen Partnern um, während die Verlegerschaft sehr lange brauchte, bis sie merkte, dass ihr demokratiepolitisch umstrittenes Geschäftsmodell im Zuge der Digitalisierung versagte.
Der Verkauf von Aufmerksamkeit an die werbetreibende Wirtschaft nach erfolgtem Micro-Targeting ist aktuell das extrem einträgliche Geschäftsmodell der Techkonzerne, während dasjenige der klassischen Medien als Auslaufmodell gilt. Das Problem dabei ist: Je weniger Werbeeinnahmen den Journalismus finanzieren, und der Journalismus selbst als Geschäftsmodell herhalten muss, desto mehr gerät er auch unter Druck. Entweder ziehen sich die Verleger aus dem Journalismus zurück – die Sparmassnahmen der letzten Jahre, ja sogar Jahrzehnte zeugen genau davon – oder der Journalismus wird durch organisierte Interessen aus Staat und Wirtschaft instrumentalisiert und als PR-Maschine missbraucht. Das ist das Dilemma: Fällt die Werbefinanzierung journalistischer Medien mehrheitlich weg und existiert kein alternatives, substanzielles Finanzierungsmodell (resp. die Bereitschaft von Verleger:innen, Journalismus unternehmerisch quer zu subventionieren), dann schwächt das den Journalismus als gesellschaftliche Institution noch stärker. In diesem Kontext wird ein Ausbau der Medienförderung, über die wir im Februar abstimmen, zur dringlichen Aufgabe.

Noch immer hoch profitabel

Nicht nur Meta und Alphabet, sondern auch alle grossen Schweizer Medienhäuser sind nach wie vor hoch profitabel. Während Alphabet allein vom Januar bis September 2021 weit über 50 Milliarden Dollar Gewinne eingefahren hat, erzielten TX Group, Ringier, die NZZ-Gruppe und CH Media gemäss einschlägigen journalistischen Recherchen in den letzten zehn Jahren Betriebsgewinne vor Steuern und Abschreibungen von insgesamt 3,8 Milliarden Franken. Diese grossen Vier wiesen 2020 einen operativen Gewinn von 280 Millionen Franken aus. Ein Jahr zuvor waren es 370 Millionen.
Woher kommt dieses Geld? Nicht nur Meta und Alphabet machen das grosse Geld mit Werbeeinnahmen, das trifft nach wie vor auch auf die schweizerischen Grossverlage TX Group und Ringier zu. Zwar hat die gesamte Schweizer Presse 2020 mit Inseraten nur noch rund 522 Millionen Franken eingenommen (im Jahr 2000 waren es noch fast 2 Milliarden). Doch die Transformation vom analogen zum digitalen Werbeverkäufer haben die TX Group und Ringier bereits geschafft. Ringier soll im Jahre 2020 mit digitalen Rubrikenplattformen 419 Millionen Franken erzielt haben, während die TX Group mit ihren Plattformen 252 Millionen Franken verdiente. Dazu kamen Inserateeinnahmen aus publizistischen Produkten und Online-Plattformen von 274 Millionen Franken. Im Jahre 2019 kamen insgesamt 628 Millionen zusammen.
Werbung ist also nach wie vor ein lukratives Geschäftsmodell für die neuen Schweizer Techkonzerne TX Group und Ringier. Die unternehmerische Transformation hat jedoch dafür gesorgt, dass diese Einnahmen vom Journalismus entkoppelt werden. Dementsprechend fliesst das Geld auch immer weniger zurück in den Journalismus. Ein anspruchsvoller Journalismus wird zunehmend zum entscheidenden unternehmerischen Kostenfaktor.

Extrem hohe Markt- und Machtkonzentration bei Medien und Plattformen

Während die Techkonzerne aus dem Silicon Valley ständig mit Vorwürfen der Behinderung und sogar der Ausschaltung des Wettbewerbs oder der unrechtmässigen Abschöpfung von Monopolgewinnen konfrontiert werden, müssen sich die Schweizer Verlagshäuser nicht für ihr oligopolistisches oder monopolistisches Markt- und Machtverhalten rechtfertigen – obwohl sie auch im europäischen Vergleich über extrem hohe Konzentrationsindices in einem für die Demokratie zentralen Markt verfügen. In der einschlägigen Fachliteratur wird denn auch von einem eklatanten Markt- und Politik- bzw. Staatsversagen gesprochen, weil es den wenigen nationalen Medienhäusern und global operierenden Techkonzernen in der Rolle der «National Champions» seit Jahren und Jahrzehnten gelingt, ihre dominanten Positionen nicht nur zu halten, sondern noch auszubauen. Die Folgen in der Medienlandschaft sind bekannt: Abbau und Konzentration, zusammengelegte Redaktionen (jüngst auf dem Platz Bern), Ausdünnung oder Abschaffung von Fachredaktionen. Begleitet werden diese demokratieschädlichen Massnahmen durch das hohe Lied der regionalen und lokalen Medien, die krampfhaft versuchen, ihrer immer älteren und schrumpfenden Leserschaft eine gesellschafts- und demokratiepolitische Unentbehrlichkeit schmackhaft zu machen und gleichzeitig die digitale Transformation vorantreiben.

Gegenseitige Zusammenarbeit und Abhängigkeiten

Auf der Vorderbühne wird so getan, ob Alt-Medien sich im Clinch mit den Techkonzernen befinden. Der Kampf um die Durchsetzung des Leistungsschutzrechtes gehört dazu. Auf der Hinterbühne jedoch gibt es eine facettenreiche freiwillige und unfreiwillige Zusammenarbeit. Künftig sollen Nutzer:innen auf der Facebook-App unter «Facebook-News» eine Auswahl von journalistischen Beiträgen erhalten, die bestimmten Qualitätsstandards genügen. In Deutschland sind alle grossen Verlage dabei. Die Springer-Tochter Upday kuratiert die von Facebook ausgewählten Beiträge und vergütet sie den beteiligten Verlagsgruppen. Facebook resp. Meta will dafür in finanziell interessanten Märkten in den nächsten drei Jahren einen Betrag von annährend einer Milliarde Franken einsetzen. In Australien profitiert der Marktführer News Corporation des Murdoch-Imperiums bereits von diesem Investment und erwartet eine Gewinnsteigerung.
Die Techkonzerne betreiben nicht nur Medienförderung zu sehr kulanten Bedingungen, sondern sie versuchen auch, das, was sie nicht haben, nämlich journalistische Inhalte, von den Medienkonzernen zu erwerben. Sie wollen ihr Geschäftsmodell mit demjenigen der Alt-Medien komplettieren und gleichzeitig diese in eine Art Zwischenhändler- bzw. Lieferanten-Position versetzen. Bereits 2015 hat Alphabet mit Hilfe der Digital News Initiatives (DNI) den «Qualitätsjournalismus» durch Innovation und Technologie unterstützt. Auch Schweizer Verlage waren Nutzniesser. 16 Projekte sind mit einem geschätzten Betrag von 3,655 Millionen Euro finanziert worden. Kürzlich hat Alphabet Google News Showcase (GNS) gegründet. Damit will Google die Nutzung journalistischer Inhalte bezahlen. Dafür ist in den nächsten drei Jahren ein Betrag von annähernd einer Milliarde Franken vorgesehen. Profitieren werden in erster Linie die grossen Medienkonzerne in den jeweiligen Sprachmärkten. Die kleinen der Branche gehen in der Regel leer aus. Immerhin erhielt die lokale Plattform «Tsüri» aus einem Coronafonds von Google Fr. 12’000. Der Betrag soll an keinerlei Bedingungen geknüpft gewesen sein.1
Was aktuell den Techkonzernen in ihrer plattformbasierten Information und Kommunikation als problematisch angekreidet wird, ist für die Alt-Verleger nichts Neues. Auch ihre Werbebotschaften und Medieninhalte «leiden» im Grunde an denselben und von der Wissenschaft gut erforschten Folgen des Geschäftsmodells – einfach etwas weniger ausgeprägt und weniger offensichtlich: Mangelhafte Transparenz bei Werbung und im redaktionellen Teil; mangelnde Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt; PR-Beiträge, die als redaktionelle Beiträge aufgemacht werden; eine beeinträchtigte politische Meinungsbildung aufgrund der Marginalisierung von Stakeholdern aus der Zivilgesellschaft; Gefährdung von Gesundheit und Sicherheit durch opportunistische PR-Berichterstattung; bewusst akzeptierte und bewusst verbreitete Falschmeldungen von mächtigen Personen und Institutionen; Quasi-Zensur, Selbstzensur und Intransparenz über Interessenbindungen. Die Medien- resp. Geschäftswelten konvergieren – auch hier.

Medien- und Plattformpolitik

Welche medienpolitischen Antworten auf diese Situation gibt es? Das «Massnahmenpaket zugunsten der Medien», über das im Februar 2022 abgestimmt wird, zielt primär auf einen Ausbau der bisherigen indirekten Förderung. Da auch die Leitmedien der Konzerne davon profitieren, trägt das neue Mediengesetz zu einer Stärkung des Status quo bei. Gleichzeitig führt diese Tatsache dazu, dass sich – vor dem Hintergrund des tiefgreifenden Strukturwandels – selbst die NZZ-Gruppe contre-coeur für stattliche staatliche Beihilfen zugunsten der digitalen Transformation und der Distribution der Zeitungen ausspricht. Genauso wie CH Media, Ringier und die TX Group. Auch der Verlegerverband stellt sich hinter das von Bundesrat und Parlament geschnürte Medienförderpaket. Der wohl interessanteste Aspekt des Pakets ist die Förderung journalistischer Online-Medien (30 Millionen CHF pro Jahr), die mit dem Gesetz neu vorgesehen ist. Das ermöglicht grundsätzlich eine Stärkung der Medienvielfalt, den Support neuer Medien auch im lokalen und regionalen Raum.
Das Medienförderungspaket ist kein grosser Wurf. Es kann in der jetzigen Situation aber zu einer gewissen Stabilisierung beitragen. Gerade vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entkoppelung von Werbung und Journalismus resp. der damit verbundenen Finanzierungskrise journalistischer Arbeit, fehlt es in der Schweiz leider nach wie vor an einer direkten Förderung von publizistischen Leistungen und Redaktionen jenseits der SRG, also auch im «privaten» Sektor. Bereits vor knapp zehn Jahren haben wir in einem Beitrag für die Medienwoche von einem «Recht auf angemessene Information» geschrieben: «… die in der Verfassung garantierte Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit verpflichtet den Staat eben auch, dafür zu sorgen, dass die Bürger angemessen und demokratiegerecht informiert werden.» Diese Einschätzung gilt heute noch viel mehr. Eine direkte Medien- und Journalismusförderung bedarf einer Verfassungsänderung, konkret ginge es etwa um eine Anpassung von Art. 93. Leider scheint der politische Mut zu diesem Schritt noch immer zu fehlen. Jüngst hat die Fernmeldekommission des Nationalrats (KVF-N) eine parlamentarische Initiative abgelehnt, die Artikel 93 als technologieneutralen Artikel formulieren wollte, um auf dieser Grundlage zukünftig auch Presseunternehmen direkt fördern zu können.
Unbestritten ist, dass digitale Plattformen und traditionelle Leitmedien mittels ihrer Angebote unser Leben nachhaltig beeinflussen. Wir haben uns im vorliegenden Text auf die Verhaltensweisen und Praktiken von Leitmedien und Plattformen konzentriert, die unter privatwirtschaftlichen Anreizen und Zwängen arbeiten, weil diese Anreize die Schaffung und Erbringung von Dienstleistungen in einer Weise beeinflussen und steuern, die zu Konflikten mit den Interessen von Demokratie und Zivilgesellschaft führen. Die polit-ökonomische Analyse der Geschäftsmodelle von Plattformen und Leitmedien, konzentriert sich primär auf die Art und Weise, wie die jeweiligen Eigentümer die Nutzerinnen und Nutzer mittels ihrer Geschäftsmodelle ausbeuten und die digitale Ungleichheit verstärken.2 Insbesondere die konzerngetriebene Wertschöpfung manifestiert sich als Ausbeutungskraft, die Google/Alphabet mittels sechs einseitig proklamierter Zielsetzungen institutionalisiert hat. So beansprucht der Techkonzern menschliche Erfahrung (Daten) als herrenlosen Rohstoff, wandelt sie in Verhaltensdaten um und nimmt diese endgültig in Besitz. Nach deren Entschlüsselung entscheidet allein die Konzernspitze, wie und wozu sie den erbeuteten Mehrwert einsetzt. So funktioniert Plattformkapitalismus.3
Um dieser Ausbeutung zu begegnen, muss die Grenze zwischen dem, was für kommerzielle Zwecke besessen und genutzt werden darf, und dem, was als kollektives und öffentliches Eigentum betrachtet werden soll, neu gezogen werden. Mit einer Abkehr vom werbefinanzierten Geschäftsmodell könnte der Einsatz digitaler Strukturbildung und deren Finanzierung neu überdacht werden. In diese Richtung zielt ein aktuelles Positionspapier der Sozialdemokratischen Fraktion der Bundesversammlung, das einen Ausweg aus der Medienkrise aufzeigen möchte. Im Papier wird eine sichere Finanzierung der SRG gefordert, zu der neu auch Einnahmen aus Online-Werbung beitragen sollen. Die SP setzt also nicht auf eine Abkehr von der Werbefinanzierung der SRG – im Gegenteil. Auf Basis dieses finanziellen Fundaments soll die SRG dann zu einer Art Nachrichtenagentur werden, die von den privaten – lizenzierten, dem journalistischen Kodex des Presserates verschriebenen – Medien kostenlos genutzt werden kann. Zudem soll die SRG Plattformen und Kanäle betreiben, deren Technologien und Reichweiten im Sinne einer «digitalen Allmende» allen Schweizer Medien sowie Privatpersonen zur Verfügung stehen.
Die Herausforderung der Zukunft besteht darin, die traditionelle Medienpolitik auch als Plattformpolitik zu begreifen und beides zu verbinden. Gesucht sind Wege, um aus der kommerziellen Datafizierung der (Medien-)Öffentlichkeit auszusteigen und die zukünftigen Medieninvestitionen im Rahmen von öffentlichem Eigentum und nicht-kommerziellen Geschäftsmodellen zu realisieren: beispielsweise öffentlich finanzierte Suchmaschinen und Daten- und Wissensbestände in kollektivem, zivilgesellschaftlichem Besitz. Daten sollen nicht verkauft oder zur Erzielung von Werbeeinnahmen genutzt werden. Hinzu kommen solide finanzierte öffentlich-rechtliche Medien, die als wichtiger Pfeiler einer vielfältig institutionalisierten Medienlandschaft eine demokratierelevante und demokratiegerechte öffentliche Debatte jenseits von Fake-News und Verschwörungstheorien sichern.

Fussnoten

1. Siehe: Wüstholz, Florian (2021): Kleine bleiben auf der Strecke. In: Schweizer Journalist, Heft 3, Seite 79-81.
2. Siehe: Bonfadelli, Heinz und Meier, Werner A. (2021): Dominante Strukturen und Akteure der Digitalisierung: von «Digital Divide» auf Mikro-Ebene zu «Digital Inequality» auf Makro-Ebene. In: M. Eisenegger et al. (Hrsg.) Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Wiesbaden, S. 421-445.
3.Siehe: Zuboff, Shoshana (2018): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Frankfurt/New York, S. 210.
Zu den Personen: Werner A. Meier ist Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer der Arbeitsgruppe für Kommunikationswissenschaft (AGK). Pascal Zwicky ist Geschäftsführer des Denknetz und war vor langer Zeit auch einmal als Kommunikationswissenschaftler aktiv.
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