Lisa Herzog
Bénédicte Zimmermann

Kommentar

Nachhaltige Arbeit – Greenwashing oder potenzielle Politisierung der Arbeit?*
17.06.2025 | Wenn uns der Kurswechsel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingen soll, dann muss sich auch die Arbeitswelt verändern. Auch Arbeit muss nachhaltig werden. Basierend auf der wissenschaftlichen Literatur lassen sich vier Dimensionen unterscheiden, die ein Begriff der „nachhaltigen Arbeit“ berücksichtigen muss. Die Praxis „nachhaltiger Arbeit“ kann dann aber nur Resultat demokratischer Aushandlungsprozesse sein.
In den Texten internationaler Organisationen, z.B. bei der Internationalen Arbeitsorganisation oder bei verschiedenen Organen den Vereinten Nationen, findet man seit einigen Jahren einen Diskurs über „nachhaltige Arbeit.“ Der Grundgedanke ist klar: der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise wird auch massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. Manche Jobs, z.B. im Kohlebergbau, wird es nicht mehr geben, dafür neue, z.B. im Bereich erneuerbarer Energie. Aber auch in vielen anderen Jobs müssen sich Dinge ändern, um ökologisch nachhaltiger zu werden, z.B. was die Reisetätigkeit betrifft. Darüber hinaus wird auch soziale Nachhaltigkeit als Thema benannt, ausserdem soll die Arbeit der Zukunft „anständige Arbeit“ („decent work“) sein.
Aber was genau meinen „grüne Jobs,“ „nachhaltige Arbeit“ und all die anderen Schlagwörter? Die wissenschaftliche Literatur dazu verteilt sich über unterschiedliche Felder mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Manche Ansätze fokussieren auf Umweltaspekte, andere auf soziale Aspekte, wieder andere denken vor allem an Entwicklung im Kontext von Ländern, die mit Armut oder Unterbeschäftigung kämpfen. Das führt dazu, dass die Spannungen, die zwischen diesen unterschiedlichen Denkrichtungen in der Praxis entstehen können, unsichtbar bleiben – aber auch, dass das Potenzial, das im Begriff der „nachhaltigen Arbeit“ steckt, nicht gehoben wird.

Vier Dimensionen „nachhaltiger Arbeit“

Nimmt man die verschiedenen Ansätze zusammen, kommt man zu vier Feldern, die ein Begriff der „nachhaltigen Arbeit“ berücksichtigen muss.
  • Erstens muss soziale und ökologische Nachhaltigkeit gemeinsam betrachtet werden. Für das Individuum ist Arbeit „nachhaltig,“ wenn sie die langfristige körperliche und geistige Gesundheit nicht gefährdet und soziale Stabilität sichert. Bei ökologischer Nachhaltigkeit geht es dagegen um die Umweltauswirkungen von Ressourcennutzung, Produktionsprozessen und Produktionsergebnissen (z.B. recyclebare Produkte). Aus zwei Gründen müssen diese Dimensionen zusammengebracht werden: um politische und gesellschaftliche Akzeptanz für ökologische Nachhaltigkeit zu gewinnen, was kaum gelingen dürfte, wenn dabei Jobqualität und -sicherheit auf dem Spiel stehen, und weil beide sich letztlich auf gemeinsame normative Grundlagen berufen. Auch bei der ökologischen Nachhaltigkeit geht es – wenn auch nicht unbedingt ausschliesslich – um grundlegende menschliche Bedürfnisse und die Möglichkeit, ein Leben in stabilen sozialen Verhältnissen leben zu können.
  • Zweitens müssen bezahlte und unbezahlte Formen von Arbeit berücksichtigt werden. Obwohl niemand leugnen kann, dass viele unbezahlte Formen von Arbeit – in Familien, aber auch im informellen Sektor oder durch Freiwilligenarbeit – essenziell für den Fortbestand unserer Gesellschaften sind, richten sich viele Diskussionen über die Zukunft der Arbeit vor allem auf „Jobs.“ Das schränkt den Blick auf problematische Weise ein, zumal Fallstudien von nachhaltig lebenden Gemeinschaften, z.B. in Eco-Dörfern, zeigen, dass dort oft viel flexiblere Kombinationen von unterschiedlichen Tätigkeitsformen gelebt werden, die vielleicht auch Vorbilder für andere Bereiche sein könnten.
  • Arbeit findet heute in komplexen interdependenten Systemen statt, die die lokale, regionale, nationale und globale Ebene zusammenbringen. Auch die Umweltauswirkungen von Arbeit, insbesondere der Klimawandel, sind ein globales Phänomen. Diese Interdependenzen müssen immer mitgedacht werden, andernfalls läuft man Gefahr, Formen von Greenwashing zu übersehen, bei dem die ökologisch und sozial problematischeren Dimensionen von Arbeit nicht vermieden, sondern in andere Erdteile ausgelagert werden.
  • Viertens benötigen wir eine explizite Debatte darüber, was eigentlich die normativen Grundlagen bei der Beurteilung von Arbeit sind. Viele Debatten gehen implizit oder explizit von einem ökonomischen Verständnis von Arbeit aus, das deren Wert in der Befriedigung von Präferenzen sieht, die mit monetärer Zahlungsbereitschaft unterlegt sind. Arbeit ist dann wert, was für sie im Markt bezahlt wird. Dieser Massstab kann jedoch stark davon abweichen, inwiefern Arbeit eigentlich menschliche Bedürfnisse befriedigt – nicht zuletzt, weil in einer Welt mit enormer finanzieller Ungleichheit die Möglichkeit, für die eigenen Bedürfnisse zu zahlen, sehr ungleich verteilt ist, und für viele Umweltgüter, z.B. saubere Luft, keine direkte Zahlungsbereitschaft vorhanden ist. Alternative Ansätze, die auf menschliche Bedürfnisse eingehen, sehen Arbeit manchmal rein instrumentell als Mittel zum Zweck. Dagegen versteht der sogenannten „Fähigkeiten“ (capability)-Ansatz Arbeit einerseits als Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen, andererseits aber auch als Möglichkeit, menschliche Fähigkeiten und Potenziale auszuschöpfen, unter Berücksichtigung individueller Freiheit und Handlungsmacht.

Wer entscheidet, welche Arbeit nachhaltig ist?

Die Debatte darüber, wie und welche Arbeit als nachhaltig bewertet werden kann, ist also sehr komplex. Man findet ein Spektrum, in dem auf der einen Seite schon kleine Veränderungen im Produktionsprozess als „greening“ von Jobs verkauft werden, und auf der anderen Seite die Möglichkeit radikaler Veränderungen aufscheint, die zu einer kompletten Neujustierung des Verhältnisses von Mensch und Umwelt führen könnte.
Klar wird aber auch: es gibt hier viele mögliche Konflikte. Manche Formen von Arbeit können in einer Hinsicht nachhaltig aussehen, in anderer Hinsicht dagegen extrem unnachhaltig sein. Die traditionelle Industriearbeit zum Beispiel ist sozial oft gut abgesichert, mit vielen Mitspracherechten für die Beteiligten – aber ihre Umweltauswirkungen sind oft problematisch. Es gibt verschiedene Ansätze, die Dimensionen nachhaltiger Arbeit quantitativ zu erfassen, z.B. durch Skalen für die Qualität von Jobs. Problematisch hieran ist jedoch, dass solche Skalen Werturteile enthalten, die nicht immer explizit diskutiert werden, und ausserdem die unterschiedlichen Kontexte, in denen Arbeit stattfindet – z.B. in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Graden an Verrechtlichung der Arbeitsverhältnisse – nicht berücksichtigen können. Und schliesslich lassen sich die Spannungen zwischen den verschiedenen Dimensionen nachhaltiger Arbeit durch die blosse Bereitstellung von Mess-Skalen nicht beseitigen.
Als alternativen Ansatz schlagen wir vor, eine Idee aus dem Fähigkeitenansatz zu übernehmen – dass nämlich die Ausgestaltung der unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten, die durch die Arbeit befriedigt oder gewährleistet werden sollen, selbst Gegenstand politischer Diskussion unter allen Betroffenen werden muss. Das würde bedeuten, die Frage, was Arbeit nachhaltig macht und wie mit Konflikten zwischen den verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit umzugehen ist, zum Gegenstand offener Diskussionen zu machen – und zwar nicht nur in der offiziellen Politik, sondern auch „on the ground,“ bei denjenigen, die diese Arbeit machen, aber auch in Gewerkschaften und auf der Ebene unterschiedlicher Arbeitsfelder, z.B. in unterschiedlichen Industrien. Mit anderen Worten: Die Mitsprache und die Entscheidungsrechte derjenigen, die selbst betroffen sind, sind zentral dafür, dass der Übergang zu nachhaltiger Arbeit gelingen kann. Wir benötigen Lernprozesse darüber, wie Produktionsprozesse konkret nachhaltig gestaltet werden können, aber auch darüber, wie ein fairer Ausgleich gelingen kann, wenn unterschiedliche Gruppen von der Nachhaltigkeitstransition unterschiedlich betroffen sind.
Wie könnte dies, und das scheint uns die wahrscheinlich grösste Herausforderung zu sein, auf der internationalen Ebene gelingen? Die internationalen Organisationen, die derzeit den Diskurs über nachhaltige Arbeit beherrschen, werden traditionell von westlichen Ländern dominiert, und müssten viel stärker die Stimmen von Arbeitenden aus dem Globalen Süden berücksichtigen. Die Frage, was Arbeit wirklich nachhaltig machen könnte, darf weder technokratischen Expert:innen noch den globalen Märkten überlassen werden – sie muss Gegenstand demokratischer Deliberation und Entscheidung werden.
Autorinnen | Lisa Herzog ist Philosophin und Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen. Sie gehört zu den Initiator:innen der internationalen #DemocratizingWork-Initiative. Bénédicte Zimmermann ist Soziologin und arbeitet als Directrice d’Etudes an der École des hautes études en sciences sociales in Paris.
* Dieser Text basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel von Lisa Herzog und Bénédicte Zimmermann: „Sustainable work: A conceptual map for a social-ecological approach,“ International Labour Review 164(1), 1-20. Verfügbar unter https://en.ilr-rit.org/article/pubid/18834/ (auf Englisch, Französisch und Spanisch).