Mensch vs. Natur?
Mit der Zuspitzung der Klimakrise, oder genereller, der ökologischen Krise, gewinnt auch die Frage nach dem Verhältnis von Mensch, Gesellschaft und Natur an Bedeutung. Und damit die Frage nach den Kategorien und Begriffen, mit denen wir darüber nachdenken und uns sprachlich äussern.
Wie ist die ökologische Krise zu begreifen? Ich würde behaupten, dass sie im gängigen Verständnis oft als eine Krise der Umwelt des Menschen gefasst wird: hier der Mensch, allenfalls die menschliche Gesellschaft, dort die Umwelt resp. die Natur. Die Natur umgibt den Menschen, er ist teilweise von ihr abhängig, aber er steht irgendwie ausserhalb von ihr. Vor einem solchen Hintergrund machte es durchaus Sinn, davon zu sprechen, dass die Natur nun zurückschlägt, oder der Mensch wieder lernen müsse, die Natur zu respektieren. Auch die nostalgisch-romantisierende Vorstellung einer Rückkehr zur Natur gehört in dieses Repertoire.
Der «cartesianische» Kniff trennt den Menschen von der Natur. Natur wird dadurch nicht zuletzt auch zu einem quasi unbeschränkt ausbeutbaren Äusseren. Das ist die Grundlage für eine instrumentelle Naturbeherrschung, die dem «westlichen» Fortschrittsnarrativ zugrunde liegt und im Kapitalismus vollumfänglich zur Entfaltung gelangt.¹ Dazu gleich mehr.
Das Konzept des «Othering» beschreibt soziale Prozesse, in denen sich (mächtige) Gruppen von Menschen von anderen Gruppen abgrenzen, sich distanzieren. Die «Anderen» werden systematisch herabgesetzt und «fremd gemacht». Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer sexuellen Orientierung, aus einer anderen sozialen Schicht oder mit einer anderen Religion. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Gräueln, die auf diese Weise ideologisch legitimiert wurden. Auf abstrakter Ebene kann auch die Trennung von Mensch und Natur in dieser Logik der «Fremd-Machung» gefasst werden. Aber es ist zugleich auch Vorsicht geboten: Die Ausbeutung von Menschen, Massenmord, Genozid – selbstverständlich kann und darf das nicht einfach mit der Ausbeutung von fossilen Energieträgern oder mit der Tötung von nicht-menschlichen Lebewesen gleichgesetzt werden. Ebenso klar handelt es ich hier jedoch um bedeutungsvolle und schwierige ethische Fragen.
Die rationalistisch-technokratische Logik der Sachherrschaft über die Natur hat der Menschheit zweifelsohne zu materiellem Wohlstand verholfen. Aber eben, je länger je mehr werden uns auch die Kosten dieses Entwicklungsparadigmas bewusst (gemacht).
Wie können wir Natur, wie das Verhältnis von Mensch bzw. Gesellschaft und Natur, anders, besser begreifen?² Mit dem Begriff der «gesellschaftlichen Naturverhältnisse» werden die beiden Sphären schon einmal verbunden. Gesellschaft und Natur interagieren, wir haben es mit «sozio-ökologischen Beziehungen» zu tun. Das heisst, dass die Natur nicht einfach da ist, unabhängig von Zeit und Raum, stabil und träge. Natur ist wie Gesellschaft auch historisch. Das ist ein zentrales Argument, das der Umwelthistoriker Jason W. Moore in seinem Hauptwerk «Kapitalismus im Lebensnetz» entwickelt. Er definiert Kapitalismus auf dieser Grundlage als eine Weltökologie, «in der sich Kapitalakkumulation, Machtstreben und die Koproduktion der Natur einer dialektischen Einheit zusammenfügen».³ Letztlich gibt es menschliche und nicht- bzw. ausser-menschliche Naturen – beides ist untrennbar miteinander verknüpft und beeinflusst sich wechselseitig. Der Mensch sticht heraus, weil er als einziges Lebewesen überhaupt fähig ist, Natur derart tiefgreifend und umfassend zu organisieren. Im Kapitalismus geschieht dies auf eine spezifische Weise.
Was folgt daraus? Unter kapitalistischen Verhältnissen wird Natur nicht einfach nur zerstört, sondern vor allem auch im grossen Stil umgeformt. Natürliche Ressourcen werden derart rücksichtslos ausgebeutet, dass dadurch das Überleben unzähliger Lebewesen und Arten, u.a. des Homo sapiens, auf dem Planeten Erde gefährdet wird. Das wäre dann eine Natur ohne Menschen. Die Frage ist, wie wir die gesellschaftlichen Naturverhältnisse verändern, sie sozial und ökologisch nachhaltiger gestalten können. Wie lassen sich etwa technologische Errungenschaften mit den reichhaltigen Erfahrungen naturverbundener Kulturen, in denen bis heute teils in ganz anderen sozio-ökologischen Beziehungsweisen gelebt wird, verbinden?
Der Philosoph Andreas Weber meint in einem Interview: «Solange wir Menschen uns im Gegensatz zur Natur sehen, können wir keine wirkliche Gegenseitigkeit und auch keine Solidarität in politischen Belangen aufbauen. Wir bleiben in dem gleichen Dualismus Mensch-Natur verhaftet, der die Natur zu einem Ding macht – einer Sache, die man nutzen, ausbeuten und missbrauchen kann.»⁴ Daran können die linken Bewegungen anschliessen. Es geht um eine zusätzliche – zweifellos anspruchsvolle – Erweiterung der Emanzipationsperspektive: nicht nur Race, Class, Gender, sondern auch die (ausser-menschliche) Natur. Auf dieser Grundlage lassen sich gleichzeitig realistische wie auch solidarisch-respektvolle Beziehungen mit der ausser-menschlichen Natur aufbauen. Letztendlich ist es der linke Kampf um internationale Solidarität, Gerechtigkeit und Demokratie, der angesichts von Klimaerhitzung und Artensterben nur noch wichtiger wird.
Fussnoten
1. Siehe vertiefend dazu: Scheidler, F. (2021): Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen. München: Piper.
2. Für eine materialistische Ontologie, die auf der Grundlage einer emergentistischen Systemtheorie (im Unterschied zu konstruktivistischen Systemtheorien) eine gemeinsame Basis für Natur- und Sozialwissen-schaften formuliert, siehe: Bunge, M. & Mahner, M. (2004). Die Natur der Dinge. Stuttgart: Hirzel Verlag.
3. Moore, J. W. (2020): Kapitalismus im Lebensnetz. Ökologie und die Akkumulation des Kapitals. Berlin: Matthes & Seitz, S. 11.
Zum Autor: Pascal Zwicky ist Geschäftsführer des Denknetz.