Das Ende der Credit Suisse: Ein Lehrstück in marktförmiger Kommunikation
30.03.2023 | In den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch der Credit Suisse entledigte sich der Bundesrat eigenmächtig seiner demokratischen Rechenschaftspflichten und kommunizierte wie ein Finanzmarktakteur. Das zeigt: schlecht regulierte Grossbanken und demokratische Prozesse vertragen sich schlecht.
An einer eilig einberufenen Medienkonferenz an einem Sonntagabend, dem 19. März 2023, verkündeten die Spitzen von UBS, Credit Suisse, der Finanzmarktaufsicht (FINMA), der Nationalbank (SNB) und des Finanzdepartements unter Führung von Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Das war das Ende einer 167 Jahre alten, sehr schweizerischen Bank. Zwar wurde an dieser Medienkonferenz über eineinhalb Stunden lang geredet, erklärt aber wurde wenig, sehr viele Fragen blieben offen. Aus Gründen: Den Staats- und Bankenvertreter:innen auf dem Podium ging es nicht primär darum, der Öffentlichkeit ihre äusserst weitreichenden politischen Entscheidungen der letzten vier Tage zu erklären. Sie wollten vor allem Finanzmarktakteur:innen beruhigen, bevor die Börsen am Montagmorgen wieder öffneten, um einen ungeordneten Konkurs der Credit Suisse zu verhindern. Die Botschaft war: Wir haben es im Griff. Das Feuer, das zu einem Flächenbrand im internationalen Finanzsystem hätte werden können, ist gelöscht. Angesichts dieses Desasters auf dem Schweizer Finanzplatz versuchten sie gleichzeitig ihre eigene Haut zu retten, indem sie ihre Institutionen mit rhetorischen Kniffs aus der Verantwortung nahmen.
Sie sprachen damit zu institutionellen Anleger:innen und Grossaktionär:innen in der Schweiz und rund um die Welt: zu anderen Grossbanken und Vermögensverwaltungen, die mit der UBS und der Credit Suisse geschäften; zu Investmentgesellschaften wie Black Rock; zu Hedge Funds, die an den Börsen spekulieren; zu grossen Pensionskassen mit ihren Rentenfonds. Es ging um ihr «Vertrauen», das man wieder «herstellen» musste. Erste Adressatin war nicht die politische Öffentlichkeit in der Schweiz, der Bundesrat und Behörden gemäss den Regeln der Demokratie eigentlich rechenschaftspflichtig sind.
Die Macht der Märkte
Am Donnerstag zuvor hatte der Bundesrat beschlossen, gegenüber der SNB Garantien für eine Kreditlinie in der Höhe von 100 Milliarden Schweizer Franken zu gewähren, die die Credit Suisse in Anspruch nehmen konnte, um angesichts der riesigen Abflüssen von Kundengeldern und der Weigerung anderer Banken ihr Kredite zu gewähren, flüssig zu bleiben (die SNB stellte der UBS/CS darüber hinaus weitere 150 Milliarden zur Verfügung, die sie aber selbstständig finanziert). Zudem versprach der Bundesrat der UBS neun Milliarden für allfällige Verluste zu geben, die ihr durch die Übernahme der Credit Suisse entstehen. Insgesamt geht der Bund im Rahmen der Übernahme also mit 109 Milliarden Franken «ins Risiko». Das ist in der Geschichte der Eidgenossenschaft einmalig (bei der UBS-Rettung 2008 waren es noch 68 Milliarden). Ein Journalist fragte an der Medienkonferenz dann auch rasch, wieso der Bundesrat diesen extrem weitreichenden Entscheid nicht schon am selben Tag kommunizierte, wie er ihn gefällt hatte. Keller-Sutter antwortete: «Das wäre verunsichernd gewesen für die Märkte.» Später führte sie noch aus, dass der Bundesrat das, was er hier im Notrecht beschlossen hatte, unter dem Namen «Public Liquidity Backstop» eigentlich schon im letzten Jahr als ordentliche Vorlage ins Parlament schicken wollte. Man habe schliesslich auch damals darauf verzichtet, um die Märkte nicht zu beunruhigen und die schon damals nach endlosen Skandalen schwer angeschlagene Credit Suisse vor entsprechenden negativen Reaktionen der Finanzmarktakteur:innen zu schützen. Eine Regierung verzichtet also auf ein Gesetzesprojekt, dass das Finanzsystem aus ihrer Sicht sicherer gemacht hätte, aus Angst davor, damit eine systemrelevante Bank an den Märkten in Gefahr zu bringen. Eine Gefahr, die just mit diesem Regulierungsvorhaben hätte reduziert werden sollen. Hier hat sich eine Regierung von ihrer Politik verabschiedet und sich der Macht der Märkte unterworfen.
Fundamentaldaten oder Narrative?
Marlene Amstad, FINMA-Präsidentin, sagte an der Pressekonferenz: «Obwohl die Fundamentaldaten (…) grundsätzlich in Ordnung waren, ging das Vertrauen der Marktteilnehmer, der Investorinnen und Kunden in eine erfolgreiche Zukunft der Bank immer mehr verloren.» Die Verwunderung über diesen Sachverhalt stand Amstad ins Gesicht geschrieben. Fundamentaldaten beschreiben im Finanzjargon betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie etwa Umsatz, Liquiditätsrate oder Buchwert. Sie gehören zu den Instrumenten der Finanzmarktanalyse. Klassische Finanzanalyst:innen, auch «fundamental analysts» genannt, nutzen sie, um abzuschätzen, welche Firmen unter- oder überbewertet sind.
Daneben ist aber im Finanzmarkt die Wirkungsmacht von Narrativen – also Geschichten über den aktuellen Zustand und die möglichen Entwicklungen am Markt – nicht zu unterschätzen. Solche Narrative stützen sich oft nicht auf Geschäftszahlen der Unternehmen. Sie speisen sich vielmehr aus Überzeugungen, Gefühlen und ideologischen Vorstellungen der Analyst:innen und Anleger:innen und beeinflussen Finanzmarktentwicklungen genauso, wie es Fundamentaldaten oder eine bestimmte Unternehmenspolitik tun. Narrative werden über «Sprechakte» von Expert:innen, Hedge Funds oder «Activist Short Sellers» in Umlauf gebracht. Activist Short Sellers sind Akteur:innen, die mit entsprechenden Finanzmarktinstrumenten wie etwa Kreditausfallversicherungen oder «credit default swaps» gegen Unternehmen wetten. Damit setzen sie in einem Fall wie der Credit Suisse auf deren Konkurs und beschleunigen so den Niedergang einer Firma.
Konsequenzen für Regulierung und Demokratie
Die Frage ist, inwiefern die Kommunikation an der Medienkonferenz die Rolle dieser Narrative mitbedachte. Der Fokus auf die «Beruhigung der Märkte» lässt darauf schliessen, dass man sich sehr wohl bewusst war, welche Konsequenzen politische Äusserungen auf die Marktentwicklung haben können. Allerdings spiegelte sich dieser Gedanke nicht in den regulatorischen Massnahmen, die die Schweiz seit der Finanzkrise von 2008 umgesetzt hatte. Diese «Too Big to Fail»-Regulierungen bauen einzig auf den Fundamentaldaten auf: Höhere Eigenkapitalquote und höhere Liquiditätsanforderungen hätten dafür sorgen sollen, dass nie mehr eine Schweizer Bank auf Geld vom Staat angewiesen sein würde. Um einem digitalen Backrun wie im Fall der Credit Suisse vorzubeugen, bei dem sehr viele Kund:innen in sehr kurzer Zeit ihr Geld aus einer Bank holen (heute auch bequem vom Sofa oder dem Smartphone aus möglich) reichte das ganz offensichtlich nicht.
Gemessen an den hohen Ansprüchen der Schweiz an ihre Demokratie, ist das Vorgehen des Bundesrates, der FINMA und der SNB eine Katastrophe. Der Staat hat das Notrecht im Vergleich mit der UBS-Rettung von 2008 und den Hilfspaketen während der Corona-Pandemie nochmals ausgeweitet. Er informierte die Öffentlichkeit gemessen an der Dringlichkeit der Ereignisse sehr spät und versucht nun im Nachgang der Credit Suisse-Rettung auch noch die mediale Aufarbeitung der Aktion zu behindern. Aber die Grundregeln der Demokratie müssen auch dort gelten, wo sie auf dem Finanzmarkt wirksam wird. «The markets never sleep», pflegen Finanzexpert:innen zu sagen. Die Schlafmittel, die Bundesrat und Bankenvertreter:innen uns im starken Kontrast dazu gerade verabreichen wollen, sollten wir auf keinen Fall schlucken.
Autoren
Dominik Gross ist Historiker und Finanzexperte bei Alliance Sud, dem zivilgesellschaftlichen Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. Stefan Leins ist Juniorprofessor für Ethnologie mit Schwerpunkt Kulturen der Ökonomie an der Universität Konstanz.