Kritik an der neuen Vereinbarung von Nationalbank und EFD
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat Ende 2020 eine Ausschüttungsreserve zugunsten von Bund und Kantonen in der Höhe von 98 Mrd. CHF ausgewiesen – ein rekordhoher Betrag. Dennoch ist laut der neuen Vereinbarung der SNB mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement EFD vom 29.1.2021 für das Jahr 2021 lediglich eine Ausschüttung von sechs Mrd. Franken vorgesehen. Damit verbleiben 92 Mrd. in der Ausschüttungsreserve. Angesichts der akuten Krisen (Corona, Klima, Gesundheitsversorgung, Wirtschaftseinbruch) ist das völlig ungenügend. Es braucht deshalb eine Sonderausschüttung von je zwanzig Mrd. CHF in diesem und im nächsten Jahr zugunsten der öffentlichen Hand. Zudem soll für die Zukunft eine bessere Grundlage für angemessene Auszahlungen geschaffen und dafür allenfalls auch das Nationalbankgesetz revidiert werden.
Laut Gesetz ist derjenige Anteil des Bilanzgewinnes, der nicht für Rückstellungen verwendet wird, für Zahlungen an die öffentliche Hand vorgesehen. Entsprechend wird dieser Betrag in der Terminologie der SNB als «ausschüttbarer Gewinn» bezeichnet. Im entsprechenden Paragraphen des Nationalbankgesetzes heisst es dazu: «Der Betrag des Bilanzgewinns, der die Dividendenausschüttung übersteigt, fällt zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone. Das Departement und die Nationalbank vereinbaren für einen bestimmten Zeitraum die Höhe der jährlichen Gewinnausschüttungen an Bund und Kantone mit dem Ziel, diese mittelfristig zu verstetigen. Die Kantone werden vorgängig informiert.»
Laut der neuen Vereinbarung zwischen Bund und Nationalbank schüttet die Nationalbank insgesamt sechs Mrd. Franken aus, wenn die Ausschüttungsreserven höher als 40 Mrd. Franken zu liegen kommen (gilt ab Bilanzjahr 2020). Diese Vereinbarung ist unseres Erachtens unhaltbar. Es ist nicht nachvollziehbar, warum basierend auf der Rechnung 2020 lediglich 6.1 Prozent der Reserven (sechs von 98 Mrd.) ausbezahlt werden sollen. Angesichts der drängenden Krisen wie der Corona-Pandemie, dem Klimawandel, aber auch der drohenden Deflation, ist eine weitaus höhere Ausschüttung ein Gebot der Stunde. Wir empfehlen deshalb, in diesem und im nächsten Jahr die Sonderausschüttung in der Höhe eines zusätzlichen Betrages von je zwanzig Mrd. Franken. Dies könnte in einer Sondervereinbarung von Bund und SNB festgelegt werden.
Die Auszahlungen an Bund und Kantone erfolgen bislang in Form von allgemeinen, also nicht zweckgebundenen Geldern. Bezüglich der vorgeschlagenen Sonderzahlungen empfehlen wir, sie in der aktuellen Krisensituation wie folgt einzusetzen. Bund und Kantone könnten dies in einer entsprechenden Vereinbarung festlegen.
  • Deckung der ausserordentlichen Aufwände bei der Bewältigung der ökonomischen Folgen der Coronakrise, insbesondere in den Bereichen der Existenzsicherung.
  • Bewältigung der höheren Ausgaben in der Sozialhilfe, wie sie Corona-bedingt für die nächsten Jahre erwartet werden.
  • Mitfinanzierung eines sozialverträglichen ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft. Damit soll auch ermöglicht werden, dass die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise klimaverträglich und beschäftigungswirksam gesteuert werden kann.
  • Finanzierung einer ausserordentlichen Ausbildungsoffensive, um Erwachsenen eine Umschulung in zukunftsfähige Berufe zu ermöglichen. Ein ökologischer Umbau (etwa des Gebäudeparks oder im Bereich der Produktion von erneuerbarem Strom) erfordert viele Tausende weiterer neuer Berufsleute. Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Anforderungen in vielen Berufsgruppen erheblich. In Betreuungs- und Pflegeberufen fehlen Schätzungen zufolge bis 2030 in der Schweiz 65‘000 Fachkräfte. Deshalb regen wir an, dass der Bund für eine befristete Zeit von z.B. zehn Jahren ausserordentliche Stipendien gewährt, die auch erwachsenen Personen mit durchschnittlichem Verdienst eine berufliche Umschulung oder Weiterbildung ermöglichen. Weiter würden Bund und Kantone Unternehmen, Verbände und Institutionen der öffentlichen Hand bei der Bereitstellung der entsprechenden Ausbildungsgänge unterstützen.
  • Schliesslich soll auch ein namhafter Anteil der Geldmittel eingesetzt werden zur Stärkung der Weltgesundheitsorganisation WHO, des COVAX-Programms und der Entwicklungszusammenarbeit. Damit soll eine weltweit gerechte Verteilung der Corona-Impfstoffe und von weiteren medizinischen Gütern erreicht und die Gesundheitsversorgung allgemein gestärkt werden.
Für die weitere Zukunft regen wir eine Änderung der Auszahlungsregeln an, allenfalls auch durch eine Revision des Nationalbankgesetzes. Dabei soll eine Unterscheidung in regelmässige Ausschüttungen und in ausserordentliche Ausschüttungen vorgenommen werden. Die regemässigen Ausschüttungen sollen – wie heute auch – in verstetigter Form erfolgen, wodurch die grossen Schwankungen bei den Jahresergebnissen aufgefangen werden und die Planungssicherheit und Bund und Kantonen gestützt wird. Dabei schlagen wir folgende Schwellwerte vor: Vier Mrd. bis zu einer Höhe der Reserve von 20 Mrd. CHF, 6 Mrd. zwischen 20 bis 30 Mrd. CHF und 8 Mrd. zwischen 30 und 40 Mrd. CHF . Auf eine Ausschüttung würde verzichtet, wenn das ausschüttbare Jahresergebnis in drei aufeinanderfolgenden Jahren negativ ausfällt.
Diese von uns vorgeschlagenen Grössenordnungen orientieren sich am durchschnittlichen ausschüttbaren Jahresergebnis von 2008 bis 2020, das sich auf 8.9 Mrd. CHF beläuft. Die regelmässigen Ausschüttungen dürfen etwas tiefer liegen als dieser Durchschnitt, um den Schwankungen Rechnung zu tragen. Andererseits müssen dann aber Sonderausschüttungen vorgesehen werden, wenn die Ausschüttungsreserven eine bestimmte Schwelle (in unserem Vorschlag 40 Mrd.) übersteigen – sonst wachsen über die Zeit die Reserven ungebührlich an, wie das heute der Fall ist. Ausserordentliche Ausschüttungen sollen also erfolgen, sobald die Ausschüttungsreserve den Betrag von 40 Mrd. CHF überschreitet. Ihre Höhe soll dem Betrag oberhalb dieser Schwelle entsprechen. Die Verwendung von ausserordentlichen Ausschüttungen sollen von Bund und Kantonen jeweils gesondert vereinbart werden. Dabei sollen Aufwände und Investitionen zur Bewältigung respektive Vermeidung von Krisen (insbesondere der Klimakrise, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen wird) im Vordergrund stehen.

Diskussion unserer Empfehlungen

Das zentrale Argument, das bislang gegen Forderungen nach höheren Ausschüttungen der SNB vorgebracht worden ist, lautet, dass diese Ausschüttungen über längere Zeiträume geglättet werden sollen. Dagegen ist nichts einzuwenden, zumal das ausschüttbare Jahresergebnis von Jahr zu Jahr stark schwankt mit Extremwerten von minus 24.6 Mrd. (2015) und plus 49.3 Mrd. CHF (2017). Im Schnitt der Jahre 2008 bis 2020 lag das durchschnittliche ausschüttbare Jahresergebnis allerdings mit 8.9 Mrd. CHF deutlich im positiven Bereich und auch erheblich über den real getätigten Ausschüttungen. Die Reserven sind deshalb auf eine Höhe geklettert, die ausserordentliche Ausschüttungen erforderlich machen, um den Gesetzesauftrag zu erfüllen. Angesichts der gegenwärtigen Krisen (Corona, Klima) sind die zudem von besonderer Bedeutung. Um den Schwankungen Rechnung zu tragen macht es auch künftig Sinn, zwischen ordentlichen und ausserordentlichen Ausschüttungen zu unterscheiden.
Ein weiteres Argument lautet, ein genügend hohes Eigenkapital sei erforderlich, um die Handlungsspielräume der SNB zu erhalten. Da die Ausschüttungsreserven buchhalterisch dem Eigenkapital zugeordnet sind, sei es sinnvoll, einen massgebenden Teil davon zurückzubehalten. Zur Sicherung des Handlungsspielraums der SNB in Zusammenhang mit den Währungsreserven sind allerdings bereits die Rückstellungen vorgesehen, die die SNB jedes Jahr vornimmt. Sie werden vom Jahresergebnis abgezogen und zählen nicht zum ausschüttbaren Jahresgewinn. Ende 2020 beliefen sich diese Rückstellungen auf deutlich über 80 Mrd. CHF. Wir verweisen an dieser Stelle zudem nochmals auf die Tatsache, dass die SNB keine Geschäftsbank ist und Geld schöpfen kann, ohne dies mit Eigenkapital absichern zu müssen. Sie kann deshalb auch Situationen verkraften, in denen das Eigenkapital in den negativen Bereich fällt (siehe dazu auch den Anhang unten „Braucht die Schweizerische Nationalbank Eigenkapital?“)
Manchmal wird auch argumentiert, eine hohe SNB-Ausschüttung würde die Inflation anheizen. Angesichts der gegenwärtigen Tendenz zur Deflation wäre dies allerdings eine willkommene Wirkung. Denn nichts gefährdet eine Wirtschaftsentwicklung mehr als eine Deflation, die ausser Kontrolle gerät. Seit geraumer Zeit bewegt sich die Inflationsrate im Minus und damit weit weg vom Zielband von 0 bis 2 Prozent, das sich die SNB selbst gegeben hat. Deshalb wäre ein allfälliger Nachfrage-Stimulus hoch willkommen, der von einer zusätzlichen Ausschüttung ausginge, zum Beispiel bei der Verwendung für den nachhaltigen Umbau der Gesellschaft und für die Bildungsoffensive.
Weiter wird argumentiert, man müsse gar nicht auf die SNB-Gelder zurückgreifen, weil Bund und Kantone problemlos zusätzliche Schulden machen können, um die aktuell erforderlichen Ausgaben zu bewältigen. Tatsächlich kann vor allem der Bund bei der Ausgabe von Staatsanleihen, mit denen er an den Finanzmärkten Geld beschafft, heute negative Zinsen von rund einem Prozent verlangen, also an einer Verschuldung sogar noch verdienen. Überdies lag die Staatsschuldenquote der Schweiz 2019 bei 42% und damit im internationalen Vergleich sehr tief. Und auch wenn der Internationale Währungsfonds einen Corona-bedingten Anstieg auf 49% erwartet, so befindet sich unser Land damit immer noch in einer ausgeprägten Komfortzone.
Wenn wir wie oben erläutert massiv höhere Ausschüttungen der SNB vorschlagen, dann verstehen wir das also nicht als Alternative zur Aufnahme von Geldmitteln an den Finanzmärkten. Diese bilden weiterhin eine wichtige fiskalpolitische Option. Vielmehr sollen die SNB-Gelder möglich machen, dass Bund und Kantone neue Aufgaben rasch anpacken können, etwa eine nachhaltige Steuerung des wirtschaftlichen Wiederaufschwungs nach dem Corona-Einbruch und damit eine massgebende Verstärkung der Klimapolitik, eine Bildungsoffensive oder ein stärkeres Engagement für eine wirksame globale Gesundheitspolitik. Die SNB-Ausschüttungen dürfen deshalb unseres Erachtens auch nicht für die Schuldentilgung verwendet werden. Dies soll auch für den verfassungsmässig vorgeschriebenen Zweidrittels-Anteil der Kantone an der Ausschüttung gelten.
Zu den Autoren: Hans Baumann ist Ökonom und Publizist. Beat Ringger ist Publizist und Autor des Buches „Die Service-Public-Revolution“. Beide sind Mitglieder der Denknetz-Fachgruppe Politische Ökonomie.

Anhang: Von Thomas Jordan lernen – braucht die Schweizerische Nationalbank Eigenkapital?

Die SNB ist keine Geschäftsbank. Sie kann als einzige Institution in eigener Regie Schweizer Franken schöpfen und sich damit die erforderliche Liquidität jederzeit auf Knopfdruck selbst beschaffen. Sie kann also „nicht in Liquiditätsprobleme geraten“, wie Thomas Jordan, seit 2012 Präsident des Direktoriums der SNB, es ausdrückt (Jordan, 2011, S.5). Und weiter: Zentralbanken erwirtschaften im langfristigen Durchschnitt stets Gewinne“ (idem. S. 8), weil sie dank der Geldschöpfung ihre Aktiven praktisch gratis finanzieren können. Nachzulesen sind diese Aussagen in einer Vortragsschrift von Jordan aus dem Jahr 2011 (siehe untenstehenden Link). Jordan (damals noch SNB-Vizepräsident) erläutert darin die Thematik des Eigenkapitals in gut verständlichen Worten – wir können die Lektüre dieses Textes nur empfehlen.
Gemäss Jordan ist eine Zentralbank also auch im Falle eines „vorübergehend negativen Eigenkapitals uneingeschränkt handlungsfähig“ (S. 13). Dennoch plädiert er dafür, dass die SNB Eigenkapital aufbaut und begründet dies damit, dass sie sonst gezwungen werden könnte, Geld zu schöpfen, um die laufenden Kosten zu decken, Dadurch würde sie die Kontrolle über die Geldpolitik verlieren, und es entstünden Inflationsgefahren (S.12).
Jordan relativiert diese Aussage jedoch gleich selber: „Wir halten eine solche Entwicklung in unserem Fall für höchst unwahrscheinlich“. Er begründet dies mit der „Stärke der Schweiz respektive ihrer Institutionen und ihrer Währung“. Was Jordan heute noch ergänzen müsste ist, dass wir mit einer anhaltenden Tendenz zur Deflation konfrontiert sind und eine Umkehr hin zu einer tiefen Inflationsrate sehr erwünscht wäre (siehe auch Haupttext).
Die SNB verfügt heute über besondere Rückstellungen für die Risiken in Zusammenhang mit den Währungsreserven von mehr als 80 Mrd CHF. Das reicht aus, um auch grosse Jahresverluste auszugleichen. Es gibt deshalb keinen Grund, die Ausschüttungsreserven hoch zu halten – sie sind explizit nicht zur Absicherung von Verlustrisiken konzipiert. Ein Rückbehalten dieser Ausschüttungsreserven lässt sich nicht rechtfertigen. Die gegenwärtige SNB-Politik nährt deshalb den Verdacht, dass das aktuelle Rückbehalten von auszuschüttendem Gewinn politisch motiviert ist – im Sinne eines radikalen Neoliberalismus, der die „Begehrlichkeiten“ der öffentlichen Hand zurückweist und dem Staat möglichst wenig Mittel zukommen lassen will.
Der Vortragstext von Jordan ist hier online abrufbar. (Gelesen am 1.2.2021)