Editorial

Der Kapitalismus wird gerne als eine sportliche Veranstaltung begriffen, die den Wettbewerb um stetige Verbesserungen ankurbelt. Gerät ein Land, ein Unternehmen oder ein Vorhaben ins Hintertreffen, dann spornt die Diagnose, nicht gut genug gewesen zu sein, dazu an, es ›besser‹ zu machen, mehr zu trainieren, härter als andere zu arbeiten oder einfach kreativer zu sein.

Dieser gleichsam naturgesetzliche Zusammenhang von Anstrengung und Erfolg gehört zum Kern der Vorstellungen, die in Sport und Ökonomie vorherrschen. Immerhin, so liesse sich argumentieren, führt diese Vorstellung zu allgemein verbesserten Fähigkeiten. Allerdings müssen sich diese Fähigkeiten auch einsetzen, sprich: in jenen Währungen ausdrücken lassen, die je nach Sphäre überhaupt zur Verfügung stehen. Im Wettkampfsport scheint das noch zu funktionieren – jedenfalls, wenn man es sinnvoll findet, dass etwa SprinterInnen ihre steigende Leistungsfähigkeit in immer neue Rekorde einbringen und ihre erhöhte ›Produktivkraft‹ auf Sportanlagen in den Gewinn von Hundertstelsekunden umsetzen.

Was aber, wenn die Steigerung der Produktivkraft in der kapitalistischen Marktgesellschaft nicht mehr verwertet werden kann? Wenn der Zwang zur Geldverwertung den sinnvollen Einsatz und die Entwicklung der Produktivkräfte hemmt? Wenn qualifizierte Arbeitskraft stillgelegt ist, während gesellschaftlich notwendige Arbeiten brachliegen, weil sie nach den engen Kriterien der Geldverwertung als defizitär erscheinen? Wenn wirtschaftliche Gewinnsteigerung und sozial-ökologischer Fortschritt immer weiter auseinanderdriften? Dann stellt sich die grundsätzliche Frage: Sind unsere Produktivkräfte inzwischen zu gut für den Kapitalismus geworden? Dieser Frage widmen sich mehrere Beiträge dieses Denknetz-Jahrbuches auf unterschiedliche Weise. Zugleich begeben sie sich auf die Suche nach den Bedingungen, unter denen Produktivkräfte auch tatsächlich gesellschaftlichen Fortschritt garantieren können.

Allerdings kommt eine solche Suche nicht umhin, sich im gegebenen politischen Raum zu orientieren. Viele Beiträge nehmen deshalb auf die konkreten politischen Auseinandersetzungen Bezug, die infolge der jüngeren Wirtschaftskrise aufgebrochen sind. Diese Krise bildet weltweit einen markanten Einschnitt in die gesellschaftliche Entwicklung. Innerhalb des bürgerlichen Feldes sind Umschichtungen und Verlagerungen im Gange. Die einst vorherrschende neoliberale Weltanschauung hat massiv an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verloren. Demgegenüber dringen die neokonservativen Kräfte in viele Bereiche vor. Die Mischung aus rassistischen Parolen (so im Umfeld der Minarett-Abstimmung), ehernen Werten (vor allem um das Nationale) und einem kapitalistischen, (vermehrt) regulierten Markt bietet viele Anknüpfungspunkte für unterschiedlichste politische Richtungen.

Innerhalb der Linken löst diese Situation alles andere als Euphorie aus. Zunächst trifft die Wirtschaftskrise vor allem jene Menschen hart, für die sich die linken Bewegungen und Organisationen einsetzen. Zum anderen ist diese Linke irgendwie immer noch gelähmt. Anzeichen für Neues sind aber jetzt auszumachen. Gleichgültig, wie die einzelnen Debatten oder Initiativen beurteilt werden – sie sind zunächst als Aufbrüche wahrzunehmen. Die Juso lancieren mit ihrer 1:12-Initiative eine gesellschaftliche Debatte über die Lohnverhältnisse. Das ist eine direkte Antwort, die aus der Krise hervorgegangen ist. Im Weiteren findet sich auch der Vorschlag zur Schaffung einer Allgemeinen Erwerbsversicherung (AEV), die im Rahmen des Denknetzes entwickelt worden ist. In der Zeitschrift ›Das Argument‹ (Heft 286/2010) wird eine intensive Diskussion über die Planung und Regulierung der Ökonomie geführt. Dabei liegt das Augenmerk gerade auf den Problemen und Widersprüchen, die sich für eine demokratische Wirtschaftsplanung ergeben (können). Es zeigt sich, dass dieWege in eine solche Richtung alles andere als leicht zu begehen sind und sein werden. Dass aber solche Debatten wieder geführt werden, ist ein kleines Hoffnungszeichen. Das Jahrbuch 2010 legt mit seinen Beiträgen einige Sonden, die sich wichtigen gesellschaftlichen Brennpunkten für emanzipatorische und demokratische Gruppen annähern.

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Cover

AutorInnen

Hans-Ulrich Jost, Claus-Peter Ortlieb, Denknetz-Fachgruppe Politische Ökonomie, Denknetz-Fachgruppe Steuerpolitik, Beat Ringger, Helmut Knolle, Martin Gallusser, Silvia Federici, AutorInnengruppe Feministische Ökonomie, Susy Greuter, Vania Alleva, Mauro Moretto, Hans-Jürgen Urban, Willy Spieler, Erich Ribolits, Denknetz-Fachgruppe Bildung, Hans Baumann, David Gallusser, Pascal Pfister, Ruth Gurny, Beat Ringger, Therese Wüthrich, Christiane Marty

ISBN

Hans Baumann, Beat Ringger, Holger Schatz, Walter Schöni und Bernhard Walpen (Hg): Jahrbuch 2010: Zu gut für den Kapitalismus. Blockierte Potenziale in einer überforderten Wirtschaft; ISBN 978-3-85990-162-9; Verlag: edition 8, Postfach 3522, 8021 Zürich

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