Jon Pult

Diskussion

In drei Schritten nach Europa
12.07.2022   |   Jon Pult bemängelt die fehlende Strategie der Schweizer Politik bezüglich der EU. Er skizziert in seinem Beitrag einen innerhalb der SP erarbeiteten Drei-Phasen-Plan, der in einem ersten Schritt ein befristetes Stabilisierungsabkommen mit der EU (bis Ende 2023), dann ein Wirtschaftsabkommen (bis 2027) und schliesslich Verhandlungen über einen EU-Beitritt (ab 2027) vorsieht. Nur die EU schaffe die Möglichkeit, dass kleine europäische Demokratien wie die Schweiz nicht von Supermächten oder Grosskonzernen gegeneinander ausgespielt werden, so Pult.
Spätestens seit dem bundesrätlichen Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen vor einem Jahr befindet sich die helvetische Europapolitik in einem gefährlichen Blindflug. Der Bundesrat ist entweder nicht fähig oder schlicht nicht willens, eine nur halbwegs plausible Strategie aufzuzeigen. Bürgerliche Parteien reproduzieren die Debatten zum Rahmenabkommen, oder sprechen über eine Annäherung an die NATO, um davon abzulenken, dass sie die viel wichtigere EU-Frage nicht angehen wollen. Dabei spüren die Bürger:innen gerade in dieser Krisenzeit, wie wichtig Zusammenarbeit und Zusammenhalt in Europa auch für uns Schweizerinnen und Schweizer sind.
Putins verbrecherische Aggression gegen die Ukraine ist auch ein Angriff auf unsere gemeinsamen europäischen Werte. Umso wichtiger war und ist die gemeinsame Antwort Europas, der sich nach anfänglichem Zögern auch die Schweiz angeschlossen hat. Aber nicht nur Putins Krieg hat die geopolitische Lage fundamental verändert. Auch der Aufstieg des autokratischen China und die seit Trump offensichtlich gewordene Verletzlichkeit der US-Demokratie stellen riesige Herausforderungen dar, die von unseren europäischen Demokratien nur vereinigt gemeistert werden können. Und auch Menschheitsprobleme wie die Klimakrise, die Ungleichheit oder die Übermacht der Konzerne erfordern europäische Lösungen.
Vor diesem Hintergrund hat eine SP-Arbeitsgruppe in den letzten Monaten eine europapolitische Strategie entwickelt, die am 24. Juni auch vom Parteirat ohne Gegenstimme bestätigt wurde. Das letzte Wort wird die SP-Basis am Parteitag im Oktober haben. Unser Europa-Plan nimmt die Dringlichkeit des Themas auf und sieht ein schrittweises Vorgehen in drei Phasen vor.
Phase 1: Der Bundesrat muss ein befristeten Stabilisierungsabkommens mit der EU aushandeln, das die Schweizer Teilnahme an verschiedenen EU-Programmen in den Bereichen Forschung, Bildung oder Kultur regelt (Erasmus, Horizon, etc.). Im Gegenzug verpflichtet sich die Schweiz ihren Beitrag für die Beseitigung wirtschaftlicher Ungleichheiten zu erhöhen und die Verhandlungen über die Regeln zur Teilnahme am EU-Binnenmarkt wieder aufzunehmen. Ein solches Abkommen sollte bis Ende 2023 vorliegen. Dass diese SP-Idee kein Hirngespinst ist, haben die letzten Wochen bewiesen. Am 13. Juni hat der Nationalrat einer entsprechenden Motion zugestimmt. Im Anschluss haben dann alle grossen Fraktionen des EU-Parlaments diese Idee in einem Brief an die EU-Kommission explizit unterstützt.
Phase 2: Der Bundesrat muss ein Wirtschaftsabkommen verhandeln, das die institutionellen Marktzugangsfragen im Sinne einer Assoziierung regelt. Dieses Abkommen sollte bis 2027 stehen, was im Sinne einer Garantie gegenüber der EU so auch im erwähnten Stabilisierungsabkommen zu vereinbaren ist. Für die innenpolitische Abstützung und Legitimation dieses Assoziierungsprozesses sollen dessen Rahmenbedingungen in einem Europagesetz geregelt werden. In diesem Rahmen würden auch die Fragen des Lohnschutzes und der Unionsbürgerschaft in einem transparenten parlamentarischen Prozess verhandelt. Einer parlamentarischen Initiative aus der SP-Küche für ein Europagesetz hat der Nationalrat schon im März zugestimmt. Auch das ist also definitiv kein Hirngespinst.
Phase 3: Ab 2027 will die SP auf Basis des vorher geregelten Verhältnisses mit der EU den Bundesrat beauftragen, über den Beitritt der Schweiz zu verhandeln. So könnte unser Land endlich dort mitbestimmen, wo die Politik in und für Europa im 21. Jahrhundert entschieden wird. Echte Souveränität gibt es heute nämlich nur mit internationaler Mitbestimmung, wobei die EU die wichtigste Plattform in Europa bietet. Gleichzeitig müsste ein EU-Beitritt insbesondere in den Bereichen Lohnschutz, Service Public und direkte Demokratie gut ausgehandelt und flankiert werden, damit diese schweizerischen Errungenschaften erhalten und weiterentwickelt werden können. Grundsätzlich ist für den SP-Parteirat aber klar: Nur die EU schafft die Möglichkeit, dass unsere kleinen europäischen Demokratien nicht von Supermächten oder Grosskonzernen gegeneinander ausgespielt werden. Darum sollte die Schweizer Linke in Europa unbedingt mitmachen wollen!
Zur Person: Jon Pult ist Nationalrat und Vizepräsident der SP Schweiz. In dieser Funktion leitete er die Arbeitsgruppe, welche die neue SP-Positionierung in der Europapolitik ausgearbeitet hat.
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