Die Solidaritäts-Vermögensabgabe
Für die Bewältigung aktueller und künftiger Krisen braucht es viel Geld. Eine Solidaritäts-Vermögensabgabe ist ein passendes Mittel zur Beschaffung dieser Finanzen. Im folgenden Text erläutern wir ein konkretes Modell für eine Solidaritäts-Vermögensabgabe mit einem geschätzten Ertrag von CHF 400 Mrd. Wir danken Werner Kallenberger und Basil Oberholzer für viele anregende Diskussionen, für kritische Rückmeldungen und für ihre Beiträge zum Text. Die Verantwortung für die gemachten Aussagen liegt bei den Autor*innen.

1. Warum eine Solidaritäts-Vermögensabgabe?

Mit der Klima- und der Coronakrise sind wir in eine neue Epoche eingetreten. Wir auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit Krisen konfrontiert, aus denen es kein Zurück zum Zustand vor den Krisen mehr geben wird. Klimaerhitzung, wirtschaftliche Turbulenzen, Pandemien, Einbrüche in der Nahrungs- und Wasserversorgung, politische und soziale Verwerfungen usw. verbinden sich zu Problemlagen, die uns fundamental herausfordern. Die Eindämmung und die Bewältigung dieser Krisen lösen einen enormen öffentlichen Finanzbedarf aus. Zum Beispiel müssen wir mit der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft rasche Fortschritte machen, damit der Klimawandel so gut wie noch möglich eingedämmt werden kann. Es geht aber auch – und in zunehmendem Masse – um die Bewältigung der Folgen der Klimaerhitzung, z.B. in den Bereichen Hochwasser, Schutz vor Extremhitze, Umstellungen in der Landwirtschaft, Schutz vor den Folgen des Auftauens von Permafrost in den Bergen usw.. Und ebenso braucht es ein hohes Engagement, um armen Ländern bei der Krisenbewältigung unter die Arme zu greifen. Zur Beschaffung der finanziellen Ressourcen braucht es Sondersteuern, wie sie in der neueren Geschichte in Krisenzeiten schon wiederholt erhoben worden sind. Im folgenden Text präsentieren wir den Vorschlag einer Solidaritäts-Vermögensabgabe. Sie verbindet die Mittelbeschaffung mit einer Rückverteilung von Vermögenswerten von oben nach unten, also aus den spekulativ geladenen Finanzmärkten in die Nützlichkeitszonen der Gesellschaft, und trifft damit zwei Fliegen auf einen Schlag.
Folgendes sind die Eckwerte des Modells: Erhoben werden soll die Abgabe auf Vermögensanteile, die über einer hohen Freigrenze von fünf Millionen CHF liegen. Die Abgabe soll während mindestens zehn Jahren geschuldet sein. Der jährliche Steuersatz soll bei drei, vier und fünf Prozent liegen, progressiv abgestuft nach der Höhe des Gesamtvermögens. Der geschätzte Ertrag einer solchen Abgabe beläuft sich über die gesamten zehn Jahre auf CHF 400 Mrd (40 Mrd pro Jahr). Die Ausrichtung der Abgabe auf hohe Vermögensanteile ist gut begründet, wie wir im Text genauer ausführen werden. Unter anderem ist es gerade ja die Dynamik der gesteigerten Profite und Vermögenserträge, die erheblich zur Verschärfung diverser Problemlagen beigetragen hat (Klimaerhitzung, verschärfte Standortkonkurrenz und zunehmender Steuerwettbewerb nach unten, wachsende soziale Spannungen). Ein Korrektur dieser ungleichen Verteilung des Reichtums dämpft also auch diese Dynamik.
Gegenwärtig sind die hohen privaten Vermögen in der Schweiz ein enormes und nur wenig genutztes Steuerpotential. So ist das Reinvermögen in der Schweiz in den letzten Jahren massiv angestiegen, insbesondere auch im Vergleich zur Entwicklung bei den Einkommen. Pro Kopf betrug das Vermögen im Jahr 2019 durchschnittlich CHF 460‘000.- und lag damit zwei bis drei Mal über dem Durchschnitt der Nachbarländer (Annaheim & Heim 2021). Der Durchschnitt sagt jedoch nicht viel aus, denn diese Vermögen sind überaus ungleich verteilt. So verfügen alleine schon die 0.3% Reichsten über fast ein Drittel aller Vermögenswerte (30.9%). Während sich die Vermögen über eine längere Periode ähnlich entwickelten wie die Einkommen, sind sie in den letzten 20 Jahren deutlich stärker angestiegen. Heute entspricht gemäss Baselgia und Martinez (2020) das private Vermögen in der Schweiz dem 7.4-fachen des Nationaleinkommens.
Vermögensabgaben sind in der Geschichte der letzten hundert Jahre wiederholt erhoben worden. Sie sind also ein «klassisches» Instrument, um Mittel zur Bewältigung aussergewöhnlicher Krisen zu beschaffen. Wir gehen im Abschnitt 4 unseres Textes auf eine Reihe von solchen historischen Beispielen ein.
Auf einige mögliche Einwände gegen eine Vermögensabgabe möchten wir schon an dieser Stelle zu sprechen kommen. Der erste bezieht sich auf die Thesen der Modern Monetary Theory MMT. Diese neuere geldpolitische Theorie besagt, dass Länder mit eigener Währung und starker Wirtschaft (was beides für die Schweiz zutrifft) in der Lage sind, praktisch unbegrenzt Geld zu schöpfen. Eine steuerliche Mittelbeschaffung wäre demnach überflüssig oder zumindest nicht prioritär. Tatsächlich ist es für Staaten mit eigener Währung nicht erforderlich, zuerst Steuererträge zu generieren, bevor sie Ausgaben auch in grosser Höhe tätigen können. Die Corona-Krise hat dies offensichtlich gemacht: Quasi aus dem Nichts waren in der Schweiz Milliardenbeträge in zweistelliger Höhe verfügbar. Dennoch sind unseres Erachtens steuerpolitische Instrumente à la longue unerlässlich, weil rasch wachsende Staatsschulden starke Belastungen auslösen, sobald die Zinsen für die Kreditaufnahme ansteigen, und weil wachsende Geldmengen auch neue Instabilitäten zur Folge haben können (zum Beispiel können sie inflationäre Tendenzen fördern)1. Zudem – und dieses Argument hat unseres Erachtens ein hohes Gewicht – sind Steuern ein wichtiges Instrument, um den gesellschaftlichen Reichtum von «Oben» nach «Unten» rückzuverteilen. Weiter müssen die sehr hohen Vermögensanteile auch deshalb verstärkt steuerlich abgeschöpft werden, weil sie die Spekulation antreiben und damit die ökonomische Stabilität unterlaufen. Wir gehen im Abschnitt 7 genauer auf diesen Aspekt ein.
Wir sind mit den MMT-Verfechter*innen einig, dass Staaten mit eigener Währung rasch und in grossen Massstäben enorme Finanzmittel bereitstellen können (und in Krisensituationen müssen), ohne vorgängig eine Finanzierung auf Steuerbasis sicherstellen zu müssen. Eine steuerbasierte Abstützung muss aber unseres Erachtens in einem zweiten Schritt zwingend vorgenommen werden, wenn nicht neue Instabilitäten und Krisenherde erzeugt werden sollen.
Zweiter Einwand: Wäre es nicht gescheiter, Reformen zu konzipieren, mit denen dauerhafte Steuereinnahmen (z.B. durch die Einführung einer Bundes-Vermögenssteuer) generiert werden können? Nun, wir wären die letzten, die die Notwenigkeit verstärkter, zeitlich unbegrenzter und rückverteilender Steuern in Abrede stellen. Aus den Reihen des Denknetzes stammen eine Vielzahl von Beiträgen zu solchen Steuerreformen, insbesondere zur Gewinnbesteuerung, und wir haben diesem Thema auch schon zwei Bücher gewidmet. Das eine trägt den Titel Richtig Steuern und ist – obwohl schon vor zehn Jahren publiziert – in seinen Grundaussagen immer noch aktuell (Baumann/Ringger, 2011). Das zweite Buch, das wir zusammen mit den JUSO herausgegeben haben, bietet Hintergrundinformationen zur 99%-Initiative (JUSO und Denknetz, 2021).
Sonder-Vermögensabgaben sind unserer Auffassung nach also keine Alternative zu permanenten Steuern, sondern eine Ergänzung im Hinblick auf die Bewältigung ausserordentlicher Krisen. In solchen Krisen fallen sehr hohe Ausgaben an, und entsprechend nimmt auch der öffentliche Mittelbedarf sprunghaft zu. Eine Sondersteuer muss für solche ausserordentliche Ausgaben konzipiert sein, nicht für regelmässige Ausgaben (für die es eben auch regelmässige Einnahmen braucht). Eine Sondersteuer kann zudem rasch realisiert werden, weil sie ausserhalb des oft komplexen Gefüges der gegebenen steuerlichen Regelungen konzipiert ist. Gerade in Krisenzeiten ist es dabei besonders angezeigt, sozial ausgleichende Sondersteuern zu erheben. Krisen treffen in aller Regel in die weniger begüterten Leute stärker als die Reichen; überdies erweisen sich viele Reiche oft als eigentliche Krisengewinnler (wie gerade wieder in der Coronakrise). Mit einer Vermögensabgabe kann die dadurch nochmals ansteigende materielle Ungleichheit erfolgreich kompensiert werden.
Dritter Einwand: Für vermögende Personen ist es ein Leichtes, sich einer solchen Soli-Steuerabgabe zu entziehen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Steuerbasis (also das zu versteuernde Vermögen) für eine Vermögensabgabe bei der Einführung der Steuer bereits ausreichend bekannt ist. In der Schweiz ist dies gewährleistet, weil sämtliche Kantone bereits eine ordentliche (allerdings geringe) Vermögenssteuer erheben und deshalb die entsprechenden Vermögensdaten kennen2. Wenn nun die Steuerschuld am Stichtag der Einführung der Steuer festgelegt wird, kann sie deshalb auch durch einen späteren Wegzug ins Ausland nicht wegbedungen werden.
Zu berücksichtigen ist schliesslich der politische Widerstand gegen eine solche Vermögensabgabe. Gerade die von der Abgabe Betroffenen verfügen über praktisch unbegrenzte finanzielle Mittel, um eine solche Reform zu bekämpfen. Sie könnten sich dabei auf Vorstellungen von einem absolut gesetzten Privateigentum abstützen, die vor allem in ländlichen und stark konservativ geprägten Regionen stark verankert sind. Dem stehen allerdings die ebenso breit verankerten meritokratischen Wertvorstellungen gegenüber, wonach Einkommen und Reichtum auf eigenen Leistungen basieren sollen. Es wird immer deutlicher, dass die aktuellen Vermögen des reichsten Prozents nichts mehr mit eigenen Leistungen dieses Prozents zu tun haben. Auch aus einer liberalen Sicht ist es deshalb gerechtfertigt, dass ein Teil der sehr hohen Vermögen der Öffentlichkeit zukommen. Eine solidarische Sonderabgabe ist ein geeignetes Instrument dazu, und wenn sich Krisen und entsprechende Kosten häufen, dann dürfte die Akzeptanz für eine solche Abgabe in breiten Bevölkerungskreisen mitunter sprunghaft wachsen.
Im folgenden Abschnitt 2 gehen wir zunächst genauer auf das von uns skizzierte Modell einer Vermögensabgabe ein. Wir erläutern im Detail, welche Eckwerte wir zur Anwendung bringen möchten und warum. Im Abschnitt 3 schildern wir eine Reihe von historischen und aktuellen Beispielen solcher Abgaben. In Europa kamen solche Steuern insbesondere im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen auf. So wurde in Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auf allen Vermögenswerten eine als Lastenausgleich bezeichnete Abgabe in der Höhe von 50% (!) erhoben – mit Erfolg. In weiteren Abschnitten erläutern wir die statistischen Hintergründe der Vermögensverteilung in der Schweiz, und wir schätzen den Ertrag der Abgabe. Ferner legen wir dar, warum rückverteilende Steuern für eine erfolgreiche Krisenbewältigung von besonderer Bedeutung sind.

2. Unser Modell einer Solidaritäts-Vermögensabgabe

Bei der von uns vorgeschlagenen Steuer handelt es sich um eine einmalige Abgabe auf die Vermögensanteile über einer Freigrenze von CHF 5 Mio. Massgebend ist das Nettovermögen, d.h. die Schulden (z.B. Hypotheken) sind abzugsfähig. Vermögenswerte in der zweiten Säule und der Säule 3a sind ebenfalls befreit. Dank des hohen Freibetrags sind nur sehr hohe Vermögensteile von sehr wohlhabenden Personen betroffen. Die Abgabe müsste von lediglich 0.78% der Bevölkerung entrichtet werden (ESTV Steuerstatistik 2017, eigene Berechnung). Die Steuer soll analog der Bundessteuer von den Kantonen zuhanden des Bundes erhoben werden. Je nach Verwendung der Erträge dürfte ein erheblicher Teil der Mittel wieder an die Kantone zurückfliessen.
Die Abgabe soll gestaffelt über eine Periode von 10 Jahren entrichtet werden. Dies deshalb, weil die damit finanzierten Projekte nicht mit einem Schlag gestartet und umgesetzt werden können. Zudem können damit unerwünschte Schockwirkungen vermieden werden, die entstünden, wenn zu einem einzigen Zeitpunkt sehr hohe Vermögenswerte von geschätzten 400 Mrd CHF verkauft werden müssten. Wir schlagen einen progressiven Steuersatz vor, beginnend mit 3% für Vermögensanteile von 5 bis 15 Mio CHF. Vermögen über 15 Mio sollen mit 4% und Vermögen über 50 Mio mit 5% besteuert werden.
Der massgebende Vermögenswert wird zum Zeitpunkt unmittelbar vor der Einführung der Abgabe ermittelt, und die Steuerschuld für die gesamten 10 Jahre basiert auf diesem Wert. Die Steuerschuld bleibt damit auch bei einem späteren Wechsel des Wohndomizils ins Ausland erhalten. Damit kann Steuerflucht von Finanzvermögen vermieden werden. Dank dem automatischen Informationsaustausch ist zudem garantiert, dass auch Finanzwerte im Ausland erfasst werden.
Durch die Einmaligkeit der Abgabe und die Verteilung auf eine längere Periode dürfte sich die jährliche Abgabe insgesamt in der Regel im Bereich des zu erwartenden Vermögensertrages bewegen (Vermögenseinkommen und Kapitalgewinne bzw. Wertsteigerung von Liegenschaften).3 Damit bleibt die Substanz des Eigentums erhalten. Somit besteht bei dieser Abgabe auch kein Wiederspruch zu der in der Verfassung verankerten Eigentumsgarantie. Sie zielt also nicht auf eine «Enteignung» der Wohlhabendsten ab. Und sollte dennoch moniert werden, die Sondersteuer verletze die Verfassung, so könnte diese natürlich auch entsprechend angepasst werden. Eine mögliche neue Verfassungsbestimmung würde dann Sondersteuer auf hohe Vermögensanteile zur Bewältigung von bedeutenden Krisen als zulässig bezeichnen.
Mit einem hohen Freibetrag von 5 Mio CHF Nettovermögen wird garantiert, dass selbstbewohntes Wohneigentum nicht von der Abgabe betroffen ist und dass auch Ersparnisse für die Selbstvorsorge im Alter nicht erfasst werden. Die Vermögensabgabe ist also so ausgestaltet, dass Haushalte mit selbstbewohnten Liegenschaften durch die Abgabe nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten oder gar als Folge der Abgabe ihre Liegenschaft veräussern müssten, zumal Hypotheken abzugsfähig sind. Auch die Selbstvorsorge im Alter wird nicht tangiert. In der zweiten Säule und in der Säule 3a gebundene Vermögenswerte werden wie erwähnt nicht mitgerechnet. Darüber hinaus sind aber besonders selbstständig Erwerbende für die Altersvorsorge möglicherweise auf weitere freie Ersparnisse angewiesen. Mit der hohen Freigrenze sind auch solche Ersparnisse geschützt, wie folgendes Beispiel zeigt. Angenommen, eine Rentnerin oder ein Rentner besitzt eine Liegenschaft mit einem steuerbaren Wert von einer Mio CHF. Weiter angenommen, diese Person bezieht ihre Renteneinkünfte aus einem Kapital von vier Mio CHF. Aus dem Kapital dieser Person resultiert bei einem Zinsertrag von 4% ein Jahreseinkommen von CHF 160‘000.-. Zusammen mit den Einkünften aus der AHV kann so eine sehr komfortable Rente erzielt werden – und zwar ohne, dass das Kapital selbst angetastet werden müsste. Eine solche Person liegt sie gerade noch unter der Freigrenze, bezahlt also keine Vermögensabgabe. Das Beispiel macht deutlich, dass die Freigrenze grosszügig bemessen ist. Zudem muss man beachten, dass die Vermögensabgabe nur auf Vermögensanteile über der Freigrenze angewandt werden soll; die im Beispiel geschilderten Einkünfte sind also auch dann geschützt, wenn das Gesamtvermögen höher liegen würde.
Oftmals wird argumentiert, eine höhere Besteuerung von Vermögen würde kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schädigen oder gar ihre Existenz gefährden. Dabei ist immer wieder von Betriebsvermögen die Rede, die steuerlich belastet würden. Die Solidaritäts-Vermögensabgabe wird jedoch nur auf den Vermögen der natürlichen Personen erhoben; Firmen (AG oder GmbH) und andere sogenannte juristische Personen (z.B. Stiftungen) und deren Betriebsvermögen sind nicht betroffen.
Einzig bei Einzelfirmen und sogenannten Personengesellschaften wird nicht zwischen Betriebs- und Privatvermögen unterschieden. Die Steuerdaten des Kantons Bern ergeben dazu folgendes Bild: Nur 6.3% der Steuerpflichtigen geben an, dass sie über Betriebsvermögen verfügen, und nur 1% besitzt ein Betriebsvermögen, das höher ist als CHF 112‘000.- (ein Betrag weit unterhalb unserer Freigrenze). Das gleiche Bild zeichnen Brunner/Meier/Näf. Nach ihren Berechnungen macht das Betriebsvermögen im Durchschnitt 2.6% des Gesamtvermögens aus und beim reichsten Prozent der Bevölkerung 7.6% (Datenbasis 2002 bis 2017; Brunner, Meier, Näf, 2021. S.9, Tabelle 1).
Es ist einleuchtend, dass Privatvermögen, die gleichzeitig als Betriebsvermögen gelten können, nicht allzu hoch sind. Sobald eine Firma mit hohen Beträgen arbeitet, ist es unerlässlich, ihr eine formell unternehmerische Rechtsform (der Fachbegriff dazu lautet «juristische Person») zu geben; denn bei Einzelfirmen und Personengesellschaften haften die Eigentümer*innen bei allfälligen Verlusten respektive Konkursen mit ihrem Privatvermögen. Fazit: Die hohe Freigrenze führt dazu, dass die mit dem Privatvermögen vermischten Betriebsvermögen von Einzelfirmen und Personengesellschaften nicht tangiert sind.
Bei Aktienbesitz handelt es sich um Privatvermögen. Wie sieht die Lage bei jenen KMU aus, die zwar steuerrechtlich eine juristische Person sind, deren Aktien jedoch in den Händen von wenigen Besitzer*innen liegen? Auch hier kann angenommen werden, dass aufgrund des hohen Freibetrags die meisten dieser KMU nicht betroffen sind. Dies auch deshalb, weil ihre Aktien (oder ihre Anteile bei einer GmbH) nicht gehandelt werden und somit nur mit dem ursprünglichen Ausgabepreis zu Buche schlagen. Dieser ist meist ziemlich niedrig, weil er lediglich dass meist bescheidene Anfangskapital decken musste. In besonderen Härtefällen kann zudem eine Ausnahmeregelung vorgesehen werden, zum Beispiel wie folgt. Im Fall von begründeten finanziellen Engpässen, z.B. wenn ein hoher Vermögensanteil in Form eines solchen Aktienpakets vorliegt und durch die Abgabe Liquiditätsengpasse entstehen könnten resp. der Betrieb gefährdet wäre, kann die Gewährung eines Aufschubs der Abgabe in einem bestimmten Jahr oder für mehrere Jahre vorgesehen werden. Allerdings sollten solche Ausnahmen klar definiert sein, um eine Umgehung der Abgabe zu vermeiden.
Von bürgerlicher Seite wird ferner argumentiert, Steuern würden die Nachfrage senken und damit die Wirtschaftsleistung beeinträchtigen. Dieses Argument ist unseres Erachtens falsch – ja es verhält sich vielmehr genau umgekehrt. Denn für die besteuerten hohen bis sehr hohen Vermögensanteile dürfte die Konsumneigung gegen Null tendieren, d.h. diese Vermögensanteile werden nicht für Konsumausgaben verwendet, sondern in Finanzanlagen gehalten. Die Steuer würde also die wirtschaftliche Nachfrage nicht oder nur unwesentlich tangieren. Die in Wertpapieren und Immobilien parkierten Vermögen lösen meist auch keine Impulse für neue Investitionen aus. Hingegen sollen mit den Steuererträgen aus der Vermögensabgabe eben gerade Investitionen im Allgemeininteresse getätigt und krisenbedingte Einbrüche bei Einkommen vermieden werden. Die Vermögensabgabe dürfte deshalb im Ergebnis belebend auf die wirtschaftliche Tätigkeit in der Schweiz wirken – selbst dann, wenn ein Teil davon im Sinne globaler Solidarität für Projekte in den ärmeren Ländern der Welt verwendet wird (und dann dort wirtschaftliche Impulse auslöst). Auch in einer längerfristigen Betrachtung resultiert so eine positive Wirkung auf die Wohlfahrtsentwicklung. Künftige Generationen profitieren davon, dass Krisen erfolgreich bewältigt und wichtige Investitionen rechtzeitig getätigt werden. Damit wird auch ein Beitrag für die Generationengerechtigkeit geleistet.
Um Vermögensabgaben erheben zu können, braucht es zuverlässige Angaben über die zu belastenden Vermögenswerte. Da sämtliche Kantone Vermögenssteuern erheben, liegen diese Angaben für alle Haushalte der Schweiz bereits vor. Ein (lösbares) Problem ergibt sich dadurch, dass die Liegenschaften durch die Kantone sehr unterschiedlich bewertet werden. Nun wird aber heute bereits parallel zu den kantonalen Berechnungen ein schweizweit einheitlicher sogenannter Repartitionswert ermittelt. Der Repartitionswert dient dazu, bei Steuerabgleichen zwischen den Kantonen den Steuerwert von Liegenschaften ausserhalb des Wohnsitzkantons ermitteln zu können; auf diese schweizweit einheitlichen Berechnungen soll sich auch die Vermögensabgabe abstützen. Damit wird vermieden, dass die berechneten Werte von Kanton zu Kanton unterschiedlich ausfallen.
Aufgrund des hohen Freibetrages fällt der Kreis der von der Abgabe Betroffenen klein aus. Wie erwähnt sind nur 0.78% der Steuerpflichtigen von der Abgabe betroffen (Steuerstatistik ESTV, 2017; das ist die zum Zeitpunkt unserer Recherchen aktuellste verfügbare Datenbasis). Bedingt durch die hohen und stark angestiegenen Vermögensbestände in der Schweiz (vgl. Annaheim & Heim 2021)4 und den extrem hohen Vermögen einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen (vgl. Abschnitt 5) können mit der vorgeschlagenen Steuer erhebliche Mittel für die öffentliche Hand generiert werden. Anhand einer von uns vorgenommenen groben Schätzung (Genaueres im nächsten Abschnitt) kann angenommen werden, dass die vorgeschlagene Vermögensabgabe über die gesamte Periode von zehn Jahren gerechnet zu einem vorsichtig geschätzten Gesamtertrag von 400 Mrd. CHF führt, was mehr als der Hälfte der jährlichen Wertschöpfung der Schweiz entspricht. Während der Periode von zehn Jahren würden somit jährlich rund 40 Mrd. an zusätzlichen Mitteln verfügbar. Das sind etwa 18% der jährlichen Staatsausgaben oder gut 5% der jährlichen Wertschöpfung.
Im Vergleich zu der von Kapeller/ Leitch/ Wildhauer 2021 vorgeschlagenen EU-Vermögenssteuer5 liegt der hier präsentierte Vorschlag zwischen dem schwach und dem stark progressiven Modell. Obwohl der Freibetrag deutlich höher und der Anteil der betroffenen Personen kleiner ist, ist der potentielle Ertrag gemessen am BIP beim von uns modellierten Vorschlag höher.
Für eine erfolgreiche Einführung einer Vermögenssteuer ist es wichtig, Steuervermeidung und -hinterziehung zu verhindern (vgl. Scheuer/Slemrod 2020). Dafür sind umfassende und weitgehende Kontrollen erforderlich. Den Steuerbehörden sind entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Die vergleichsweise geringe Zahl der betreffenden Steuerpflichtigen erleichtert dabei die Durchführung einer effizienten und wirksamen Kontrolle. Ebenso dient der neu eingeführte automatische Informationstausch mit den Steuerbehörden anderer Länder der Verhinderung der Steuervermeidung. Zudem ist wäre es längst angebracht, das Bankgeheimnis (eigentlich ist es ein Steuerhinterziehungsgeheimnis) auch im Inland aufzuheben. Idealerweise würde die Aufhebung dieses Geheimnisses mit der Einführung der Vermögensabgabe gleich gekoppelt.

3. Rund 400 Mrd CHF Gesamtertrag

Wie hoch fallen die Erträge der von uns vorgeschlagenen Vermögensabgabe aus? Wir nehmen im Folgenden eine Schätzung auf Basis der Vermögensstatistik der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV vor. Die Daten der ESTV basieren auf den Steuererklärungen, die von den Kantonen erhoben werden. Die ESTV publiziert diese Daten jeweils mit rund vier Jahren Verspätung, weil es dauert, bis diese Steuerdaten konsolidiert vorliegen. Die aktuellsten verfügbaren Daten stammen aus dem Jahr 2017.
Zur Erinnerung: Wir schlagen eine Abgabe von 3% für Vermögensanteile zwischen 5 bis 15 Mio CHF, von 4% für Vermögensanteile zwischen 15 und 50 Mio CHF und von 5% auf Anteile über 50 Mio CHF vor. In den öffentlich verfügbaren Angaben der ESTV werden nun allerdings nur die Kategorien 3 Mio bis 5 Mio, 5 Mio bis 10 Mio und grösser als 10 Mio ausgewiesen. Wir haben deshalb zwei zwangsläufig fehlerbehaftete Berechnungen vorgenommen und daraus den Durchschnitt errechnet.
In der ersten Berechnung belasten wir Vermögensanteile zwischen 5 Mio und 10 Mio mit 3%, Anteile ab 10 Mio mit 4%. Damit werden Vermögen zwischen 10 Mio und 15 Mio anstatt zu 4% nur zu 3% gerechnet, und Vermögen über 50 Mio nur zu 4% statt zu 5%. D.h. der errechnete Ertrag fällt zu tief aus. Er liegt für die gesamte zehnjährige Periode bei 309 Mrd CHF.
In der zweiten Berechnung belasten wir Vermögensanteile zwischen 5 Mio und 10 Mio mit 3%, Anteile ab 10 Mio mit 5%. Hier werden Vermögen zwischen 10 Mio und 15 Mio zu 5% statt zu 3% gerechnet und Vermögen zwischen 15 Mio und 50 Mio zu 5% statt zu 4%. Der berechnete Ertrag fällt diesmal also zu hoch aus. Er liegt bei 374 Mrd CHF. Nimmt man als Grobschätzung den Durchschnitt dieser beiden Berechnungen, so kommt man auf einen Gesamtertrag von 342 Mrd. bzw. 34.2 Mrd. pro Jahr. Betroffen wären nur 0.78% der Steuerpflichtigen.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich die Schätzung auf die Vermögenssituation des Jahres 2017 bezieht. Seither haben jedoch vor allem die sehr hohen Vermögen stark zugelegt. Ein Vergleich der Zahlen von 2017 mit denjenigen von 2016 vermittelt eine Vorstellung davon, wie hoch diese Steigerungen sind.. Der Ertrag aus der Vermögensabgabe wäre in diesem einzigen Jahr um 11.4% gestiegen6. Bei den aktuellen Vermögenszahlen von 2021 kann somit mit nochmals erheblich höheren Erträgen gerechnet werden. Wir tragen dem Rechnung, indem wir den auf den Werten von 2017 basierenden Ertrag von 342 Mrd um 15% erhöhen. Das entspricht einem sehr zurückhaltend geschätzten gleich hohen Vermögenszuwachs im Zeitraum 2017-2021 . Wir kommen so auf einen mutmasslichen Ertrag von 393,3 Mrd CHF, den wir auf 400 Mrd CHF aufrunden.

4. Historische Beispiele

Staaten und Gemeinwesen waren in der Folge von Krisen und zur Bewältigung von speziellen Aufgaben (z.B. dem Wiederaufbau nach Kriegen, dem Ausbau grosser Infrastrukturen oder eines neuen Bildungswesens) immer wieder mit ausserordentlichen Ausgaben konfrontiert. Dabei stellte sich die Frage, wie diese finanziert werden können. Eine häufig angewendete Möglichkeit der Mittelbeschaffung für solche ausserordentlichen Ausgaben war das Zurückgreifen auf Vermögensbestände der reichsten Bevölkerungsgruppen in Form von einmaligen Vermögensabgaben oder Zwangsanleihen. Dabei wurden in der Regel hohe Freibeträge angesetzt, so dass nur die Allerreichsten von der Abgabe betroffen waren. Diese Abgaben wurden als fester oder progressiv steigender Anteil am Nettovermögen bemessen. Oft konnten die Abgaben über einen längeren Zeitraum in Form von regelmässigen Zahlungen geleistet werden. Bei Zwangsanleihen wird eine Rückzahlung mit einem festgelegten Zins in Aussicht gestellt. Teilweise wurden auch Steuern auf bestimmten Eigentumsteilen (z.B. Grundstücksteuer), Vermögensgewinnen (z.B. Kapitalgewinnsteuer) oder auf vererbtem Eigentum erhoben (Erbschaftssteuer).
Schweiz

Manchmal wurden Steuern, die ursprünglich zeitlich befristet konzipiert worden waren, zu einer dauerhaften Einrichtung. So geht die direkte Bundessteuer der Schweiz auf eine Vermögensabgabe aufgrund der finanziellen Notlage im Ersten Weltkrieg zurück. 1915 wurde diese «Kriegssteuer» in einer Volksabstimmung von 95% der Stimmbürger*innen angenommen. Besteuert wurde v.a. das Vermögen der Wohlhabenden, während 70% der Bevölkerung von der Steuer befreit waren (Hürlimann 2021: 34). Allerdings zeigte sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem deklarierten Kapital und dem geschätzten Volksvermögen, was u.a. auf die fehlenden Kapazitäten für die Steuerkontrollen zurückgeführt werden konnte (Tanner 2012).
Um die Opfer des Ersten Weltkrieges gerechter zu verteilen, lancierte die Sozialdemokratische Partei eine Volksinitiative für eine reguläre direkte Bundessteuer, die 1918 mit 54% der Stimmen abgelehnt wurde, bei allerdings deutlichen regionalen Ja- Mehrheiten in Zürich (61%) und Basel (66%) (Tanner 2012, Hürlimann 2021). An deren Stelle wurde 1919 die ausserordentliche Kriegssteuer eingeführt. 1922 lancierte die Sozialdemokratische Partei eine weitere Volksinitiative für eine einmalige7 Vermögensabgabe, mit dem Ziel, die Staatschulden zu tilgen und «den Kantonen und Gemeinden die Erfüllung von sozialen Aufgaben zu ermöglichen»8 Vermögen ab einer Höhe von 80‘000 CHF9 sollten mit einem Steuersatz von 6% besteuert werden, bei progressivem Anstieg bis zu einem Satz von 60% für sehr hohe Vermögen (über 32.7 Mio CHF). Gemäss Schätzung des Bundesrates wären nur 0.6% der Bevölkerung betroffen gewesen (Stadelmann & Loretz 2014). Das Bürgertum mobilisierte all seine Kräfte gegen die Vorlage und operierte dabei mit einer Schreckpropaganda, mit den Klischees einer grossangelegten Enteignung und eines Steuervogtes, der den kleinen Mann um sein wohlverdientes Erspartes bringen würde – mithin mit einer eigentlichen «weltanschaulichen Grossschlacht» (Tanner 2012). Obwohl die Initiative nur eine sehr kleine Minderheit der Vermögendsten betroffen hätte, wurde sie von 87%(!) der Stimmenden abgelehnt.
Mit der Krisenabgabe von 1930 wurde dann hauptsächlich das Einkommen aus Arbeit, Gewinn und anderen Quellen besteuert, während auf dem Vermögen nur noch eine Zusatzsteuer erhoben wurde. Zur Finanzierung der Militärausgaben im Zweiten Weltkrieg wurde die Tradition der direkten Bundessteuer in Form der Wehrsteuer fortgeführt. Diese zeitlich begrenzte Steuer wurde nach dem Krieg weitergeführt und regelmässig verlängert. 1958 wurde die Wehrsteuer zusammen mit der damaligen Warenumsatzsteuer in der Bundesverfassung verankert (Art. 128 der aktuellen BV) und später in die direkte Bundessteuer und die Mehrwertsteuer umgewandelt. Sie ist bis heute zeitlich begrenzt: Zuletzt haben die Stimmenden 2018 diese Finanzordnung ab 2021 für 15 Jahre verlängert.
Europa

In diversen europäischen Ländern wurden nach den Weltkriegen einmalige Vermögensabgaben zur Tilgung der Staatschulden eingeführt (Deutschland, Österreich, Tschechoslowakei, Italien, Ungarn).
Deutschland hat in fiskalischen Notlagen immer wieder auf ausserordentliche Finanzierungsinstrumente zurückgegriffen, um Staatdefizite, die Kriegswirtschaft sowie den Wiederaufbau nach den Kriegen zu finanzieren (Bach 2012). 1913 wurde mit dem Wehrbeitrag eine einmalige Vermögensabgabe zur Finanzierung der Rüstungsausgaben eingeführt. Vermögen von über 10‘000 Mark wurden mit Sätzen von 0.5 bis 1.5% belastet, was einen Ertrag von 1.7% des BIP einbrachte. Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland mit hohen Staatschulden, laufenden Defiziten und Reparationskosten konfrontiert. Zur Finanzierung wurde das «Reichsnotopfer» eingeführt, eine ausserordentliche Vermögensabgabe auf Vermögen über 7 Mio Mark. Die Abgabesätze betrugen mindestens 10% mit einem stufenweisen Anstieg bis auf 65%. Aufgrund von Ermittlungsproblemen, Steuerflucht und politischem Widerstand scheiterte diese Vermögensabgabe und wurde 1923 durch eine allgemeine Vermögenssteuer ersetzt. Parallel dazu wurden die Vermögenden zu einer Zwangsanleihe verpflichtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland erneut eine Vermögensabgabe erhoben, den sogenannten Lastenausgleich. Diesmal war die Abgabe ein Erfolg. Basis der Abgabe war der Vermögensstand vom 21. Juni 1948, dem Tag nach Einführung der D-Mark. Die Abgabe belief sich auf erhebliche 50 % des ermittelten Vermögens. Sie konnte in vierteljährlichen Raten verteilt auf 30 Jahre entrichtet werden und wurde verwendet, um Leute zu unterstützen, die vom zweiten Weltkrieg besonders hart betroffen waren. Durch die Verteilung der Steuer auf viele Jahre hinweg betrug die jährliche Belastung lediglich 1,67 % und lag meist deutlich unter dem Ertragswert des betroffenen Vermögens. Der Ertrag entsprach 60% des Bruttoinlandprodukts von 1952 (alle Angaben aus Bach 2012). Auffallend ist, dass diese sehr hohe Vermögensabgabe offensichtlich das «Deutsche Wirtschaftswunder», d.h. den ausserordentlichen Aufschwung der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nicht behindert, vielmehr sogar gefördert hat, weil dadurch die wirtschaftliche Nachfrage in der Bevölkerung breiter abgestützt werden konnte.
In Italien wurde nach dem ersten Weltkrieg eine ausserordentliche Steuer auf Eigentum vorgeschlagen, um die hohen Schulden zu tilgen und die Projekte der sozialistischen Nachkriegsregierung zu finanzieren (Eichengreen 1989: 18-20). Der ursprüngliche Vorschlag sah eine Abgabe auf der Vermögenszunahme im Zeitraum 1914 bis 1919 vor. Der Vorschlag stiess auf heftige Opposition, insbesondere weil befürchtet wurde, dass Liegenschaftsbesitzer aufgrund der Abgabe zur Veräusserung der Liegenschaft gezwungen würden. Schliesslich wurde 1920 eine ausserordentliche Vermögensabgabe von 4.5% bis 50% eingeführt (je nach Höhe des Vermögens), welche innerhalb von 20 Jahren zu entrichten war, womit sich die jährliche Abgabelast auf 0.225% bis 2.5% beschränkte. Damit wurde ein Teil der staatlichen Ausgaben der Zwischenkriegszeit finanziert (Eichengreen, 1989).
USA und Japan

In den USA wurden in den 30er Jahren zur Finanzierung der Not-, Wirtschafts- und Sozialmassnahmen (New Deal) ab einem Einkommen von einer halben Million Dollar Grenzsteuersätze von bis zu 79% eingeführt. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieser maximale Satz sogar noch auf 94% erhöht. Eine derart starke Progression bei der Einkommenssteuer hat vor allem Personen mit hohen Vermögenseinkommen erfasst.
Als erfolgreiches Beispiel einer Vermögensabgabe gilt auch die Abgabe in Japan von 1946/47 (Eichengreen 1989). Damit wurden die Steuerschuld aus dem zweiten Weltkrieg reduziert und Ressourcen für das Aufbauprogramm der Infrastrukturen bereitgestellt. Ein weiteres Ziel war die Einschränkung der Einkommensungleichheit. Die Abgabe betraf eine kleine Schicht von sehr Vermögenden, die z.T. den Krieg gefördert und davon profitiert hatten. Die Abgabe wurde bei Haushalten erhoben, die am 3. März 1946 über mehr als 100‘000 Yen verfügten. Je nach Vermögenshöhe wurden 10% bis 90% des Vermögens abgeschöpft. Dies betraf 9% des privaten Vermögens und generierte Ressourcen im Umfang von 120% der ordentlichen Steuereinnahmen. Die Abgabe war auf die 2% reichsten Haushalte beschränkt. Die speziellen Umstände nach dem 2. Weltkrieg (insbesondere die Besetzung durch die Alliierten) begünstigten die Einführung der Abgabe, weil sie den Einfluss der Vermögendsten auf die Entscheidungsfindung einschränkte.

5. Aktuelle Vorschläge und Beispiele von Vermögensabgaben

Bach (2012) hat zur Bewältigung der EU-Finanz- und Wirtschaftskrise eine einmalige europaweite Vermögensabgabe von 10% auf Vermögen von über 250‘000 EUR vorgeschlagen. Gemäss seinen Simulationsrechnungen könnte damit ein Ertrag von 92% des BIP generiert werden, wobei nur 8% der Bevölkerung der Steuer unterworfen wären. Bei einem höheren Freibetrag von 1 Mio Euro wären nur noch 0.6% der Bevölkerung betroffen, während der Ertrag nur 20% geringer wäre. Daran zeigt sich das enorme Steuerpotential der Spitzenvermögen.
Kappeller, Leitich, Wildauer (2021) haben das Potential einer Vermögensabgabe der EU-Länder geschätzt, wobei sie die Basisdaten des europäischen Haushaltspanels anhand von Zusammenstellungen zu den vermögendsten Haushalten und mithilfe der Pareto-Verteilung korrigiert haben. Damit zeigte sich eine deutlich ungleichere Verteilung der Vermögen als die aufgrund der Basisdaten des Haushaltspanels ermittelte10. Dies bedeutet, dass das Potential einer Vermögensabgabe der Wohlhabendsten deutlich höher einzuschätzen ist als üblicherweise angenommen. Die vermögendsten Haushalte, die einen erheblichen Teil des Gesamtvermögens besitzen, sollten deshalb zur Finanzierung der Kosten der Covid19-Pandemie und der Umweltkrisen beitragen. Dies sei auch deshalb gerechtfertigt, weil die Wohlhabendsten deutlich mehr CO2-Emissionen verursachen als weniger Wohlhabende. Die Autoren stellen 5 Modelle der Vermögensabgabe mit unterschiedlich progressiven Steuerraten vor. Beim Flat-Tax-Modell werden Vermögen ab 1 Mio Euro mit 2% besteuert. Damit liegt die Steuerrate deutlich tiefer als die durchschnittliche Rendite von Aktien, womit die Substanz des Vermögens erhalten bleibt. Bei einer schwachen Progression reichen die Steuerraten von 1% (ab 1 Mio) bis 3% (ab 3 Mio) und bei einer starken Progression von 2% (ab 2 Mio) bis 10% (ab 500 Mio).
Das von Piketty vorgeschlagene «Wealth Cap Model» (Modell der Vermögensdeckelung) geht vom Durchschnittsvermögen aus und startet bei Vermögen, die der Hälfte des Durchschnittsvermögens entsprechen. Sie sollen mit einer Rate von 0.1% besteuert werden. Diese Rate wird kontinuierlich erhöht: Vermögen, die 1’000-mal höher sind als das Durchschnittsvermögen sollen zu 60%, solche die 10‘000 mal höher sind zu 90% besteuert werden. Pikettys Berechnungen zeigen, dass mit dem «flat tax Modell» Erträge im Umfang von 1.4% bis 2.3% des BIP generiert werden können, je nachdem, wie hoch die Steuerflucht geschätzt wird. Beim «Wealth Cap Modell» liegt das Ertragspotential bei 9.1% bis 15.5% des BIP (Kappeler, Leitich, Wildauer 2021: 17).
Saezu und Zucman (2021) schlagen für die USA eine Kapitalgewinnsteuer für Milliardäre vor. Die Erhebung dieser Steuer wäre administrativ einfach, da sie weniger als 1000 Steuersubjekte betreffen würde. Ausgehend vom Vorstoss von J. Biden, die Unternehmenssteuern auf 28% und die Kapitalertragssteuer von 20% auf 39.6% anzuheben, schlagen sie eine einmaligen Abgabe von 39.6% auf unrealisierten Kapitalerträgen vor. Sie schätzen, dass damit rund 1‘000 Mrd USD für staatliche Investitionen, Projekte zur Schuldentilgung usw. generiert werden könnten.
Ein aktuelles Beispiel einer verwirklichten Vermögensabgabe ist jene, die Argentinien im Dezember 2020 beschloss. Die Regierung von Präsident Alberto Fernández beabsichtigte damit, eine Finanzierungsquelle für die enormen Kosten der Covid-19-Krise zu erschliessen. Die Steuer wurde auf Vermögen ab 200 Millionen Pesos erhoben, was ca. 1.9 Millionen Schweizer Franken entspricht (Stand August 2021). Damit sind etwa 0.8 Prozent der Bevölkerung betroffen. Der Steuersatz ist progressiv ausgerichtet und beträgt bis zu 5.25 Prozent. Im Vorfeld wurde Kritik an diesem Vorhaben laut. Einerseits würden die Reichen die Steuer mittels Kapitalflucht umgehen, zweitens könnten sie sie auch rechtlich anfechten. Kapitalflucht setzte bestimmt ein und auch Klagen wurden eingereicht. Dennoch erzielte der Staat mit dieser einmaligen Steuer gemäss der bisher vorhandenen Informationen Einnahmen von umgerechnet 2.2 Milliarden Franken bzw. 0.5 Prozent des Bruttoinlandprodukts, was die Erwartungen der Kritiker übertraf (Kaplan, 2021). Die ausserordentlichen Einnahmen werden für den Wohn-, Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie zur Unterstützung kleiner Unternehmen verwendet.
Schliesslich sei auch ein Vorschlag erwähnt, der aus heutiger Sicht eher kurios wirkt. Im Jahr 1999 erwog ein milliardenschwerer US-Geschäftsmann, sich von der rechtsnationalen Reform Party als Kandidat für das Amt des US-Präsidenten nominieren zu lassen. Als Teil seines Wahlprogramms schlug er eine einmalige Abgabe von 14.25 Prozent auf hohe Vermögen ab 10 Millionen Dollar vor. Nach seinen Berechnungen hätte eine solche Abgabe einen Gesamterlös von 5‘700 Milliarden US-Dollar ergeben. Damit hätten die US-Staatsschulden in einem einzigen Schnitt vollständig getilgt werden können, und damit wäre auch die Zinslast für diese Schulden in einer jährlichen Höhe von damals 200 Milliarden Dollar weggefallen. Diese Einsparung sollte gemäss den Plänen des Geschäftsmannes zur Hälfte für die Verbesserung der sozialen Sicherheit und zur Hälfte für Steuerentlastungen des Mittelstandes genutzt werden. Von der Abgabe betroffen sei nur jenes eine Prozent der US-Bürger*innen, das 90 Prozent der Vermögen kontrolliere. Persönlich würde ihn die Abgabe mehrere hundert Millionen Dollar kosten, aber das sei es wert11. Der Name dieses Geschäftsmannes lautete – Donald Trump, der spätere Präsident und radikale Steuer-Abbauer.

6. Die Vermögensverteilung in der Schweiz

Wie in den meisten Ländern sind die Einkommen auch in der Schweiz ausgesprochen ungleich verteilt. Solche Verteilungsbetrachtungen basieren auf dem sogenannten Haushalts-Äquivalenzeinkommen, um möglichst aussagekräftig zu sein12. Demnach verfügen die einkommensschwächsten Steuerpflichtigen (unterste 20%) nur über 2.2% des gesamten Einkommens, während den obersten 10% mehr als ein Drittel der Einkommenssumme (34.1%) zufallen. Die obersten Einkommen heben sich aufgrund der Spitzenlöhne, der Boni und der hohen Vermögenseinkommen markant von den übrigen Einkommensgruppen ab. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern befindet sich die Schweiz bei der Einkommens-Ungleichheit auf einem mittleren Niveau. Vor allem die Ungleichheit bei den Erwerbseinkommen ist in der Schweiz verhältnismässig moderat, was mit der hohen Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, der geringen Arbeitslosigkeit, der Absicherung durch die Sozialversicherungen und den von den Gewerkschaften durchgesetzten relativ hohen Mindestlöhnen zusammenhängt. Demgegenüber ist die Rückverteilung durch Steuern und Sozialbeiträge in der Schweiz aufgrund der vergleichsweisen tiefen Steuern und der wenig ausgeprägten Steuerprogression eher gering. Und wie in den meisten anderen Ländern hat die Einkommensungleichheit in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen.
Ausgesprochen ungleich ist in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern hingegen die Verteilung des Vermögens. Die Schweiz gehört nicht nur zu den vermögendsten Ländern der Welt, sie ist auch eines der Länder mit den am stärksten ungleich verteilten Vermögen. Allein 0.3% der natürlichen Personen verfügen über fast ein Drittel aller Vermögen (30.9%)13. In den letzten 30 Jahren ist die Vermögensverteilung zudem noch wesentlich ungleicher geworden (Baumann / Fluder 2021). Anfangs der 90 Jahre fielen 30% aller Vermögenswerte auf 1% der Steuerpflichtigen. Dieser Anteil ist seither auf über 44% (2018) angestiegen. Nur rund 1.4% der Steuerpflichtigen verfügen über die Hälfte der Vermögen, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung – abgesehen vom Vorsorgekapital in der Pensionskasse – über kein oder fast kein Vermögen verfügt. Auch die Steuerdaten des Kantons Bern zeigten dasselbe Bild: Die untere Hälfte der Bevölkerung besitzt nur 2.4% des Vermögens, während 60% in den Händen der obersten 10% sind (Fluder/ Farys/ Baumann 2021). Kein anderes Land in Europa und nur wenige Länder in der Welt haben eine ähnlich ungleiche Verteilung der Vermögen.
Abbildung 1: Entwicklung des Anteils des vermögendsten Prozents am Gesamtvermögen. Quellen: ESTV, Gesamtschweiz. Vermögensstatistik, World Enequality Data WID (Schweiz ohne Vorsorgekapital BVG)
Gleichzeitig haben die Steuern auf hohen Vermögen deutlich abgenommen, und die Besteuerung der Erbschaften für Kinder und Ehepartner/innen sind in fast allen Kantonen abgeschafft. Nur die Kantone Appenzell Inneroden, Luzern, Neuenburg, Solothurn und Waadt kennen noch eine (geringe) Besteuerung der Erbschaften von direkten Nachkommen.
Es erstaunt nicht, dass die hohen Vermögen und die Spitzeneinkommen bei derselben Personengruppe zusammenfallen. So verfügt im Kanton Bern das einkommensreichste Prozent über Vermögen von durchschnittlich mehr als 7 Mio CHF, während bei der unteren Hälfte der Einkommenspyramide die Durchschnittsvermögen pro Einkommensdezil bei 120‘000 bis 280‘000 liegen. Damit verstärken sich Einkommens- und Vermögensungleichheiten gegenseitig, wobei die Vermögensungleichheit ein immer wichtigerer Treiber der gesamten Ungleichheit ist, unter anderem weil die sehr hohen Vermögenseinkünfte wesentlich zu den Spitzeneinkommen beitragen. Während der Gini-Index des Gesamteinkommens .36 beträgt, ist das Vermögenseinkommen mit einem Gini-Index von .86 noch weit ungleicher verteilt als die Vermögen selbst.
Beim obersten Einkommensprozent macht das Vermögenseinkommen bei den Erwerbshaushalten 36% und bei den Rentnerhaushalten gar 75% vom gesamten Einkommen aus (Fluder/ Farys/ Baumann 2021). Die Hälfte der Bevölkerung verfügt hingegen über gar kein Vermögenseinkommen. Auch bei der oberen Mitte fallen die Vermögenseinkommen kaum ins Gewicht, während das Prozent mit dem höchsten Vermögenseinkommen im Durchschnitt 300‘000 CHF vermögensbasierte Einkommen erzielt. Damit konzentriert sich das Vermögenseinkommen auf eine äusserst kleine Gruppe. Dazu kommt wie schon erwähnt, dass das Gesamtvermögen im Vergleich zum Gesamteinkommen in den letzten Jahren viel stärker zugenommen hat. Während in den 70er Jahren das gesamte Vermögen in der Schweiz etwa dem 4.5 fachen Nationaleinkommen entsprach, ist dieser Faktor auf heute 7 angestiegen, wobei der starke Anstieg im letzten Jahrzehnt hauptsächlich auf die sehr hohen Kapitalgewinne (v.a. auch im Immobiliensektor) zurückzuführen ist (Baselgia, Martinez 2020). Leittragende waren wegen steigender Mietkosten die Mieter*innen, was einer Umverteilung von den Mieter*innen zu den Immobilienbesitzer*innen gleichkommt und die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen zusätzlich verschärft. So muss jeder zweite Zürcher Haushalt, wenn er sich eine durchschnittlich teure, 90 m2 grosse Wohnung leisten will, dafür mindestens 47 Prozent des mittleren Einkommens aufwenden. In Bern, Basel, Lausanne und Genf sind es 40, 43, 48 und 54 Prozent des Medianeinkommens (Vontobel, 2020).
Ein weiterer Treiber der Ungleichheit sind Erbschaften. Jeder zweite Vermögensfranken ist geerbt. Erbschaften haben in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen und betrugen gemäss Schätzungen im Jahr 2020 rund 95 Mrd CHF. Gleichzeitig ist die Besteuerung der Erbschaften durch die weitgehende Abschaffung der Erbschaftssteuer für die direkten Nachkommen erheblich gesunken. Während 1990 ein vererbter Franken im Schnitt mit 4.1 Rp. besteuert worden ist, liegt dieser Betrag heute bei nur noch 1.4 Rp. (Kiener Nellen/Roos, 2021). Die Steuerreduktion auf hohen Einkommen und Vermögen sowie die Steuerbefreiung des grössten Teils der Erbschaften haben die Ungleichheit also nochmals vorangetrieben.
Erbschaften sind äusserst ungleich verteilt und kommen hauptsächlich den bereits Vermögenden und Haushalten mit einem Spitzeneinkommen zugute (Fluder/Farys 2020). Gemäss Analysen der Steuerdaten des Kantons Bern gehen 30% der Erbschaften an das vermögendste eine Prozent und 54% an das vermögendste Dezil. Die Topverdienenden, d.h. das eine Prozent mit den höchsten Einkommen, erhalten 22% der Erbschaftssumme. Hier kommt das Matthäus-Prinzip voll zum Tragen: Wer hat, dem wird gegeben. Es ist an der Zeit diese Entwicklung umzukehren.
Abbildung 2: Durchschnittliche Vermögenseinkommen (netto) nach Perzentilgruppen. Quelle: Steuerdaten das Kantons Bern 2015. N=422‘328 Haushalte. Anmerkungen: Von den Bruttovermögenserträgen wurden die Zinsen und 20% der Liegenschaftserträge als Pauschale für den Liegenschaftsunterhalt abgezogen. Die Perzentilgruppen wurden über das Nettovermögenseinkommen der Haushalte gebildet. Das durchschnittliche Nettovermögenseinkommen der unteren Hälfte ist negativ (-421 CHF), weil vom gesamten Vermögenseinkommen die Zinsen abgezogen wurden.

7. Rückverteilen, Rückverteilen, Rückverteilen

Wenn es darum geht, Reichtum von ‘oben’ nach ‘unten’ zu verschieben, wird meist von Umverteilung gesprochen. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, weil er lediglich die sogenannt sekundäre Verteilung (Steuern, Gebühren, Zwangsabgaben) ins Auge nimmt. Wird jedoch auch die Primärverteilung der Einkommen berücksichtigt (also diejenige, die sich aus dem unmittelbaren wirtschaftlichen Aktivitäten ergibt: Löhne, Kapitaleinkommen), so zeigt sich ein ganz anderes Bild. Denn diese Primärverteilung erfolgt in höchst ungleicher Art und Weise und verteilt dabei den von den Menschen erarbeiteten Reichtum in erheblichem Masse um, und zwar zugunsten einer kleinen reichen Minderheit. Von dem Reichtum, der von der Bevölkerung erarbeitet wird, geht ein grosser und wachsender Teil an die Grosskonzerne und an die Vermögenden (z.B. in Form von Profiten, Dividenden, Kapitalerträgen und Mieteinnahmen).
Ein Blick auf die Löhne macht die Verschiebungen deutlich, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Laut Verteilungsbericht des SGB sind «zwischen 1996 und 2018 die Stundenlöhne des obersten Prozents um 48 Prozent gestiegen, die Stundenlöhne der tiefsten 10 Prozent hingegen nur um 17 Prozent (Privatwirtschaft, preisbereinigt)». 2018 erzielte das oberste 0.1 Prozent ein monatliches Lohneinkommen von mindestens 68‘000 CHF, also mehr als zehn Mal so viel wie das mittlere Lohneinkommen (Medianlohn, 6538 CHF). Die Frauen-Stundenlöhne wiederum liegen immer noch um 11.5% tiefer als diejenigen der Männer (alle Angaben SGB 2020, S.6). Stark ins Gewicht fällt zudem, dass Frauen nach wie vor weitaus mehr unbezahlte Betreuungs- und Hausarbeit leisten als Männer. Würde diese Arbeit zu Marktpreisen entlöhnt, dann müsste den Frauen jährlich 80 Mrd CHF ausbezahlt werden (WIDE Switzerland, 2017). Damit wird deutlich: Auch diese unbezahlte Arbeit trägt massgebend zum verfügbaren Reichtum bei, ohne jedoch endsprechend vergütet zu werden.
Solche Ungleichheiten in der Primärverteilung der Einkommen lassen sich nicht mit unterschiedlichen Leistungen oder beruflichen Qualifikationen erklären. Hier findet vielmehr eine erhebliche primäre Umverteilung von unten nach oben statt. In der Sekundärverteilung kann diese Ungleichheit dann zumindest teilweise korrigiert werden. Das entspricht dann allerdings in der Gesamtbetrachtung eben nicht einer Umverteilung, sondern einer Rückverteilung – ein Begriff, für dessen Verwendung sich das Denknetz seit vielen Jahren stark macht. Eine Solidaritäts-Vermögensabgabe, wie wir sie vorschlagen, hätte demnach beträchtliche und hoch erwünschte Rückverteilungs-Wirkungen.
Dabei geht es um weitaus mehr als um mehr Gerechtigkeit. Vor elf Jahren publizierte die Denknetz-Fachgruppe Politische Ökonomie einen Text mit dem Titel «Zu reich für den Kapitalismus». Darin erläutern die Autor*innen ein Phänomen, das als «Kapitalüberakkumulation» bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass die Summe aller Profite über längere Zeiträume hinweg chronisch grösser ist als die Summe aller Investitionen. Anders gesagt: Die Investitionsmöglichkeiten, aus denen sich die Kapitalbesitzenden ausreichende neue Profite versprechen könnten, sind kleiner als das vorhandene Kapital. Das ist eine Zeitbombe. Denn dieses Kapital will und muss Rendite erzielen, damit es nicht entwertet oder gar vernichtet wird und damit eine kapitalistische Wirtschaft im Gleichgewicht bleibt. Dafür müssten sich eigentlich Profite und Investitionen parallel entwickeln. Weil dem nun schon seit mehreren Jahrzehnten nicht so ist, fliessen immer mehr Gelder in Finanzprodukte (z.B. Aktien, Derivate, Fonds) und in Immobilien. Deren Preise werden in der Folge aufgebläht, d.h. sie steigen deutlich stärker an als die in Geld gemessene Wirtschaftsleistung (BIP). Ebenso wächst auch der Spekulationsdruck. Beides untergräbt die Stabilität des Finanzsystems und damit auch diejenige der gesamten Wirtschaft.
Bei rückverteilenden Steuern geht es deshalb auch darum, die Zeitbombe von überblähten Finanz- und Immobilienmärkten zu entschärfen. Gleichzeitig soll dabei der gesellschaftliche Reichtum dorthin umgelenkt werden, wo er möglichst viel gesellschaftlichen Nutzen erzeugt: Weg von den Finanzmärkten, hin zu öffentlichen Diensten und Infrastrukturen, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, globaler Gerechtigkeit.
Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass bei herrschender Kapitalüberakkumulation private Investitionen durch rückverteilende Steuern nicht einschränkt werden, wie von bürgerlicher Seite beharrlich behauptet wird. Denn Kapital ist ja im Überschuss vorhanden, und zwar nicht zu knapp. Vielmehr fördert die Vermögensabgabe Investitionen durch die öffentliche Hand – Investitionen, die wir für den ökosozialen Umbau der Gesellschaft auch dringend benötigen.

8. Wie eine Vermögensabgabe verwirklichen?

Wie gezeigt stehen den staatlichen Schulden und den benötigten Ressourcen für die Bewältigung der Krisen und der Anpassung an die neuen Erfordernisse ein Vielfaches an privatem Vermögen gegenüber. Mit Abgaben auf Vermögen wird der Konsum nicht beeinträchtigt und die Investitionen werden in dringend notwendige Bereiche gelenkt. Da die vorgeschlagene Vermögensabgabe nur einen kleinen Teil der Vermögen betrifft, sind auch private Investitionen kaum beeinträchtigt. Hingegen würden die öffentlichen Investitionen und der rechtzeitige ökologische Umbau auch die Wirtschaft stimulieren. Gesellschaft wie auch die Wirtschaft können davon profitieren (und damit übrigens wiederum auch die höchsten Vermögensschichten). Durch die Konzentration der Abgabe auf die Vermögendsten könnte auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft wirksam bekämpft werden. Gleichzeitig würde auch ein wesentlicher Beitrag zur Generationengerechtigkeit geleistet. Vom ökologischen und sozialen Umbau profitieren besonders junge sowie künftige Generationen, während die Abgaben fast ausschliesslich sehr wohlhabende ältere Erwerbstätige und Rentner*innen belasten.
Es ist also plausibel, dass die von uns vorgeschlagene Abgabe auch im Interesse der herrschenden Klassen wären. Doch in Wirklichkeit macht diese herrschende Klasse jeweils besonders stark mobil, wenn es darum geht, Reichensteuern abzuwehren und hohe individuelle Vermögen durch dick und dünn zu verteidigen. Das ist im Herbst 2021 wieder deutlich geworden: Die im bürgerlichen Lager breit verankerte Kampagne zur Bekämpfung der 99%-Initiative der Juso schreckte vor keiner Diffamierung zurück, um die geplante Besteuerung von hohen Kapitaleinkünften abzuwenden.
Normalerweise ist sie mit solchen Kampagnen in der Schweiz auch erfolgreich – zumindest vorderhand noch. Doch die Stimmung könnte durchaus kippen, wie sich bei der hohen Zustimmung zur (allerdings wirkungslosen) Abzocker-Initiative vom März 2013 angedeutet hat. Der Kampagnen-Einsatz zum Schutz des Reichtums ist wohl auch wegen der Angst vor solchen Kippeffekten so hoch. Die Superreichen dürfte mindestens von Zeit zu Zeit die Ahnung beschleichen, dass ihr Reichtum auf Spekulation und Ausbeutung beruht, und ihnen dürfte deutlich werden, wie sehr dieser Reichtum mit Armut und mit fehlenden öffentlichen Mitteln kontrastiert. Dann fürchten sie den Tag, an dem die breite Mehrheit der Bevölkerung diese Ungleichheiten nicht mehr länger akzeptiert.
Deshalb heisst es jetzt am Ball zu bleiben und künftige Auseinandersetzungen mit möglichst durchdachten Konzepten vorzubereiten. Dazu soll das Modell einer Solidaritäts-Vermögensabgabe einen Beitrag leisten. Denn eine massive Verschiebung des Reichtums aus den Finanzmärkten in die Nützlichkeitszonen der Gesellschaft ist dringend erforderlich, um der Öffentlichkeit die nötigen Mittel zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben und Krisen zukommen zu lassen. Gleichzeitig ist diese Verschiebung unabdingbar, um der spekulativen Dynamik auf den Finanzmärkten Grenzen zu setzen, die Überblähung der Finanzmärkte abzubauen und damit die Ökonomie zu stabilisieren. Und nur eine kraftvolle Besteuerung der gigantischen Privatvermögen kann dafür sorgen, dass die enorme Umverteilung der letzten Jahrzehnte von unten nach oben mindestens teilweise korrigiert werden kann. Wir schlagen also eine Solidaritäts-Vermögensabgabe vor, weil dies richtig und wichtig ist.
Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren mit Krisen konfrontiert werden, die in ihren finanziellen Dimensionen der gegenwärtigen Coronakrise in nichts nachstehen oder diese nochmals übertreffen. Zurzeit stehen die hohen unverteilten Gewinne der Nationalbank (92 Mrd CHF anfangs 2021) als Finanzierungsquelle von ausserordentlichen Ausgaben im Fokus. Diese Gewinne stehen laut Gesetz der Öffentlichkeit zu, werden aber von der Nationalbank aus politischen Gründen zurückbehalten (Baumann / Ringger, 2021). Doch es ist absehbar, dass diese Quelle nicht ausreichen wird, um auch weitere künftige Krisen abzudecken. Bei jeder Krisensituation wird ein heftiger Kampf darum ausgefochten, wer für die Kosten der Krisenbewältigung aufkommt. Mit unserem Vorschlag skizzieren wir ein Instrument, mit dem in solchen Kämpfen die Interessen der breiten Bevölkerung verteidigt werden können. Damit wird gleichzeitig verhindert, dass Ungleichheiten und Instabilitäten in Krisenzeiten gleich nochmals ansteigen.
Zu den Autoren: Hans Baumann ist Ökonom und Publizist. Robert Fluder ist Dozent und Projektleiter an der Berner Fachhochschule, Departement Soziale Arbeit. Beat Ringger ist Publizist und Mitglied der Denknetz-Kerngruppe.

Fussnoten

1. Überdies müssen auch die Verteilungseffekte der Geldschöpfung im Auge behalten werden. Wird diese Geldschöpfung mit der Platzierung von Staatsanleihen gegenfinanziert (werden also die Staatsschulden erhöht), so stärkt dies die Stellung der entsprechenden Gläubiger, d.h. der Finanzinstitute, die die Staatsanleihen erwerben. Die Staaten respektive die Öffentlichkeit muss für die entsprechenden Zinsen aufkommen. Diese sind zwar gegenwärtig tief oder sogar negativ; dies wird aber nicht für alle Zeiten so bleiben. Die Finanzierung der Staatsschulden führt deshalb in aller Regel zunächst zu einer Verschiebung der Vermögen von unten nach oben und von öffentlich zu privat. Dem steht die Frage gegenüber, wofür die geschöpften Finanzmittel eingesetzt werden. Beschäftigungseffekte und Stärkungen der sozialen Infrastruktur (z.B. des Gesundheitswesens oder von Einrichtungen der Kinderbetreuung) stärken die Lage der breiten Bevölkerung und können die Verteilungswirkungen von staatlichen Schulden kompensieren. Werden Staatsschulden hingegen eingesetzt, um Gewinnsteuern abzubauen, dann wird die unsoziale Umverteilung von unten nach oben noch verstärkt.
2. Diese Aussage trifft zu für alle Vermögenswerte, die den Steuerbehörden auch angegeben werden. Da jedoch das Bankgeheimnis (besser: das Steuerhinterziehungsgeheimnis) in der Schweiz nach wie vor aufrechterhalten wird, ist ein offensichtlich unbekannter, wohl aber erheblicher Vermögensanteil nicht bekannt. Das Steuerhinterziehungsgeheimnis gehört deshalb so rasch als möglich abgeschafft.
3. Der anhand der Berner Steuerdaten 2015 geschätzte Nettoertrag auf Vermögenswerten beträgt bei Steuerpflichtigen mit hohem Vermögen (oberstes Perzentil) 2.5% des steuerbaren Nettovermögens. Darin sind Wertsteigerungen von Wertpapieren und Liegenschaften noch nicht enthalten. Gemäss Angaben der ZKB beträgt der Ertrag eines Portfolios mit einem Aktienanteil von 48% in den letzten 10 Jahre im Durchschnitt 5.4% pro Jahr und bei einem Aktienanteil von knapp 70% 6.8% (ZKB, Vermögensverwaltung, 30. Juni 2021). Gemäss Wüst&Partner betrug die durchschnittliche Wertsteigerung von Wohnimmobilien 2005 bis 2020 3.9% (NZZ vom 20. April 2021).
4. So entspricht das Pro-Kopf-Vermögen in der Schweiz dem zwei bis dreifachen Betrag der Nachbarländer, und das gesamte Vermögen beträgt 544% der Wirtschaftsleistungen, was ebenfalls höher ist als in den Nachbarländern. Gleichzeitig ist das Vermögen in der Schweiz so ungleich verteilt wie kaum in einem anderen Land.
5. Kapeller, Leitich, Wildauer (2021) haben das Potential einer Vermögensabgabe der EU-Länder ermittelt. Sie stellen 5 Modelle der Vermögensabgabe mit unterschiedlich progressiven Steuerraten zwischen 1% und 10% (ab 500 Mio) vor. Details dazu im dritten Abschnitt zu historischen Beispielen und aktuellen Vorschlägen für Vermögensabgaben.
6. Diese Steigerung ergibt sich bei der zweiten im Text beschriebenen Berechnungsart, bei der 2017 ein Ertrag von 374 Mrd CHF erzielt wird..
7. Nach der einmaligen Erhebung wäre gemäss Initiativtext der Verfassungsartikel wieder gestrichen worden.
8. Auszug aus dem Initiativtext, zitiert nach Tanner 2012.
9. Dies entspricht einem heutigen Vermögen von 2.1 Mio CHF (Stadelmann & Loretz)
10. Der Grund dafür ist der Mittelstandsbias von Befragungen, d.h. der reichste und der ärmste Teil der Bevölkerung nehmen deutlich weniger häufig an Befragungen teil. Teilweise kann diese Verzerrung durch eine geeignete Gewichtung korrigiert werden.
11. Quelle: CNN, gelesen am 6.6.2020
12. Hierbei handelt es sich um das gesamte Einkommen eines Haushaltes nach Abzug der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge, gewichtet mit einem Faktor entsprechend der Grösse des Haushaltes (Aequivalenzfaktor). Somit sind die Einkommen unabhängig von der Grösse des Haushaltes vergleichbar sind. Bei diesem Vergleich wurde die Ungleichheit anhand des Gini-Indexes bemessen.
13. ESTV, Vermögensstatistik

Literatur

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23. Vontobel Werner (2020).Verteilung – auf die Mieten kommt es an, nicht auf den Lohn. (gelesen am 18.4.21)
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