Aufrüstung gegen die Demokratie
22.10.2025 | Jo Lang argumentiert in diesem Beitrag, dass die massive Aufrüstung in Westeuropa nicht der Sicherheit, sondern vor allem der Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes und putinnaher rechter Kräfte dient. Er zeigt auf, dass Russland Westeuropa militärisch, technologisch, ökonomisch und demographisch unterlegen ist und keinen Frontalangriff auf die NATO wagen wird. Dennoch erhöhen europäische Staaten ihre Rüstungsausgaben massiv – auf Kosten von Sozial-, Bildungs- und Klimapolitik. Diese Umverteilung schwächt demokratische Institutionen, führt zu sozialem Abbau und begünstigt rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen. Die Kriegsindustrie und Konzerne wie BlackRock priorisieren die Beschaffung superteurer Waffensysteme gegenüber der günstigeren Drohnenabwehr. Widersprüche im Umgang mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten (z. B. Israel/Palästina, Migration) untergraben zusätzlich die Glaubwürdigkeit der «westlichen Wertegemeinschaft». Für Lang stellt die Aufrüstung daher nicht nur eine Ressourcenverschwendung dar, sondern eine ernsthafte Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.
Bevor ich das eigentliche Thema – die demokratiewidrigen Folgen der Aufrüstung – behandle, möchte ich kurz auf die offizielle Argumentation zugunsten der massiven Erhöhung von Rüstungs- und Armeeausgaben eingehen: die Stärkung eines «militärisch schwachen NATO-Europas» sowie die Verteidigung der «westlichen Wertegemeinschaft».
Militärische Überlegenheit der Europa-NATO
Westeuropa ist – auch ohne USA – Russland militärisch im konventionellen Bereich deutlich überlegen. In den Jahren 2014 bis 2023 betrugen die Rüstungs- und Militärausgaben von NATO-Europa jedes Jahr mindestens das Vierfache der russischen Ausgaben. Im letzten Jahr standen den 149 russischen Milliarden 500 NATO-Europa-Milliarden gegenüber.
Was die Truppenstärke betrifft, verfügt die NATO gesamthaft über 3,3 Mio. Soldat:innen. 1,4 Mio. sind aus den USA und Kanada, von ihnen sind 100‘000 in Europa. Die Europa-NATO hat zwei Millionen Soldat:innen, Russland 1,3 Mio. Davon steht mehr als die Hälfte östlich des Urals. Zudem gelten die russischen Soldat:innen als wenig kampfstark. Warum macht Putin keine allgemeine Mobilmachung? Weil er Angst vor Unruhen oder gar einen Volksaufstand hat!
Ein Angriff Russlands auf den Westen wäre erst nach einem Sieg in der Ukraine überhaupt denkbar. Gemäss Erfahrungswerten für die Anzahl benötigter Besatzungstruppen müsste Russland rund eine Million Soldat:innen in der Ukraine stationieren, um Guerilla- und Aufstands-Aktivitäten unter Kontrolle zu halten.
Weiter ist Russland Westeuropa technologisch massiv unterlegen. Und die demographische Entwicklung gehört weltweit zu den negativsten. Wirtschaftlich ist es vom Export von fossilen Energieträgern abhängig.
Putin ist eine grosse Gefahr für das ukrainische und natürlich das russische Volk. Er ordnet Grenzverletzungen und Drohnen-Attacken gegen Nachbarstaaten an, um in der NATO Verwirrung zu stiften. Er dürfte die russischen Minderheiten in den Baltischen Staaten benützen, um Unruhe und Unsicherheit zu schaffen. Er wird den Cyber-War ausbauen und Sabotageaktionen durchführen. Und vor allem die Desinformation intensivieren – mit Hilfe seiner zahlreichen rechtskonservativen und linksstalinoiden Kompliz:innen wie Trump und Orban, Weidel und Wagenknecht, Köppel und Konsorten.
Aber es ist ausgeschlossen, dass er einen Frontalangriff gegen die NATO wagt. Putin ist nicht einmal fähig, Kiew oder das in seiner direkten Nähe liegende Charkiw zu erobern.
Putins wichtigste Schwachstelle: die Kriegskasse
Es gibt europäisch gegen Putin sinnvolle Rüstungsbeschaffungen, insbesondere bezüglich Ukraine-Hilfe und Drohnenabwehr, aber auch zwingende Rüstungsverzichte. Nun hat die laufende und erst recht geplante westeuropäische Aufrüstung häufig zur Folge, dass auf Kosten der Ukraine Rüstungsgüter verknappt und verteuert werden. Beinahe hätte die Schweizer Armee der ukrainischen Armee Munition im Wert einer Milliarde weggenommen.
Was die Abwehr gegen Drohnen-Attacken betrifft, wurde am 13. September im Echo der Zeit gesagt, es wäre mit Kanonen auf Spatzen geschossen worden und diese hätten nicht einmal das Gros der Spatzen getroffen. Tatsächlich wurden mit superteuren AIM-120-Luft-Luft-Raketen nur vier von 19 russischen Drohnen getroffen. Im Zusammenhang mit der Warnung Eisenhowers vor dem Militärisch-Industriellen-Komplex in seiner präsidialen Abschiedsrede 1961 komme ich auf den Umstand zurück, dass superteures und untaugliches Kriegsgerät wie die erwähnten Raketen, Kampfjets, Panzer günstigeren Mitteln und Methoden vorgezogen werden.
Die wichtigste Schwachstelle Putins ist die Kriegskasse. Aber genau hier versagt Westeuropa – nicht zuletzt die Schweiz! Im ersten Halbjahr 2025 wurden Rohstoffe und Waren im Wert von 20 Milliarden aus Russland in die EU exportiert. Im letzten Jahr spülte allein die Zuger Flüssiggas-Firma Novatek acht Milliarden in Putins Kriegskasse. Diese entsprechen dem 900fachen Gegenwert der 12‘400 Schuss FLAK-Munition, über die wir seit drei Jahren reden – um nicht über das Füllen von Putins Kriegskasse und das Füttern von Putins Kriegsmaschine in den letzten beiden Jahrzehnten reden zu müssen. Ohne die Schweiz hätte Putin im Februar 2022 weder über eine volle Kriegskasse noch eine potente Kriegsmaschine verfügt.
Die «westliche Wertegemeinschaft»
Dass das über den Zuger Bundesplatz 7 und 9 gehandelte Flüssiggas (LNG) nicht sanktioniert wird, hat entscheidend mit Emmanuel Macron zu tun. Die französische TotalEnergies ist an der LNG-Ausbeutung auf der ostsibirischen Halbinsel Yamal beteiligt.
Nicht nur der bürgerlich-französiche Staatspräsident Macron, auch der sozialdemokratisch-deutsche Vizekanzler Lars Klingbeil, der der Schröder‘schen Moskau-Connection angehörte, hat Putin-Dreck am Stecken. Und der christdemokratische Kanzler Friedrich Merz war 2016-2020 für die Expansion des Rüstungsinvestitions-Konzerns BlackRock in Deutschland zuständig.
Allein die Verhängnisse der drei Aufrüstungs-Exponenten deuten auf erhebliche Schwächen des ethischen Fundaments der «westlichen Wertegemeinschaft» hin. Wie schwach es ist, zeigen die 30‘000 Toten im Mittelmeer. Weltweit hat sie den Rest an Glaubwürdigkeit mit ihrer politischen Passivität und militärischen Komplizenschaft gegenüber den israelischen Kriegsverbrechen in Gaza verloren. Die EU geht zwischenzeitlich unter dem massiven Druck aus den Bevölkerungen und angesichts eines offensichtlichen Genozids etwas auf Distanz. So will die EU die beiden extremen, israelischen Sicherheits- und Finanzminister sanktionieren. Ist aber Netanyahu kein Extremist? Einige holen nach, was sie längst hätten tun müssen: die Anerkennung Palästinas. Aber die meisten liefern weiterhin Rüstungsgüter nach Israel und weigern sich, eine Armee, die 20‘000 Kinder umgebracht hat, sowie Produkte und Unternehmen, die mit der Besatzung zu tun haben, zu boykottieren.
Zeigt all das nicht, wie wenig Wert die Menschenrechte und das Völkerrecht, die zwei Grundpfeiler globaler Demokratie, auch in unseren Breitengraden haben? Wer wie die «westliche Wertegemeinschaft» nicht alle Menschen als gleich, alle Menschenleben als gleichwertig, alle Völker als gleichberechtigt betrachtet, steht nicht auf dem Boden der Aufklärung.
Besonders schlecht steht die Schweiz da, die nicht einmal Palästina anerkennt. Typisch ist der Umgang mit dem Drohnen-Debakel. Der Bundesrat und die Medien hinterfragen den Deal mit der israelischen Rüstungsfirma Elbit, aber nicht, weil die Firma mit einem Staat verbandelt ist, der 67‘000 Menschen umgebracht hat. Ethisch sehen sie kein Problem, weil die Ethik halt doch nicht so wichtig ist.
Rüstungswahn und Kürzungswahn
Die Erhöhung der Militärausgaben hat überall Sozial-, Bildungs-, Kultur-, ÖV-Abbau zur Folge. Am verhängnisvollsten ist die Verdrängung der grössten sicherheitspolitischen Herausforderung, der Klimaerwärmung, aus den Köpfen und Budgets. Dazu kommt eine geistige Militarisierung, die liberal-zivile Errungenschaften der letzten Jahrzehnte bedroht.
Wem aber nützen die sozialen, mentalen und politischen Folgen der militärischen Aufrüstung am meisten? Den Rechtskonservativen, Rechtspopulisten, Rechtsextremen! Und die stehen grossmehrheitlich auf der Seite Putins.
Anfangs September 2025 brachte die mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung verbundene Politikwissenschaftlerin Sabine Nuss im Podcast «Armutszeugnis» ein klassisches Beispiel: «In Italien stieg die Zustimmung zu rechten Parteien deutlich, nachdem Poststellen und Buslinien in kleinen Gemeinden gestrichen wurden.» Nuss sieht ähnliche Muster in Deutschland. Und wir sehen vergleichbare Muster in Grossbritannien oder Frankreich.
Das französische Sparprogramm, das kürzlich die Regierung stürzte, hat viel zu tun mit der massiven Steigerung der Rüstungsausgaben. Wer von den politischen Wirren mehr profitieren wird, die Linke oder die extreme Rechte, hängt auch damit zusammen, ob die Linke den Mut findet, zu sagen: Butter statt Bomben! Das heisst in der jetzigen Situation: Kein Bündnis mit dem Aufrüstungsminister Lecornu! Wenn aber die Linke oder ein Teil von ihr am Rüstungswahn- und Kürzungswahn mitmacht, wird der Lepenismus gestärkt. Und dieser steht bekanntlich Putin nicht nur ideell, sondern auch materiell nahe.
In Grossbritannien, wo die Labour-Regierung ebenfalls massiv aufrüsten will, konnte sie vor den Ferien ihren Sturz nur vermeiden, indem sie eine besonders heikle Sparmassnahme, den Heizzuschuss für Rentner:innen, wieder zurücknahm. Ihre Kombination von Rüstungs-Ausbau und Sozial-Abbau führte bereits zu einer Links-Abspaltung. Aber die Hauptprofiteurin der tiefen Labour-Krise ist die rechtsextreme «Reform UK»-Partei – und damit auch Putin.
In Spanien vermochte im vergangenen Juni der linke Premierminister Pedro Sanchez mit seiner Trotz-Haltung gegen «Daddy» Trumps Aufrüstungs-Befehl an der NATO-Tagung seine Regierung in letzter Not zu retten. Die sozialdemokratische PSOE stand wegen Korruption am Abgrund. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung, erst recht der Linken, ist, wie in den meisten Ländern Europas, gegen die Aufrüstung. Hauptgewinnerin bei einem Regierungswechsel in Spanien wäre die postfrankistische Vox – und damit auch Putin.
Aushöhlung der demokratischen Institutionen
Die Aufrüstung schwächt die Demokratie nicht nur wegen der Verringerung von Sozialleistungen und der Verschlechterung des Service Public. Sie höhlt auch ihre Institutionen aus.
Nehmen wir als Beispiel den Umgang mit der zugunsten der Aufrüstung aufgehobenen Schuldenbremse in Deutschland! Zitat aus dem Münchner Online-Magazin Telepolis: «15 Jahre lang wurde erzählt, «dass die in der BRD-Verfassung verankerte Schuldenbremse ein unumstössliches Naturgesetz sei; dass Ausgaben für Schulen, Brücken, pünktliche Züge oder die Gesundheitsversorgung Deutschland in den Ruin treiben würden.» (14.3.2025).
Telepolis brachte am selben 14. März 2025 noch ein EU-Beispiel: «Beim Europäischen Rat einigten sich die EU-Regierungen auf ein Darlehensinstrument in Höhe von 150 Milliarden Euro, um die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten zu erleichtern. Das erscheint sofort als illegal: Der Gründungsvertrag der EU verbietet ausdrücklich Ausgaben für alles, was mit Verteidigung und Militär zu tun hat. Weitere 650 Milliarden Euro sollen die Mitgliedstaaten für ihre Rüstungskäufe aufbringen, für die sie von den strengen EU-Verschuldungsgrenzen befreit werden.»
Haben da die EU-Bürger:innen, die erleben mussten, wie ihre Wohlfahrtsstaaten im Namen einer dogmatischen Haushaltsdisziplin ausgehungert und ausgeplündert wurden, nicht allen Grund, sich völlig verraten zu fühlen? Wer zieht den grössten politischen Vorteil aus solchen Inkohärenzen? Die putinnahen Rechten!
Militärisch-industrieller Komplex samt BlackRock
Am 17. Januar 1961, also mitten im Kalten Krieg, widmete der ehemalige General und abtretende Präsident Eisenhower seine Abschiedsrede dem Militärisch-Industriellen Komplex (MIK). Er warnte vor dessen militärischen Ressourcenverschwendung und freiheitswidrigen Machtkonzentration. Bei der heutigen Aufrüstung spielen die Rüstungskonzerne eine noch gefährlichere Rolle. Das Hauptinteresse der Rüstungslobby ist der Profit – nicht die öffentliche Sicherheit, auch nicht die militärische Rationalität. Da sich mit Drohnenabwehr weniger Geld verdienen lässt, pushen sie Kampfjets und andere superteure Waffensysteme. Eisenhower sprach vor dem Hintergrund der damaligen US-Aufrüstung vom «Potenzial für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte».
Das Budget der Rüstungs-Lobby in Brüssel ist zwischen 2022 und 2023 um 40 Prozent gestiegen. Der ehemalige EU-Beamte Eldar Mamedov, der heute dem US-Thinktank Quincy Institute for Responsible Statecraft angehört, beobachtete im Frühjahr 2025, dass «Waffenlobbyisten in Brüssel wie Pilze aus dem Boden schiessen.»
Habt ihr in irgendeiner Zeitung oder in einem SERAF-Medium in den letzten Monaten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser grossen Gefahr für die Demokratie lesen, sehen, hören können? Der MIK ist nicht nur Profiteur von Aufrüstungs-Beschlüssen, er ist auch deren Mitautor.
Die Risiken von Fehlallokation, Korruptions-Wachstum und Demokratie-Abbau haben sich massiv erhöht, seit sich Investment-Gesellschaften wie BlackRock dem MIK zugesellt haben. BlackRock hat Anteile an Boeing, Lockheed Martin, Raytheon, Northrop, General Dynamics in den USA sowie Airbus, Leonardo, Thales, Indra Sistemas, Dassault, Rheinmetall in Europa. Bereits erwähnt wurde stand Friedrich Merz 2016 bis 2020 im direkten Dienst von BlackRock.
Vor gut einem Jahr passierte Folgendes: BlackRock erhöhte ihren Anteil an der Rheinmetall von 5,05 auf 5,25 Prozent. Acht Tage nach der Erhöhung des Aktienanteils flatterte der Rheinmetall eine Riesenbestellung der Bundeswehr ins Haus: 8,5 Milliarden für Artilleriemunition.
Die BlackRock musste im April 2023 direkt erleben, dass die Bürger:innen den Zusammenhang von Rüstungswahn und Kürzungswahn sehr wohl durchschauen: Ihre Filiale in Paris wurde im Rahmen der Proteste gegen Macrons Rentenreform gestürmt.
Lex Saudi, Atomwaffenverbot und F-35
Aus der Schweiz wissen wir sehr gut, wie eng Aufrüstung – Rüstungskonzerne – Rüstungsexporte zusammenhängen. Und wie dieses Verhängnis die Demokratie beschädigt. Das aufgrund einer Volksinitiative festgeschriebene Kriegsmaterialgesetz, was zum Rückzug des Volksbegehrens führte, soll nun zugunsten der Rüstungsexporte wieder gelockert werden. Das ist völlig undemokratisch und widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben. Es geht auch nicht um die Ukraine, wie behauptet wird. Es geht um die lukrativen Golfstaaten, es handelt sich um eine Lex Saudi.
Bestens in die Aufrüstungs-Logik passt die Weigerung des Bundesrates, den UNO-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen zu ratifizieren. Diese uno-, völkerrechts- und friedensfeindliche Haltung ist umso skandalöser, als die Schweiz bei der Ausgestaltung des Vertrags eine wichtige Rolle gespielt hatte und eine klare Mehrheit des Bundesparlaments die Landesregierung zum Beitritt aufgefordert hat. Der Bundesrat handelt auch antidemokratisch.
Wie die Aufrüstung die Demokratie aushebelt, illustriert die F-35-Geschichte beispielhaft. Zuerst wurde für die Abstimmung vom 27. September 2020 eine abstrakte und nicht die konkrete Frage gestellt: Sechs Milliarden für F-35? Die Antwort wäre angesichts des Resultats von 50,1% Ja ein deutliches Nein gewesen. Dann wurde die Stop-F/35-Initiative nach ihrer Einreichung im August 2022 vom Bundesrat ausgehebelt. Und jetzt soll es keine Abstimmung über eine allfällige Erhöhung des Kredits geben.
Mehrheit gegen Aufrüstung
Die Bürgerlichen haben Angst vor dem Volk. Im April 2025 sagten zwei Drittel der Befragten, sie würden den F-35 ablehnen. Eine kurz zuvor gemachte Umfrage der Militärakademie an der ETH ergab, dass nur 24% für Mehrausgaben zugunsten von Armee und Rüstung sind. 34 Prozent sind für geringere Ausgaben, also für Abrüstung. Gut 40 Prozent sind weder für mehr noch für weniger Militärausgaben.
Wie gingen die Schweizer Medien mit einem Umfrage-Ergebnis um, das ihrer feldgrünen Aufrüstungs-Monotonie widerspricht? Sie schrieben, noch nie seien so viele für Mehrausgaben gewesen, aber ohne die – ernüchternde – Zahl 24% zu nennen. Tatsächlich ist die Zahl der Aufrüstungs-Unterstützer:innen seit dem Februar 2022 auf etwa 20 Prozent gestiegen. Aber 2025 hat im Vergleich zum Vorjahr auch der Anteil der Nein-Sagenden um 4% zugenommen.
Der manipulative Umgang mit der seriösesten aller Umfragen weist auf ein weiteres Demokratie-Defizit hin. Die meisten Medien sind der Aufrüstung mehr verpflichtet als der Wahrheit. Besonders monoton-feldgrün sind – neben der NZZ – die öffentlich-rechtlichen Medien. Vor allem das Fernsehen weckt den Eindruck, als habe sich die berühmt-berüchtigte APF (Abteilung Presse und Funkspruch) zwanzig Jahre nach ihrer Auflösung als Zombie zurückgemeldet. Der auch Armeestabsgruppe 500 genannten APF gehörten Journalist:innen an, die in Uniform für die Armee ihren Beruf ausübten.
Militärische und mentale Aufrüstung
Bei der NZZ basteln vorzüglich junge Redaktor:innen an einem Kalte-Krieg-Reenactment herum. Sie wünschen sich die «Geistige Landesverteidigung» und sogar das «Soldatenbuch» zurück. (z. Bsp. 10. April und 5. Mai 2025) Zur Charakterisierung der Geistigen Landesverteidigung, die allein zwischen 1970 und 1990 10‘000 junge Schweizer wegen Militärverweigerung ins Gefängnis steckte, verwendete der bürgerlich-liberale Jean Rudolf von Salis 1961 im Stapferhaus Lenzburg folgende Begriffe: «politischer Konformismus», «standardisierte Gesinnung», «Rückzug ins ausschliesslich Nationale». Der Buch-Autor Hans Tschäni widmete im Frühjahr 1990 im Tagesanzeiger der Geistigen Landesverteidigung einen Nachruf unter dem Titel «Die Diktatur der Schweizer Patrioten». Amnesty International hatte die Militär-Verweigerer «politische Gefangene» genannt. Im Mai 1992 haben 82 Prozent mit einem Ja zum Zivildienst das Ende der Diktatur der Patriot:innen bekräftigt.
Es ist kein Zufalle, machen sich im Schatten der militärischen Aufrüstung unheimliche Patriot:innen daran, die «mentale Aufrüstung» zu puschen und den Zivildienst kaputt zu machen. Das von einem Ex-Stalinisten 1958 verfasste Soldatenbuch war höchst militaristisch, extrem autoritär und völlig machistisch. Sein Nachfolgewerk, das Zivilverteidigungsbuch, das der rechte Bundesrat Ludwig von Moos, ein ehemaliger Fronten-Freund, in einer Auflage von 2,6 Millionen verbreiten liess, führte zu einem Riesenskandal – und zur Gründung der dissidenten Schriftsteller-Gruppe Olten.
Gegen die neurechten Bestrebungen in der NZZ-Redaktion kann ich nur ein berühmtes NZZ-Editorial aus dem Jahre 1968 zitieren: «Wehret den Anfängen!»
In einem ausführlichen Text im höchst lesenswerten Journal 21, dem vor allem ehemalige NZZ- und Fernseh-Leute angehören, weist der Historiker Peter Lüthi auf etwas demokratiepolitisch Zentrales hin: «Ich möchte hier zu bedenken geben, dass die Demokratie in Gefahr kommt, wenn eine angebliche Alternativlosigkeit die öffentliche Meinung zu dominieren beginnt. Dass das Ende der Diskussion deklariert wird, ist ein Kennzeichen von Diktaturen.» Und er schliesst mit dem Fazit: «Die Begründung mit der Logik: ‘Wer die Ukraine angreift, will auch Europa angreifen’, ist verantwortungslos angesichts der schweren Nebenwirkungen dieser Aufrüstung auf die gesunde Entwicklung von Wirtschaft, Demokratie und Rechtsstaat und auf die Zukunftsstimmung der heranwachsenden Generation.»
Die gefährlichste Nebenwirkung ist die Stärkung der grossmehrheitlich putinophilen Rechtskonservativen, Rechtspopulisten, Rechtsextremen. Wer wie der grosse militärische Vordenker Carl von Clausewitz vom Grundsatz des Primats des Politischen ausgeht, lehnt eine militärische Aufrüstung ab, deren Konsequenz nicht zuletzt die politische Stärkung Putins ist.
Autor | Jo Lang ist Historiker, alt Nationalrat der Alternativ-Grünen Zug und GSoA-Vorstand.
Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag vom 15. September 2025 an der Fachhochschule Nordwestschweiz.