Nicht für Elon Musk. Fürs Volk.

Klimapolitik nach dem Nein zum CO2-Gesetz

Wie weiter nach dem Nein zum CO2-Gesetz? Nach den Beiträgen von Franziska Ryser und Milo Probst beteiligt sich nun Beat Ringger, Mitglied der Denknetz-Kerngruppe, an der Debatte. Er hält es für fatal, vor der Spaltung zwischen ökologisch orientierten «Mittelschichten» und einem bodenständig-materialistischem «Volk» zu resignieren. Unter dem Stichwort einer Klimapolitik fürs Volk skizziert Ringger einen möglichen Weg aus dieser Spaltung.
Das Nein in der Abstimmung zur CO2-Vorlage am 13. Juni 2021 war für viele Linke und Grüne ein Schock. In der Folge wollen sich viele darauf konzentrieren, einzelne Bausteine der Vorlage zu retten. Das mag im Einzelfall sinnvoll sein. Angesichts der sich rasch beschleunigenden Klimaerhitzung fehlt jedoch schlicht die Zeit für eine gemächtliche Gangart. Viele stellen denn auch die Frage, ob eine wirksame Klimapolitik mit demokratischen Mitteln überhaupt durchsetzbar sei, wo sich doch jeweils eine Vielzahl materieller Interessen zu einer Nein-Front gegen jede konkrete und ausreichend ‘radikale’ Massnahme auftürmt. Doch scheitert die Klimapolitik nicht primär an den politischen Formen der Demokratie. Vielmehr verstellen uns die formal-demokratischen Bäume die Sicht auf den Wald, nämlich auf die ökonomische und soziale Hegemonie des Kapitals und seiner Verwertungslogik. Hierin liegt das Haupthindernis für eine wirksame Klimapolitik. Im folgenden Text mache ich den Vorschlag für eine paradigmatische Reorientierung. Wir müssen den Stier bei den Hörnern packen. Es wäre fatal, vor der Spaltung zwischen ökologisch orientierten «Mittelschichten» und einem bodenständig-materialistischem «Volk» zu resignieren. Unter dem Stichwort einer Klimapolitik fürs Volk skizziere ich einen möglichen Weg aus dieser Spaltung. Dazu gehört, sich aus den Fallstricken einer neoliberalen «Klima»politik zu befreien, die auch die gescheiterte CO2-Vorlage massgeblich geprägt hat. In einem ersten Teil des Textes gehe ich deshalb genauer auf diese neoliberale Orientierung ein, insbesondere auf die Schaffung künstlicher Märkte (Emissionszertifikate) und auf irreführende Technologieversprechen (inbesondere auf dasjenige der Elektrifizierung der Autoflotte). Beide Ausrichtungen verwickeln uns nur noch stärker in die Dynamik der Klimaerhitzung. Im zweiten Teil erläutere ich, was ich unter einer Klimapolitik fürs Volk verstehe. Beide Teile können auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Teil 1: Nicht für Elon Musk

Die Shooting Star neoliberaler «Klima»politik heisst Elon Musk. Musk ist CEO des Raumfahrtunternehmens SpaceX und dem Elektroautoherstellers Tesla. Musk ist überdies einer der wichtigsten Promotoren von Bitcoins. Tesla ist der gegenwärtig führende Hersteller von Autos mit Elektroantrieben (wobei es sich bei den Tesla-Modellen überwiegend um teure und schwere Fahrzeuge der Luxusklasse handelt). Tesla wird an der Börse gefeiert: Die Marktkapitalisierung hat am 18.8.2021 satte 665.71 Mrd US-$ betragen und lag damit rund drei Mal höher als diejenige des VW-Konzerns (197.62 Mrd EUR), der jedoch einen acht Mal höheren Umsatz aufweist. Dabei hat Tesla bis und mit 2020 mit der Autoproduktion noch keinen einzigen Cent Gewinn gemacht. Profite hat der Konzern in erster Linie dank dem Verkauf von CO2-Zertifikaten erzielt. 1,6 Mrd US-$ brachten die Zertifikate Tesla im letzten Jahr ein – ein Rekordwert. 3.3 Mrd US-$ waren es insgesamt in den letzten fünf Jahren (Bakir, 2021). Eine andere Gewinnquelle von Tesla sind spekulative Geschäfte mit Bitcoins. Laut der deutschen Tagesschau hatte Tesla von Januar bis März 2021 für 1,5 Milliarden Dollar Bitcoins erworben, davon 300 Mio wieder verkauft und dabei einen Gewinn von mehr als 100 Mio erzielt. Künftig sollen Tesla-Autos in Bitcoins bezahlt werden können.
Musk geht es um Vieles, nicht jedoch um Klimaschutz. Ganz im Gegenteil. Bitcoins sind bekannt für ihren exorbitanten Energieverbrauch. Eine einzige Bitcoin-Transaktion verbraucht im Schnitt so viel Strom wie ein amerikanischer Durchschnittshaushalt in 23 Tagen (Klemm, 2021). Noch augenfälliger ist das beschränkte Interesse von Musk am Klima bei seinem Engagement für SpaceX. Diese Firma verdient ihr Geld mit Weltraumtransportdienstleistungen. Das nächste Ziel von SpaceX ist der Weltraumtourismus. Geplant sind Flüge mit Raketen von 120m Höhe und mit bis zu 100 Passagieren für mehrtätige Weltraumfahrten, inklusive Mondumkreisungen; der Jungernflug soll demnächst stattfinden. Der Weltraumflug wird schon bald auf den Bucket Lists der Superreichen auftauchen. Gerade entsteht hier ein neues Milliarden-Geschäft, basierend auf massivem Verbrauch fossiler Treibstoffe und auf neuen Materialschlachten.
Nun, so könnte man argumentieren, der Weltraumtourismus muss selbstverständlich unterbunden werden. Doch das ändere nichts daran, dass Tesla eine klimafreundliche Technologie befördert.
Klimafreundlich? Eher nicht. Das Ankurbeln von Elektroautos gehört mittlerweile zur Strategie vieler grosser Autokonzerne. Dumm nur, dass durch E-Autos der Strombedarf in die Höhe schnellt. Der Ersatz der fossilen Autoflotte durch eine E-Flotte macht zum Beispiel in Deutschland eine Steigerung der Stromproduktion um bis zu 55.1% erforderlich (Holzhausen et al, 2018). Und das in einer Zeit, in der nach wie vor über 60% der gesamten Stromproduktion auf fossilen Brennstoffen beruht, wir also die vordringliche Aufgabe haben, diese Stromproduktion auf erneuerbare Energiequellen umzustellen – sicher aber nicht, den Strombedarf in die Höhe zu schrauben. Am Ende des Tages werden neue Kohlekraftwerke und AKW erforderlich sein, um die E-Auto-Flotte überhaupt produzieren und betreiben zu können. Überdies erzeugt der massiv erhöhte Bedarf an Batterien und an entsprechenden Rohstoffen jede Menge neuer Umweltprobleme. Und schliesslich wird insgesamt die Materialschlacht fortgesetzt, die für den höchst ineffizienten Privatauto-Verkehr erforderlich ist. Doch all das wird als Miesepeter-Geschwätz von Ökofundis diskreditiert. Hauptsache die Party geht weiter. Und in Ländern mit weniger strengen Umweltvorschriften lassen sich ja dann auch noch viele Jahre lang Autos mit fossilen Antrieben verkaufen… alles ganz im Sinne der grossen Autokonzerne, die sich damit riesige neue Absatzmärkte erschliessen und ihre Profite auf viele weitere Jahre sichern können.

Handel mit Emissionszertifikaten: Neoliberales Bollwerk gegen strukturelle Änderungen

All dies und noch einiges mehr wird durch den Handel mit Emissionszertifikaten angekurbelt. Wie erwähnt ist Tesla erst dank dieses Handels überhaupt profitabel geworden. Ein weiteres Beispiel der Flugverkehr, der jetzt neu in die Emissionshandels-Systeme eingebunden wird. Dies wird den Bedarf an Bio-Treibstoffen massiv erhöhen, weil die Fluggesellschaften damit ihre CO2-Bilanz aufbessern können. Von Bio-Treibstoffen wird behauptet, sie seien klimaneutral, weil sie ja aus nachwachsenden Pflanzen gewonnen werden, die durch ihr Wachstum die gleiche Menge C02 aus der Atmosphäre herausfiltern, wie sie anschliessend beim Verbrennen abgeben. Doch ist diese Rechnung unvollständig. So wurde mehr als die Hälfte der Palmölproduktion des Jahres 2018 für Bio-Treibstoffe verwendet. Es sind jedoch gerade diese Palmölplantagen, die erheblich zur Abholzung der tropischen Regenwälder beigetragen. Die Umwelt-NGO Transport and Environment macht denn auch geltend, dass solche Treibstoffe bestenfalls 1.2 Mal, schlimmstenfalls bis zu drei Mal klimaschädlicher sind als die fossilen Treibstoffe, die sie ersetzen sollen (Malins, 2019).
Was aber steckt nun genau hinter diesen Emissionshandels-Systemen (Emission Trading Systems ETS)? Dazu aus einem Denknetz-Working-Paper zum Thema (Baumann et al, 2020, S.1): «ETS basieren auf Zertifikaten, die zur Emission einer bestimmten Menge von Treibhausgasen berechtigen und handelbar sind. Dabei werden – so die Befürworter*innen des Systems – dank der „unsichtbaren Hand“ des Marktes immer diejenigen Massnahmen ermittelt, mit denen der Ausstoss von Klimagasen am effizientesten reduziert werden kann. ETS sind mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 ins Spiel gebracht worden. Bei der Erarbeitung dieses Protokolls machten die USA (unter der Delegationsleitung des damaligen US-Vizepräsidenten Al Gore) eine Zustimmung zum geplanten Abkommen davon abhängig, dass Emissionshandelssysteme eine zentrale Rolle spielen müssten. Die USA setzten sich mit dieser Erpressung durch – gegen die praktisch geschlossene Ablehnung durch Nichtregierungsorganisationen und durch eine deutliche Mehrheit der andern Staaten. Ironischerweise verweigerte der US-Senat danach allerdings die Ratifizierung des Abkommens. Der Entscheid für Handelssysteme setzte sich dennoch fest, und seit dem Abschluss des Kyoto-Protokolls kommt dem Handel mit CO2-Emissionszertifikaten in der Klimapolitik eine prominente Rolle zu. Dies hat auch damit zu tun, dass die meisten grossen Umwelt-NGO nach Kyoto ihren Widerstand gegen Handelssysteme aufgegeben haben und sich darauf verlegten, bei der konkreten Ausgestaltung mitzuwirken. Und die EU – ursprünglich auch ein Gegner der ETS – verlegte sich darauf, als Vorreiterin zu fungieren und das erste transnationale ETS zu realisieren».
Emissionshandelssysteme sowie weitere marktkonforme Anreize (u.a. Kompensationsprojekte zur Umgehung von Emissionsbeschränkungen) spielen auch in der Schweizer Klimapolitik eine wichtige Rolle; entsprechend sollten sie im nun abgelehnten CO2-Gesetz stärker verankert und ausgebaut werden. Auch der Green Deal der EU basiert wesentlich auf einem Ausbau des Europäischen ETS. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger (14.7.21, S.7) verteidigt die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das ETS gegenüber kritischen Stimmen mit folgenden Worten: «Klar ist: Wir müssen unsere Klimaziele erreichen. Wenn nicht durch den Emissionshandel, dann auf einem andern Weg, der mehr Gesetze, mehr Standards, mehr Zwischenschritte und auch mehr Steuern bedeuten würde. Da ist mir ein System, das auf den Markt setzt, viel lieber. Denn es lässt der Industrie und der Wirtschaft mehr Raum, kreativ zu werden und eigene Lösungen zu finden.»
Die Entscheidungsmacht über die konkreten klimapolitischen Massnahmen soll also in den Händen der Konzerne liegen. Ein Schweizer Beispiel für entsprechende «kreative Lösungen» aus den Konzernetagen ist dank einer Reportage des Magazins bekannt geworden (Lenz, 2020). Die Firma Lonza produziert in ihrem Visper Werk seit vielen Jahren einen Nahrungsmittelzusatz namens Niazin. Dabei entweicht das ganz besonders klimaschädigende Lachgas in die Atmosphäre, was angeblich erst 2017 festgestellt worden sein soll. Lachgas ist rund 300 mal schädlicher als eine gleiche Menge CO2. Der Visper Ausstoss ist für eine gleiche Menge an Treibhauseffekten verantwortlich wie «die Stadt Luzern mit allen Haushalten, dem ganzen Verkehr, der Industrie und der Landwirtschaft» (Lenz, S.12). Das Problem liesse sich durch dein Einbau eines Katalysators einfach und rasch beheben, bei für einen Weltkonzern vernachlässigbaren Kosten von 12 Mio CHF. Doch statt nun dies so rasch als möglich anzupacken und das Problem damit aus der Welt zu schaffen, inszeniert die Lonza seit 2017 ein Gezerre mit dem Bundesamt für Umwelt. Das Ziel von Lonza ist, an der Eliminierung der Klimagase viel Geld zu verdienen (!). Möglich ist das dank der Zertifikate und der Kompensationsgeschäfte. Gegenwärtig sieht es so aus, als könne Lonza in der Sache einen Gewinn von bis zu 20 Mio CHF einstreichen.
Man könnte nun mutmassen, dies sei ein besonders krasser Einzelfall. Doch das ist es keineswegs. Mit einem Emissionshandelssystem machen wir das Kapital zum Hauptakteur und damit den Bock zum Gärtner. Die Profitaussichten sind und bleiben das alles entscheidende Kriterium des Handelns. Folglich werden nun auch nur Massnahmen ergriffen, die die Profite nicht (oder zumindest nicht massgeblich) einschränken, und es wird versucht, neue Profite zu generieren. Zu den vom Emissionshandel ausgelösten Massnahmen gehören nun durchaus auch jene, mit denen ‘tief hängende Früchte’ geerntet werden können, etwa ein effizienteres Energiemanagement des Gebäudeparks oder eine energetische Optimierung der Produktionsverfahren. So weit so akzeptabel. Wenn dann aber diese Früchte geerntet, profit-kompatible Massnahmen also ausgeschöpft sind, dann werden Massnahmen nur noch ergriffen, wenn die Mehrkosten auf die Kunden (also letztlich auf die Bevölkerung) abgewälzt werden können. Und wenn dies auch nicht mehr möglich ist, wenn also die Profitraten ernstlich bedroht sind, dann setzen die Unternehmen und ihre Verbände Himmel und Hölle in Bewegung, um – so heisst es dann – gefährliche und unsinnige Massnahmen, die für die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Wirtschaft bedrohlich sind abzuwenden. Bei einer Vielzahl von Massnahmen wird zudem, wie ich weiter oben gezeigt habe, der Treibhausgas-Austoss gar nicht gesenkt, sondern lediglich an einen andern Ort verlagert. Einen Ort, wo das entsprechende Unternehmen respektive der entsprechende Staat nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann (siehe die Beispiele zur Elektrifizierung der Autos und zum Bio-Sprit für Flugzeuge).
Vor allem aber verhindern ETS strukturelle Lösungen. Denn dafür muss die organisierte Öffentlichkeit – also der Staat – das Heft in die Hand nehmen, weil solche Lösungen nicht aus der begrenzten Logik von Unternehmen entstehen. Ein Beispiel: Jede ernsthafte Beurteilung des Mobilitätsbereichs im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz kommt zum Schluss, dass wir ein grundlegend neues Mobilitätsregime benötigen. Für den Landverkehr geht das nur, wenn die zentrale Stellung der Privatautos überwunden wird. Dafür braucht es einen Mix aus einem ausgebauten öffentlichen Verkehr (Schiene, Busse), einer konsequenten Förderung des Fahrrad- und Fussverkehrs, einer Stärkung des Car-Sharing-Genossenschaften und einem deutlichen Rückbau der für den privaten Autoverkehr zugänglichen Strassenfläche (autoarme Städte). Doch solange die Autokonzerne den Ton angeben, bleibt ein solcher Regimewechsel selbstredend reine Illusion1.

Handelssysteme: Nützt’s nichts, so schadet’s nichts?

Vertreter*innen von Umwelt-NGO und Umweltpolitiker*innen aus linken und grünen Parteien sind zwar in der Regel keine Fans von ETS. Dennoch wollen viele von ihnen dem Emissionshandel eine Chance geben nach dem Motto ‘Nützt’s nichts, so schadet’s nichts’. Doch das ist ein grosser, ja fataler Irrtum. ETS schaden, und zwar noch weit stärker als «nur» durch die bereits beschriebenen Mechanismen. Denn – und das hat in Umweltkreisen bislang viel zu wenig Beachtung gefunden – mit den ETS soll eine eigentliche Abwehrmauer gegen strukturelle Klimamassnahmen errichtet werden. Der neoliberale Ökonom Hans Werner Sinn hat dafür schon 2008 mit einem Buchtitel das entsprechende Stichwort geliefert: Das grüne Paradoxon (Sinn, 2008). Sei ein ETS erst einmal etabliert, dann werde jede parallele staatliche Anstrengung zum Klimaschutz kontraproduktiv, weil sie das freie Spiel der Marktkräfte im ETS störe. Denn im Rahmen eines ETS werde jener Preis für Treibhausgas-Emissionen ermittelt, der optimale Wirkung entfalte und diejenigen Akteure zum Handeln zwinge, die gerade die grösstmögliche Rücknahme von Emissionen erzielen könnten. Jede zusätzliche staatliche Intervention störe dieses Spiel der Marktkräfte, weil sie den Wert der gehandelten Emissionszertifikate «künstlich» verändere. Politik und Bevölkerungen sind also angehalten, den Segnungen des neu geschaffenen Marktes zu vertrauen und gefälligst nicht mit kontraproduktivem Klima-Aktivismus herum zu laborieren. Genau das ist von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeint, wenn sie sagt, sie bevorzuge ein «System, das auf den Markt setzt», weil damit «mehr Gesetze, mehr Standards, mehr Zwischenschritte und auch mehr Steuern» verhindert werden könnten». Das Argumentationsmuster ist ja nun alles andere als neu: Es gehört zum Kanon der neoliberalen Ideologie, wonach Märkte in jedem Fall die effizientesten Ergebnisse erzielen.

Teil 2: Fürs Volk

Das Fazit aus dem ersten Teil des Textes lautet: Neoliberale ‘Klima’politik verbindet marktwirtschaftliche Instrumente – insbesondere den Handel mit Klimazertifikaten – mit dem Versprechen, technische Lösungen würden entscheidend zur Bewältigung der Klimakrise beitragen. Sie zielt darauf ab, die Handlungsmacht bei den Marktakteuren – insbesondere bei den globalen Konzernen – zu belassen sowie staatliche Interventionen, Vorschriften und Verbote als ineffizient und freiheitsfeindlich zu diskreditieren. Sie befindet sich gerade auf dem Vormarsch, etwa in der EU. Doch eine solche Politik führt die Sackgasse. Sie dient weder ökologischen Zielen, noch nützt sie dem Volk. Sie nützt Elon Musk und Co, und dies nicht zu knapp: Musk ist im Januar 2021 erstmals zum reichsten Mann der Welt avanciert (Bakir, 2021). Und Musk ist alles andere – nur kein Klimaaktivist.
Daraus müssen Linke und Grüne die Konsequenzen ziehen. Sie dürften sich mehr vor den Karren neoliberaler ‘Klima’politik spannen lassen. Dies heisst insbesondere, den Emissionshandelssystemen und der kritiklosen Förderung der E-Autos die weitere Gefolgschaft zu künden.
Diese Klärung ist auch deshalb erforderlich, weil sich Grüne und Linke sonst als Teil einer Politik der linksliberalen Elite und der Klimagewinnler angreifbar machen – gerade auch für populistische Gegner von Klimapolitik. Eine solche Angriffsfläche stärkt die rechtsnationalistischen, rechtspopulistischen und autoritären Strömungen, die ihrerseits ein ebenso grosses Hindernis für erfolgreiche Klimapolitik sind wie der neoliberale Mainstream.

Imperiale Lebensmodelle

Mit den Ausführungen im ersten Textteil soll nun aber nicht suggeriert werden, dass es ausschliesslich an den Konzernen und an der neoliberalen Politik liege, wenn Umweltanliegen blockiert werden. Denn neben der Interessenspolitik der Erdölkonzerne und neben der Wirkmacht neoliberaler Glaubenssätze spielen auch die Lebensgewohnheiten in breiten Teilen der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Natürlich: Die Erdöl-Lobby hat massiv in die CO2-Abstimmung investiert, und das ist nicht ohne Wirkung geblieben. Doch hat die Erdölindustrie dabei offensichtlich Mittel und Wege gefunden, bei breiten Bevölkerungsteilen Gehör zu finden. Und sie ja nun nicht mit einer Kritik an Konzernen und neoliberalen Konzepten argumentiert, sondern damit, dass Autofahren und Wohnen teurer würden und einem der Flug in die Ferien madig gemacht werden solle. Viele Kommentator*innen lesen das Nein zum CO2-Gesetz denn auch als Ausdruck davon, dass ein Grossteil der Leute sich zwar abstrakt für Klimaschutz ausspreche, konkrete Massnahmen aber ablehne, sobald es ans eigene Portemonnaie geht.
Überdies geht es ja nicht nur um den Unterschied zwischen einer knappen Niederlage und einen knappen Sieg. Wir müssen uns vielmehr fragen, warum denn nicht 70-80% der Stimmenden eine Vorlage unterstützt haben, die von Regierung, Parlament und einer grossen Mehrheit der Umweltorganisationen, der Verbände und Parteien mitgetragen worden ist, und die das wohl drängendste Problem der Menschheit adressiert hat.
Nun wissen wir schon längst: Der Kapitalismus sichert sich seine Vorherrschaft nicht nur über ökonomische oder repressiv-staatliche Macht, sondern auch über Formen der ideologischen Dominanz und einer konsumistischen Vereinnahmung der Bevölkerung. Eine zentrale Rolle spielen dabei materialistisch-verschwenderische Lebensmodelle. Paradoxerweise erhalten diese Lebensmodelle zusätzliche Kraft gerade dadurch, dass sie nicht nur tagtäglich gefördert, sondern gleichzeitig auch offen oder latent gefährdet werden. Gerade diese Bedrohung durch Arbeitslosigkeit, Prekarisierung und sozialen Abstieg verleihen ihnen eine existenzielle Dimension und führen dazu, dass viele Leute an ihnen festhalten.
Die vorherrschenden Lebensmodelle basieren auf der Ausbeutung der Natur und der Arbeitenden, insbesondere in den Ländern des globalen Südens. Im Ergebnis entsteht eine Art informelles Bündnis der Weltkonzerne mit den Mittelschichten des globalen Nordens und der Schwellenländer auf Kosten der ökologischen Erfordernisse und der breiten Masse der Bevölkerung im globalen Süden2. Der Subtext dieses Bündnisses lautet: Ihr überlässt uns unsere Macht und die Freiheit, die Welt nach unseren Interessen zu gestalten. Dafür ermöglichen wir euch materiellen Wohlstand, beruflichen Aufstieg und eine Fülle von Konsumfreiheiten. Brand/Wissen nennen dies die imperiale Lebensweise (Brand/Wissen, 2017).
Wirksamer Klimaschutz wird nur gelingen, wenn dieses Bündnis aufgebrochen werden kann. Uns stellen sich also zwei Aufgaben, und diese können nur im Verbund erfolgreich angegangen werden Erstens müssen wir die Dominanz neoliberaler Klimapolitik überwinden, Und zweitens müssen wir die Fixierung auf einen verschwenderischen Konsumismus und auf imperiale Lebensmodelle aufsprengen.

Ein «schrecklicher Verbündeter»

Dabei haben wir einen «schrecklichen Verbündeten»: Die Klimaerhitzung selbst. Die Kadenz von teilweise katastrophalen Einbrüchen in die Normalität hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und wird weiter zunehmen. Noch mögen viele der Illusion nachhängen, Umweltkatastrophen und ihre Auswirkungen blieben auf überschaubare Regionen beschränkt, möglichst weit weg von unseren Breitengraden. Bevor es also für uns im relativ kühlen gemässigten Klima wirklich ernst werde, würden noch etliche Jahrzehnte vergehen – und bis dann habe man dann doch wohl technikbasierte Lösungen gefunden, so die Erwartung vieler. Doch die Realität ist eine andere. In den Tagen, in denen ich an diesem Text schreibe, wird die nordamerikanische Westküste von Kalifornien bis nach Kanada von einer beispiellosen Hitzeperiode heimgesucht. Im kanadischen Dorf Lytton (25 km von der Millionenstadt Vancouver entfernt) wird eine Lufttemperatur von 49.6 Grad Celsius gemessen. Diese immense Hitze schafft die Voraussetzungen für eine Brandwalze, die das Dorf innerhalb von wenigen Minuten einäschert. Wenige Tage später fordern verheerende Regenmassen in Deutschland und Belgien unzählige Menschenleben. Wiederum wenige Tage später werden Südeuropa, die Türkei und Algerien von verheerenden Wandbränden heimgesucht. Alle diese meteorologischen Phänomene treten nicht zufällig parallel auf. Sie haben mit einem Starkwind-System in acht bis zwölf km Höhe zu tun, dem sogenannten Jetstream. Der Polarfront-Jetstream, der aufgrund der hohen Temperaturunterschiede zwischen der Arktis und dem gemässigten Norden entsteht, hat in unseren Breitengraden bislang – zusammen mit dem Golfstrom – für ein verhältnismässig konstantes Klima gesorgt. Meteorolog*innen beobachten nun, dass dieser geschwächt wird und dadurch zunehmend ausbuchtet, weil die erwähnten Temperaturunterschiede wegen der überdurchschnittlich starken klimatischen Erhitzung der Nordpolarzone abnehmen. Diese Ausbuchtungen können sich vom Jetstream abkoppeln und bleiben dann lange stationär. Sie sind es, die zu wochenlangen Hitze- oder aber dann Regen- und Sturmwetterperioden führen. Und weil die insgesamt steigenden Temperaturen überdies dafür sorgen, dass die Luft deutlich mehr Wasser aufnehmen kann, kommt es zu den Rekord-Regenfällen. Hier wird gerade klar: Die Klimaerhitzung packt die Menschheit in ihrer Existenz, und sie wird das überall auf der Erde rasch und unerbittlich tun – rascher auch, als selbst das Gros der Kimaexpert*innen noch bis vor Kurzem erwartet hat. Der Anfang August veröffentlichte sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates bestätigt, dass bereits heute eine Reihe von Klimaveränderungen unumkehrbar geworden sind. Schaffen wir keine rasche und radikale Wende bei den Treibhausgas-Emissionen, dann kommt es zu hohen Ernteausfällen, Wirtschaftskrisen, geschwächten Gesellschaften, Klimaflüchtlingen, internationalen Spannungen und neuen Kriegen3. Deshalb sind die beiden Aufgaben -die Überwindung der neoliberalen Dominanz, und die Überwindung imperialer Lebensverhältnisse – so aktuell wie sie nur irgendwie sein können. Wie aber kann diese Verbundaufgabe erfolgversprechend angegangen werden?

Die grosse Spaltung überwinden

Dafür gibt es kein Rezeptbuch und dafür gibt es auch keine Garantie fürs Gelingen. Politik ist eine «Kunst», kein mechanisches Handwerk. Hingegen ist es möglich und erforderlich, Aussagen zur den grundlegenden Konturen einer erfolgversprechenden Klimapolitik zu machen, was ich im Folgenden angehe. Diese Aussagen müssen dann auf die jeweilige Ausgangslage übertragen werden.
Kehren wir dafür zur Ablehnung der CO2-Vorlage zurück. Für dieses Nein war meines Erachtens nicht nur – ja vielleicht nicht einmal in erster Linie – ein simples Festhalten an materiellen Gewohnheiten und Privilegien verantwortlich. Eine mindestens ebenso grosse Rolle spielte die Befürchtung von grossen Bevölkerungsteilen, die Zeche zu bezahlen, während andere –die reichen «Eliten» – ungeschoren davonkommen. Die Gegner der Vorlage haben dies geschickt zu nutzen gewusst. Die Argumentation lautete Autofahren wird teurer – durchaus. Aber vielleicht wirksamer noch war das Argument, Autofahren gebe es künftig nur noch für Reiche.
Gleichzeitig enthielt das Gesetz eine Fülle von wenig transparenten Bestimmungen, die – wie weiter oben erläutert – auf hohe Verträglichkeit mit Konkurrenz- und Marktmechanismen (z.B. Emissionshandel) ausgelegt waren. Es handelte sich beim Gesetz um einen Kompromiss der grünen mit den liberalen Kräften und vermochte gerade deshalb niemanden zu begeistern. Die Ja-Kampagne blieb denn auch blass und abstrakt im Sinne eines «Wir müssen jetzt irgendwie handeln – und deshalb müsst ihr der CO2-Vorlage zustimmen, auch wenn ihr sie nicht versteht oder nicht so gut findet».
Diese Konstellation hat eine Spaltung voranzutreiben, die uns noch um Kopf und Kragen bringen könnte: Die Spaltung in ein bodenständig – chauvinistisches «Volk» und in weltoffene «grüne Linksliberale». Diese Spaltung findet im Kapitalismus einen beständigen Nährboden. Die Leute werden auf den Arbeitsmärkten, auf den Wohnungsmärkten und im internationalen Standortwettbewerb jeden Tag von Neuem gegeneinander in Stellung gebracht. Dies bietet ein breit angelegtes Aktionsfeld für chauvinistisch-nationalistische, sexistische und (versteckt oder offen) rassistische Politiken, mit denen die Bevölkerung gespalten wird.

Eine Klimapolitik fürs Volk

Im Nachgang zur CO2-Abstimmung scheint mir deshalb nun vordringlich, ein Projekt zu formulieren, mit dem wir diesen Spaltungen entgegenwirken, statt sie weiterhin zu erleiden. Wie könnte das gelingen? Meines Erachtens brauchen wir neue Begriffe und Diskurse, um auch jene anzusprechen, die nicht zur linksgrünen respektive linksliberalen Community gehören. Und hier haben wir bereits ein ernsthaftes Problem. Denn wir verfügen nicht einmal mehr einen Begriff, mit dem wir die breite Mehrheit der Bevölkerung so ansprechen, dass sich die Leute gemeint fühlen. Zwar wurde der dafür übliche Begriff des Volkes noch vor nicht allzu langer Zeit gerade auch im linken Spektrum breit verwendet. Ich erinnere etwa an die Volkshäuser der Arbeiter*innenbewegung, an linke Schweizer Zeitungsnahmen wie Volkswacht, Le droit du Peuple, oder Volkszeitung, an Slogans wie «Avanti Popolo» oder «El pueblo unido. Heute scheint uns dieser Begriff abhandengekommen zu sein. Die politische Rechte hat ihn beinahe vollständig in Beschlag genommen. Doch ich kenne keinen gängigen und einprägsamen Ersatz. Deshalb müssen wir der politischen Rechten den Volksbegriff jetzt streitig machen – und ihr damit offensiv entgegentreten (siehe Kasten). Ich schlage deshalb vor, dass wir von einer Klimapolitik fürs Volk sprechen – im Gegensatz zu einer «Klima»politik fürs Kapital, für Elon Musk und Co.

Exkurs: Wer ist das Volk?

Statt den Begriff des Volkes zu meiden, müssen wir um seine Deutungshoheit kämpfen (siehe Haupttext). Dabei hilft gerade auch der Volksmund. Dieser kennt keineswegs nur einen nationalistischen oder gar völkischen Begriff vom Volk, sondern genauso einen populären. Das Volk, das ist die breite Masse der «normalen» Menschen, die ein Land be-völk-ern. Das Volk, das sind die Leute auf der Gasse, am Fussballmatch, im Kino, auf Facebook, in der S-Bahn.
Daran knüpfen wir an: Das Volk sind die Menschen, die gemeinsam in einer Region, in einem Land, auf einem Kontinent, auf dem Planeten Erde leben. Das Volk ist überall, und zum Volk gehören alle, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe, vom Geschlecht und von ihrer sexuellen Orientierung. Die überwältigende Mehrheit des Volkes arbeitet, ist lohnabhängig, selbstständig erwerbend oder führt einen kleinen Betrieb. Als Menschen gehören auch die Superreichen zum Volk. Als herrschende Klasse hingegen setzen sie sich vom Volk ab, weil sie sich für die Verbreiterung ihrer Macht und die Mehrung ihres Kapitals über die Interessen der breiten Bevölkerung stellen.
Völkische Vorstellungen stehen im schärfsten Gegensatz zu diesem Volk. Mit nationalistischer und völkischer Politik soll das Volk entlang von Herkunft, Rasse, Geschlecht oder anderen Merkmalen gespalten, sollen Menschen gegeneinander aufgehetzt werden. Völkische Politik bekämpfen wir mit aller Entschiedenheit. Dazu gehört auch, für einen Volksbegriff einzutreten, der alle meint und einer Politik der Freiheit, Gleichheit und Solidarität entspricht. Wenn wir den Volksbegriff hingegen weiterhin der nationalistischen Rechten überlassen, dann erweisen wir ihr damit einen grossen Dienst.

Was heisst das konkret?

Eine Klimapolitik fürs Volk ist zunächst also ein Diskurs, eine klare Absichtsbekundung: Wir brauchen eine wirksame Klimapolitik im Interesse des Volkes und nicht im Interesse von Elon Musk und Co. Dabei machen wir keinen Bogen um die Tatsache, dass wir alle – also das Volk – die Lebensgewohnheiten, das Mobilitätsverhalten und unser Konsumsortiment verändern müssen. Allerdings muss dieser Wandel so ausgerichtet sein, dass die Eliten zur Verantwortung gezogen werden, die breite Bevölkerung die erforderliche Unterstützung bekommt und der Reichtum von oben nach unten rückverteilt wird.
Zum Beispiel brauchen wir Einrichtungen, um den Wechsel von konsumistisch-verschwenderischen zu nachhaltig-solidarischen Lebensmodellen zu bewältigen. Das ist von entscheidender Bedeutung. Ohne solche Einrichtungen bleiben die Menschen sich selbst überlassen und individuell mit neuen Grenzwerten, Preisen, Vorschriften und Umweltabgaben konfrontiert. Sie fühlen sich überfordert und befürchten, sie dabei auch noch übervorteilt zu werden.
Eine solche Einrichtung sind die Klimawerkstätten (Ringger 2019, Ringger/Wermuth 2020). Klimawerkstätten sind ein neuer, flächendeckender Service public und vereinen Reparatur-Café, Informations- und Beratungsstelle, Ausleihestellen für Werkzeuge, Geräte und Maschinen, Tauschbörsen, Orte der Vernetzung (z.B. mit lokaler solidarischer Landwirtschaft), Kompetenzzentern für Schutzmassnahmen gegen die lokalen Auswirkungen des Klimawandels (z.B. Hitzewellen und Starkregen) und einiges mehr. Klimawerkstätten sind öffentlich finanziert und basieren wo immer möglich auf lokalen Initiativen aus der Bevölkerung. Klimawerkstätten können auch zur Grundlage von neuen Produktionsmodellen werden: Die Hersteller von Maschinen, Geräten usw. müssten verpflichtet werden, im Internet Baupläne für Ersatzteile zu veröffentlichen, die dann bei Bedarf in den Klimawerkstätten mittels 3-D-Druckverfahren gefertigt werden (entsprechende Bemühungen sind bereits in Gang).
Ähnlich das Konzept der Non-Profit-Klimaagenturen und der Klimabanken (Oberholzer, 2020; Teller/Poppe 2013). Klimaagenturen übernehmen die Beratung, Konzipierung und je nach Wunsch auch die Bauleitung bei der Realisierung energetischer Sanierungen von Immobilien (Heizung/Kühlung, Nutzung von Solar- oder Erdenergie etc), der regionalen Erzeugung von erneuerbarer Energie (Solarenergieprojekte von Gemeinden, Kleinkraftwerke etc), der energetischen Optimierung von Produktionsabläufen etc.. Klimaagenturen können dabei auf günstige Kredite von Klimabanken zurückgreifen. Weil nachhaltiges Energiemanagement heute in aller Regel bereits deutlich günstiger ist als fossile Systeme, kommt dies den Betroffenen auch finanziell zugute. Dadurch wird es auch viel einfacher, ambitionierte Bestimmungen hinsichtlich des Ausstiegs aus fossilen Heizsystemen zu erlassen und durchzusetzen.
Zur Finanzierung solcher Angebote braucht es rückverteilende Steuern, zum Beispiel eine Solidaritäts-Vermögensabgabe auf hohe Vermögensanteile (ein entsprechender Vorschlag wird gegenwärtig von einer Denknetz-Arbeitsgruppe detailliert ausgearbeitet).
Und statt irgendwelcher Abwrack-Prämien für den Ersatz von fossilen mit Elektro-Autos braucht es eine umfassende Förderung von Car-Sharing und öffentlichen Verkehrsmitteln, braucht es attraktive Verbundangebote (z.B. die Kombination von GA und Car Sharing) bei gleichzeitiger gezielter Reduktion des privat-individuellen Autoverkehrs.

Finanz- und Handelsplatz in die Verantwortung nehmen

Eine zentrale Achse einer erfolgversprechenden Klimapolitik ist die entschlossene Rücknahme der Förderung von Kohle, Erdöl und Erdgas. Im Vordergrund stehen der Ausstieg aus der Kohle und ein Ausstieg aus allen besonders problematischen Förderverfahren (Fracking, Teersand, Tiefseebohrungen, Bohrungen in ökologisch sensiblen Gebieten wie dem Okavango -Delta oder der Arktis). Der Schweizer Finanz- und Handelsplatz spielt bei der Finanzierung und dem Handel fossiler Rohstoffe eine grosse und unrühmliche Rolle. Entsprechend wichtig ist die Forderung nach einem hiesigen Verbot entsprechender Finanzierungen und Kapitalbeteiligungen, aber auch nach einem Verbot des Handels mit entsprechenden Rohstoffen.
Man darf sich allerdings keine Illusionen über das Funktionieren der Finanzmärkte machen. Kapital ist im Überfluss vorhanden, und mit einem alleinigen Ausstieg der schweizer Finanzhäuser ist noch nicht viel gewonnen. Deshalb muss m.E. ein entsprechendes Engagement verbunden werden mit einer gezielten transnationalen Vernetzungs- und Kampagnenarbeit. Der Rückbau der Förderung von fossilen Rohstoffen gelingt nur, wenn auf globaler Ebene Druck aufgebaut werden kann.

Fazit

Nach der Niederlage in der CO2-Abstimmung und der Polarisierung zwischen «bodenständig Konservativen» und «Linksliberal-Grünen» dürfen wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Im Hinblick auf die kommenden klimapolitischen Auseinandersetzungen brauchen wir vielmehr eine paradigmatische Neuausrichtung, um eine Antwort auf diese lähmende Polarisierung zu finden. Linke und Grüne müssen dabei klar machen, dass sie auf der Seite des Volkes stehen und nicht auf derjenigen der Klimagewinnler vom Schlage eines Elon Musk. Unser Ding ist eine Klimapolitik fürs Volk, und wir müssen ausbuchstabieren, was dies konkret bedeutet.

Fussnoten

1. In diesem Licht ist besonders bemerkenswert, dass die designierte neue Führungsequipe des Freisinns mehrheitlich aus Auto-Lobbyist*innen besteht. Der FDP-Präsident in spe Thierry Burkart ist heute Präsident des Lastwagenverbandes Astag und will dies auch bleiben. Über zwei der weiteren vier Mitglieder der geplanten Equipe schreibt der Tages-Anzeiger: «Andri Silberschmidt, Zürcher Nationalrat, arbeitet seit einem Jahr in einem 50-Prozent-Pensum für Planzer, einen der drei grössten Transportfirmen der Schweiz. Johanna Gapany, Freiburger Ständerätin, hat zwar selber keine Mandate im Verkehrsbereich, doch ihr Ehemann ist Geschäftsführer von Strasseschweiz, der obersten Lobbyorganisation der Auto- und Strassenbranche.» https://www.tagesanzeiger.ch/die-strassenlobby-uebernimmt-bei-der-fdp-das-steuer-888180208533 (gelesen am 22.8.21)
2. Die Begriffe ‘Globaler Norden’ und ‘Globaler Süden’ sind nicht geographisch, sondern imperial-politisch zu verstehen. Australien und Neuseeland etwa gehören in dieser Lesart zum globalen Norden. Andere Begriffe, isnb. das Begriffspaar Industrie- versus Entwicklungsländer sind leider irreführend und suggerieren einen reinen Entwicklungsunterschied, wo es sich in Wirklichkeit um strukturelle Ausbeutungsverhältnisse handelt.
3. Auch die zunehmende Kadenz von Pandemien ist eine Folge des verantwortungslosen Umgangs mit den Lebensräumen. In diesem Sinne fallen Covid19 und Klimaerhitzung in dasselbe Muster kapitalistischer Zerstörung. Bereits ist die Widerstandskraft der globalen Gesellschaft gegen Sars-Cov2 mangels globaler Solidarität stark beeinträchtigt, und es bilden sich laufend neue Mutationen. Umso dramatischer könnten sich künftige Pandemien auswirken, wenn die Gesellschaften wegen der destruktiven Folgen der Klimaerhitzung erheblich geschwächt würden.

Literatur

1 Daniel Bakir (2021).Teslas geheime Geldmaschine: Der Gewinn kommt nicht aus dem Verkauf von Autos. In: Der Stern vom 18.2.2021.  (Gelesen am 15.8.21)
2 Hans Baumann, Martin Gallusser, Roland Herzog, Werner Kallenberger, Romeo Rey, Beat Ringger, Hans Schäppi (2020). Der Emissionshandel schadet dem Klimaschutz. Denknetz-Working Paper.
3 Ulrich Brand/Markus Wissen (2017). Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München
4 Denknetz-Kerngruppe (2019). 18 Thesen für eine starke Demokratie. In: Daellenbach, Ruth/Ringger, Beat/Zwicky, Pascal (Hrsg): Reclaim Democracy. Die Demokratie stärken und weiterentwickeln. Zürich.
5 Gisa Holzhausen, Sarah Rieseberg, Dr. Christine Wörlen,Jens Altevogt (2018). Mehr Strom bitte! Publikationsreihe böll.brief der Heinrich-Böll-Stiftung. (gelesen am 17.7.2021)
6 Gerald Hosp, Martin Lanz (2021). Der Trend zur Bepreisung von CO2 hält an. In: NZZ, 16.6.2021
7 Thomas Kemm (2021). Bitcoin ist schädlich. In: FAZ online vom 5.1.2021. (gelesen am 18.8.21).
8 Christoph Lenz (2020). Die Klimaschande von Visp. In: Das Magazin Nr.43 vom 24.10.2020.
9 Chris Malins (2019). Understanding the indirect land use change analysis for CORSIA. Veröffentlicht auf der Homepage der NGO Transport and Envirnoment (gelesen am 17.7.2021)
10 Basil Oberholzer (2020). Klimabank und Klima-Agenturen: Die massive Beschleunigung des ökologischen Umbaus. Denknetz-Working Paper.
11 Beat Ringger (2019). Das System-Change-Klimaprogramm. Zürich
12 Beat Ringger, Cédric Wermuth (2020). Die Service-public Revolution. Zürich
12 Hans Werner Sinn (2008). Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Berlin
13 Matthias Teller, Erik Poppe (2013). Regionale Energie-und Klimaagenturen in Deutschland. Berlin.  (gelesen am 17.7.2021)
Zur Person: Beat Ringger ist Autor und Publizist