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Ruth Gurny, Beat Ringger, Kurt Seifert (Hrsg.)
Gutes Alter
Eine Gesellschaft des guten langen Lebens für alle
193 Seiten, broschiert, CHF 23.–, € 19.80
ISBN 978-3-85990-357-9

Mit Beiträgen von Ruth Gurny, Beat Ringger, Kurt Seifert, Cornelia Heintze, Barbara Baumeister, Trudi Beck, Riccardo Pardini, Markus Brandenberger, Carlo Knöpfel, Susy Greuter, Elvira Wiegers, Adrian Durtschi, Samuel Burri, Marie-Louise Barben, Monika Stocker, Heidi Witzig, Rosmarie Glauser

Das Buch Gutes Alter kann auch unter info@denknetz.ch für CHF 23.- bestellt werden.

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Vernissage des Buches „Gutes Alter“ mit Ruth Gurny, Beat Ringger, Monika Stocker und Kurt Seifert

Einleitung

Eine Gesellschaft des guten langen Lebens

Es ist ein alter Menschheitstraum: Das lange Leben bei guter Gesundheit und in guter Gesellschaft. Der Traum begegnet uns in Form von Mythen und Märchen. Wer kennt zum Beispiel nicht das Bild vom Jungbrunnen, der den Menschen ewige Jugend schenkt. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich nun dieser Traum zumindest teilweise erfüllt. Immer mehr Menschen – insbesondere in den Ländern des globalen Nordens – erreichen zwar nicht ein ewiges, aber doch ein hohes Alter. In der Schweiz lebende Männer erfreuen sich der weltweit höchsten Lebenserwartung, und auch die Schweizer Frauen liegen in den vordersten Rängen. Betrug die durchschnittliche Lebensspanne der Frauen hierzulande zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch lediglich 48,5 Jahre, so stieg sie bis zur Zeit des Zweiten Weltkriegs bereits auf 67 Jahre und liegt heute bei 85,3 Jahren. Bei den Männern sind die Zahlen durchwegs etwas tiefer: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung 45,7 Jahre, stieg bis zur Zeit des zweiten Weltkrieges auf 62,7 Jahre und beläuft sich heute auf 81,5 Jahre. Ob die Lebenserwartung weiter wächst, ist zwar ungewiss. Aber der vorzeitige Tod, der mangelhafter Hygiene oder fehlender medizinischer Hilfe geschuldet war, ist in unseren Breitengraden mehr und mehr zur Ausnahme geworden. Dank sozialer Sicherheit im Alter und dank einem ausgebauten Gesundheitswesen kann eine wachsende Zahl von Menschen sich eines langen Lebens erfreuen. Das ist in der Menschheitsgeschichte eine historisch neue Situation.

Manche glauben gar, die Begrenzung der menschlichen Existenz überhaupt sprengen zu können. So steckt der Google-Konzern über das Biotechnologieunternehmen Calico Milliardenbeträge in die biotechnologische Forschung zur Entwicklung von Methoden, die die menschliche Alterung aufhalten sollen. Der britische Biogerontologe Aubrey de Grey hält eine Lebenserwartung von 1000 Jahren für denkbar – wenn es denn gelinge, jene Schäden im Körper rückgängig zu machen, die die Lebensdauer beschränken. Da stellt sich natürlich die Frage, wie wirklichkeitsnah solche Biotech-Sciencefiction ist und wie wünschbar ihre Realisierung denn überhaupt wäre. Davon abgesehen aber fällt vor allem auf, in wie scharfem Kontrast diese Biotech-Träume zu den sozialpolitischen Alters-Diskussionen stehen. In den gängigen Debatten wird die real steigende Lebenserwartung vorrangig als Problem wahrgenommen und etwa mit dem Begriff ›Überalterung‹ bedacht. Dieser Problem-Diskurs korrespondiert mit der Befürchtung vieler Menschen, im höheren Alter, wenn die eigenen Kräfte nachlassen, keine angemessene Unterstützung zu erhalten. Die Angst davor, im Alter von anderen abhängig zu werden, ist entsprechend weit verbreitet. Auf andere Menschen angewiesen zu sein scheint vielen mit dem Gebot der Eigenverantwortlichkeit und dem Wunsch nach Autonomie nicht vereinbar zu sein. Dabei gehört doch genau dies auch zur menschlichen Existenz, die sich nur in einem Wechselverhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten entfalten kann.

Statt alles daranzusetzen, allen Menschen ein gutes und langes Leben zu ermöglichen, den Traum vom guten und langen Leben also zu füllen, fantasieren sich die einen eine Welt ohne Alterung, Sterben und Tod, während die anderen glauben, wir könnten uns dieses gute und lange Leben für alle gar nicht leisten. Doch materiell sind unsere Gesellschaften dafür längst reich genug. Deshalb müssen wir nun entschlossen den Kurs in diese Richtung einschlagen. Die Fachleute sind sich allerdings einig, dass die Situation bei der Betreuung und Unterstützung von Betagten in der Schweiz zu zunehmender Sorge Anlass gibt. Die Unterstützung im privaten Umfeld ist unter Druck. Die Angebote der öffentlichen Hand sind fragmentiert und starr geregelt. Steuerung und Finanzierung orientieren sich an einem industriellen Paradigma, wonach jede Fachperson genau festgelegte Leistungen zu erbringen hat, und wonach für jede Leistung eine vorgeschriebene Anzahl Minuten festgelegt wird. Entsprechend fühlen sich viele Betroffene eher als Werkstück auf dem Fliessband denn als Mensch. Entsprechend unzufrieden sind denn auch viele Fachleute, die feststellen, dass die in der Ausbildung vermittelten Vorstellungen einer gelingenden Pflege und Betreuung in der Realität nicht zu verwirklichen sind – und die deshalb oft aus dem Beruf ausscheiden. Weil gegenwärtig zudem die Baby-Boomer-Generation ins Rentenalter kommt, droht ein eklatanter Personalmangel. Schliesslich geraten viele ältere Menschen auch finanziell unter Druck: Allein in den letzten fünf Jahren ist der Mittelwert der monatlichen Renten der zweiten Säule um CHF 600.– gesunken – eine alarmierende Zahl.

Mit unserem Buch wollen wir in die Debatte darüber eingreifen, wie (materielle und finanzielle) Unterstützung, Betreuung und Pflege im Alter künftig gestaltet werden sollen. Wir gehen von der Einsicht aus, dass Sorgearbeit (Care) für jede menschliche Gesellschaft überlebenswichtig ist. Keine Gesellschaft kann ohne sie auskommen. Die entscheidende Frage ist, wie diese notwendige Arbeit organisiert wird, wie sie zwischen Geschlechtern, Alters und sozialen Gruppen verteilt wird und welche materielle und immaterielle Anerkennung sie findet. Dabei gilt es, vier gängige Behauptungen zu hinterfragen, die im öffentlichen Diskurs als Blockaden gegen eine Gesellschaft des guten langen Lebens eingesetzt werden.

Behauptung I: ›Bessere Pflege, Betreuung und Alltagsunterstützung? Nicht bezahlbar!‹
Alter – und vor allem das hohe Alter – ist in vielen Fällen mit einem wachsenden Bedarf an Unterstützung und Pflege verbunden. Das wird auch künftig so bleiben. Diesen Bedarf zu decken, ist für eine humane Gesellschaft ein Imperativ. Wird dieser Imperativ verletzt, dann drohen die ethischen Grundlagen unseres Zusammenlebens zu zerfallen. Wir würden hinnehmen, dass eine beträchtliche Zahl von hochbetagten Menschen ins Elend gerät. Wir würden hinnehmen, dass sich gegenüber betagten Menschen Zynismus und Verachtung breit machen. Und wir würden hinnehmen, dass sich die Spaltung in Arm und Reich erheblich vertieft: Wer es sich leisten kann, wird sich eine gute Versorgung im Alter einkaufen – wem das nötige Geld und die nötige private Unterstützung fehlen, der hat das Nachsehen.
So weit will es niemand kommen lassen. Das bedeutet aber, dass sich bezüglich der Unterstützung und Pflege im Alter nicht ›sparen‹ lässt. Irgendjemand muss sich um die Unterstützungs- und Pflegebedürftigen kümmern. So stellt sich letztlich nur die Frage, wie sich diese Versorgung optimal einrichten lässt und wer den Aufwand für die Versorgung leistet respektive die Kosten dafür trägt. Sollen es vor allem die Angehörigen sein, auch wenn diese dabei ausbrennen und krank werden? Welche Aufgaben sollen durch die öffentliche Hand übernommen werden? Wie sollen private und öffentliche Leistungen zusammenspielen?

Behauptung II: ›Private Lösungen sind vorzuziehen – der Staat soll sich so wenig wie möglich einmischen.‹
Nach wie vor tragen die Angehörigen (darunter grossmehrheitlich Frauen) die Hauptlast. Doch diese Angehörigen sind selbst zunehmend unter Druck. Die Wege werden länger, weil Eltern und erwachsene Kinder längst nicht mehr immer in geografischer Nähe wohnen. Wer eigene Kinder zu versorgen hat, dem bleibt neben Beruf und Familie nur noch wenig Zeit für die Betreuung der Eltern. Und die Zeiten, in denen die jüngste Tochter für die Eltern zu sorgen und auf eine eigenständige Lebensgestaltung zu verzichten hatte, sind glücklicherweise vorbei.

Diese Entwicklung lässt sich nicht rückgängig machen. Das Konzept der Subsidiarität (zuerst privat, dann Staat) hilft hier nicht weiter – im Gegenteil. Das verbleibende private Netzwerk droht nämlich zu zerfallen, wenn es zu viele Lasten zu tragen hat. Die Betreuung und Alltagsunterstützung der betagten Eltern bleibt auch heute noch oft an einem der Kinder hängen, was zu hohen Belastungen, Stress und Unzufriedenheit führt. In der Folge zieht sich der Rest der Familie und des Bekanntenkreises so weit wie möglich zurück – aus schlechtem Gewissen, aber auch, weil ›es ja kaum auszuhalten‹ ist. Betreuende und Betreute geraten so in soziale Isolation.
Umso wichtiger ist es, das Paradigma der Subsidiarität zu ersetzen durch das Paradigma der Partnerschaft. Dabei arbeiten öffentliche Versorgungsdienste und das private Umfeld Hand in Hand, um für alle Beteiligten gute Lösungen zu finden. Voraussetzung dafür ist, dass die öffentlichen Dienste für alle in guter Qualität verfügbar sind und einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Wie das geht, wird auf Basis von erfolgreichen Praxen in mehreren Texten in diesem Buch erläutert.

Behauptung III: ›Die Jungen müssen immer mehr für das Wohl der Alten aufkommen – das ist nicht haltbar.‹
Wenn wir dafür sorgen, dass wir alle in Würde und mit der erforderlichen Unterstützung alt werden dürfen, dann ist das gut für alle – auch für die Jungen. Die Jüngeren können bei der Sicherung der Lebenssituation ihrer eigenen Eltern auf die öffentliche Hand und auf entsprechend professionelle Unterstützung rechnen. Und sie dürfen damit rechnen, in ihrem künftigen Alter auch auf gute Unterstützung zählen können. Geben wir eine gute, solidarische Alterssicherung preis, dann zerfällt das soziale Netz. Dann geraten wir in eine ›Kultur‹, in der alle nur noch für sich selbst sorgen – und alle gegen alle kämpfen. Wenn wir nun auch noch erwähnen, auf welche umfassenden, von den Alten aufgebauten Errungenschaften und Infrastrukturen sich die jeweils Jungen abstützen können, und wenn wir erwähnen, in welchem Masse Junge bei der Kinderbetreuung oder im Falle einer Erbschaft von den Eltern profitieren, dann tun wir das im Sinne einer Ergänzung des obigen Argumentes. Klar, die Jungen erhalten viel von den Alten. Doch auch wenn dem nicht so wäre: Gesellschaften müssen ohne Wenn und Aber für diejenigen sorgen, die in Not geraten – ganz besonders, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür mehr als erfüllt sind.

Oft wird auch mit der demografischen Entwicklung argumentiert: Immer weniger Junge müssten für immer mehr Alte aufkommen. Doch auch dieses Argument ist fadenscheinig. Massgebend für die Belastung der wirtschaftlich aktiven Generation ist nämlich die Gesamtzahl aller Menschen, für die sie materiell aufzukommen hat. Kinder und Jugendliche in Ausbildung sind diesbezüglich eine viele grössere ›Last‹ als die alte Generation. Die untenstehende Darstellung des Bundesamtes für Statistik zeigt den entsprechenden Verlauf von 1900 bis 2016. Die Zahl der Kinder pro erwerbstätigem Erwachsenen hat in den letzten Jahrzehnten massiv abgenommen, während die Zahl der Personen im Rentenalter angestiegen ist. Um die effektive demografische Belastung der erwerbstätigen Bevölkerung zu ermitteln müssen die beiden Kurven zusammengezählt werden. Tut man dies, so erkennt man, dass die Belastung seit den 1990er Jahren auf historisch rekordtiefem Niveau stabil ist. Möglicherweise wird sie in den nächsten Jahren leicht ansteigen – eine ›untragbare Last‹ wird sich daraus aber nicht ergeben.

Nun gibt es allerdings tatsächlich ein Sozialwerk – die zweite Säule –, bei dem die jüngere Generation ungebührlich zur Kasse gebeten wird, ohne dass sie sicher sein kann, in ihrem Alter gleichwertige Leistungen zu erhalten. Das ist nicht hinnehmbar, und darin zeigt sich, dass das Pensionskassensystem eine Fehlkonstruktion ist, die nur in Phasen von hochprofitablen Finanzmärkten funktioniert. Doch diese Phasen dürften für lange Zeiträume vorbei sein. Deshalb benötigen wir einen Systemwechsel, wie er unter dem Titel BVG-Mischmodell in diesem Buch vorgeschlagen wird.

Behauptung IV: ›Es braucht bedarfsabhängige Lösungen, keine Giesskannen.‹
Schliesslich wird oft argumentiert, viele Alte würden materiell gut dastehen und könnten selbst für ihr Wohl sorgen. Deshalb müssten Unterstützungsleistungen gezielt jenen zugutekommen, die sie ›wirklich benötigen‹. Die Gewährung von Leistungen nach dem Giesskannenprinzip sei abzulehnen. Wer so argumentiert, verkennt die grossen Vorteile von Giesskannen. Niemand käme auf die Idee, einen Rasen mit einer Pipette zu bewässern, nur weil nicht jeder Grashalm gleich viel Wasser benötigt. Der Aufwand für die PipettenLösung wäre enorm – und er ist es auch bei den Sozialwerken. So müsste in jedem Einzelfall ermittelt werden, ob ein Anrecht auf Leistungen besteht und in welchem Umfang Leistungen erbracht werden sollen. ›Missbrauch‹ wird möglich und folglich müssen Kontrollen her, um dies zu verhindern. Die Folge: Es entsteht ein beträchtlicher Bedarf an Bürokratie sowie die Gefahr von Ungleichbehandlung und von Leerläufen. Und auch die Festlegung der Bezugsgrenzen schafft Probleme: Nach welchen Kriterien wird festgelegt, wer Unterstützungsleistungen erhalten soll? Diese Kriterien werden dann auch rasch zum Spielball der Politik: Will die öffentliche Hand sparen, dann tut sie es oft bei denjenigen, die keine starke Lobby haben – und deshalb kommen gerade die bedarfsabhängigen PipettenLeistungen rasch unter Druck.

Pipetten-Lösungen fördern zudem soziale Abwertungen. Wer auf Unterstützung angewiesen ist, wird unweigerlich als ›schwach‹ markiert, als Person, die ihr Leben nicht aus eigener Kraft meistert. Zudem lassen pauschale Beschuldigungen, die BezügerInnen seien SozialschmarotzerInnen, meist nicht lange auf sich warten. Abgewertet und potenziell diskreditiert werden so etwa all jene alleinerziehenden Personen (überwiegend Frauen) mitsamt ihren Kindern, die ohne Unterstützung der öffentlichen Hand keine Chance auf ein Leben in Würde haben.

Mit Giesskannenlösungen werden all diese Nachteile vermieden. Und sie haben einen weiteren Vorteil: Wenn alle in den Genuss von Giesskannenleistungen (z. B. guten Spitälern oder Spitex-Diensten) kommen, dann sind auch die Reichen an deren Qualität interessiert – also gerade auch die wirtschaftlich und politisch einflussreichen Personen. So entsteht ein politischer Riegel gegen Qualitätsabbau.

Das alles heisst nun nicht, dass wir keine Zusatzeinrichtungen bräuchten für jene, die über besonders wenige Ressourcen verfügen, und denen auch die Giesskanne nicht ausreichend Unterstützung gewährt. Für solche Situationen haben wir in der Schweiz unter anderem die Ergänzungsleistungen, die sich über weite Teile bewährt haben und die auch die Rolle einer bedürfnisorientierten Pflegeversicherung spielen. Daran – so meinen wir – ist tatsächlich festzuhalten. Eine Stärkung der Pipette zulasten der Giesskanne aber wäre unseres Erachtens ein unsozialer und bürokratischer Schildbürgerstreich.

Gliederung des Buches
In unserem Buch vereinen wir eine Vielfalt von AutorInnen aus Wissenschaft, Praxis und Verbänden. Wir bringen auch Beiträge von Menschen, die selbst im hohen Alter oder kurz davor stehen. Sie alle bringen ihr Fach wissen und ihre Erfahrungen mit ein. Dadurch entsteht ein breit gefächertes Bild der Problemstellungen und Lösungsansätze.

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Die im ersten Teil Care und Care Gesellschaft versammelten Texte beschäftigen sich mit Grundfragen im Zusammenhang mit der Stellung der Care-Arbeit in der Gesellschaft. Beat Ringger argumentiert in seinem Beitrag Der Care-Imperativ, eine gute, solidarische Ausgestaltung der Sorgearbeit sei für moderne Gesellschaften unverzichtbar und dürfe deshalb nicht kommerziellen Zwängen untergeordnet werden. Cornelia Heintze untersucht konträre gesellschaftliche Modelle der Organisierung von Care-Arbeit und ihre Implikationen für die Gesellschaft. Sie arbeitet die erheblichen Vorteile einer Alterspolitik heraus, die sich auf starke und solidarisch finanzierte öffentliche Dienste abstützen kann. Ruth Gurny unterzieht in ihrem Artikel Das Thema der Kosten die gängigen Argumente einer genauen Prüfung, wonach gut ausgebaute Care-Dienste nicht zu finanzieren seien. Zwischen Liebe, Pflicht und Überforderung – die Rolle der Angehörigen in der häuslichen Pflege und Betreuung heisst der Beitrag von Barbara Baumeister und Trudi Beck. Riccardo Pardini beleuchtet in seinem Beitrag Die Betreuung im Alter: Die grosse Lücke die Folgen, die entstehen, wenn Pflege – wie in der Schweiz – rein medizinisch verstanden wird und Betreuungsleistungen nicht oder ungenügend finanziert werden.

Der zweite Teil umfasst politische, demografische und soziologische Fragestellungen. Kurt Seifert untersucht im Artikel Kumulation von Ungleichheit im Alter: Verteilung materieller, kultureller, sozialer und korporaler Ressourcen das Ausmass, die Gründe und die Folgen sozialer Ungleichheiten. Der Beitrag von Markus Brandenberger macht deutlich, dass es erforderlich ist, für Menschen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen entsprechend angepasste Angebote im Alter bereitzustellen. Carlo Knöpfel befasst sich mit Angriffen auf die Sozialwerke, wie sie seit etlichen Jahren immer wieder lanciert werden. Der Text Care in der Pflege – ein Auslaufmodell? von Susy Greuter untersucht, ob eine Pflege, die auf reine Handreichungen reduziert wird, überhaupt noch gelingen kann. Elvira Wiegers sowie Adrian Durtschi und Samuel Burri fragen nach den Arbeitsbedingungen des Betreuungs- und Pflegepersonals, und Ruth Gurny erörtert in ihrem Beitrag, inwiefern bei der Altenbetreuung auf die Freiwilligenarbeit ›rüstiger SeniorInnen‹ gezählt werden soll.

Der dritte Teil schliesslich fragt nach guten Praxen und Reformprojekten, die eine Gesellschaft des guten und langen Lebens für alle ermöglichen. Der Teil wird eingeleitet durch einen Text von drei Frauen der Grossmütter Revolution (Marie Louise Barben, Monika Stocker, Heidi Witzig), die ihre Erwartungen an die Phase des Alters und des hohen Alters reflektieren. Cornelia Heintze berichtet, wie sich Norwegen zunehmend erfolgreich auf die Herausforderung Demenz einstellt. Susy Greuter und Beat Ringger befassen sich mit den Konzepten und Lösungen, die im Kanton Waadt implementiert werden und die sie im Vergleich mit anderen Kantonen in weiten Teilen als vorbildlich erachten. »Nurses don’t need management« lautet ein Slogan der Buurtzorg-Pflegeteams, die in Holland seit einigen Jahren für Furore sorgen und deren Arbeitsweise und Erfahrungen von Susy Greuter geschildert werden. Rosmarie Glauser erläutert ein Reformkonzept für eine integrierte Versorgung (die sogenannte Persönliche Gesundheitsstelle), das vor einigen Jahren von mehreren Verbänden gemeinsam spezifisch für die Schweiz entworfen worden ist – ein Modell, das gerade für betagte PatientInnen von grosser Hilfe wäre. Das BVG-Mischmodell wiederum visiert einen Umbau der zweiten Säule an, um diese sicher, generationen- und gendergerecht zu machen. Es wird von Beat Ringger erläutert. Und schliesslich stellt Kurt Seifert das 2018 gegründete Netzwerk Gutes Alter vor. Dieses Netzwerk will den Stein in Rollen bringen für eine breit abgestützte eidgenössische Volksinitiative mit dem Ziel, allen Menschen im Alter eine gute und ganzheitliche Unterstützung, Betreuung, Pflege und medizinische Versorgung zu sichern.

Die HerausgeberInnen danken allen AutorInnen herzlich für ihre Beiträge zu diesem Buch. Ein grosser Dank geht an Heinz Scheidegger und Verena Stettler vom Verlag edition 8 für das Korrektorat und die verlegerischen Arbeiten. Und schliesslich sei darauf hingewiesen, dass dieses Buch finanziell vom Denknetz Schweiz ermöglicht wird. Das Denknetz will mit seinen Aktivitäten all jenen gesellschaftlichen und politischen Kräften Unterstützung bieten, denen die Werte der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität gleichermassen wichtig sind und die dafür eintreten, dass alle Menschen ein Anrecht auf ein gutes Leben haben. Das Denknetz ist ein Thinktank von unten. Es sind die vielen Mitglieder, die seine Arbeit ermöglichen und tragen. Wir würden uns freuen, wenn die LeserInnen dieses Buches, die noch nicht beim Denknetz dabei sind, sich zu einer Mitgliedschaft entschliessen könnten. Mehr Informationen dazu unter www. denknetz.ch.

Ruth Gurny, Beat Ringger, Kurt Seifert

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Inhalt

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Cover

Artikel

Ruth Gurny, Beat Ringger, Kurt Seifert: Einleitung – eine Gesellschaft des guten langen Lebens

Beat Ringger: Der Care-Imperativ

Cornelia Heintze: Konträre gesellschaftliche Modelle der Organisierung von Carearbeit und ihre Implikationen für die Gesellschaft

Ruth Gurny: Das Thema der Kosten

Barbara Baumeister, Trudi Beck: Zwischen Liebe, Pflicht und Überforderung – die Rolle der Angehörigen in der häuslichen Pflege und Betreuung

Riccardo Pardini: Betreuung im Alter: Die grosse Lücke

Kurt Seifert: Kumulation von Ungleichheit im Alter: Verteilung materieller, kultureller, sozialer und korporaler Ressourcen

Markus Brandenberger: Im Alter sind wir alle irgendwie behindert – sind wir das?

Carlo Knöpfel: Die Angriffe auf die Altersvorsorge

Susy Greuter: Care in der Pflege – ein Auslaufmodell?

Elvira Wiegers: Arbeiten in der Langzeitpflege

Adrian Durtschi, Samuel Burri: Arbeiten in Pflege und Betreuung – privat, international und prekär

Ruth Gurny: Rüstige SeniorInnen – ein brach liegendes Potential für die Freiwilligenarbeit?

Marie-Louise Barben, Monika Stocker, Heidi Witzig: Zwischenhalt: Das Alter ist uns teuer

Cornelia Heintze: Herausforderung Demenz: Wie gute Praxis gelingen kann – ein Blick auf Norwegen

Susy Greuter, Beat Ringger: Langzeitpflege und -betreuung in den Kantonen: Vorbild Kanton Waadt

Susy Greuter: Buurtzorg – Ganzheitliche Pflege, made in the Netherlands

Rosmarie Glauser: Die persönliche Gesundheitsstelle – Integrierte Versorgung, die Sinn macht

Beat Ringger: Sicher, generationen- und gendergerecht – Das BVG-Mischmodell

Kurt Seifert: Netzwerk Gutes Alter: Ideen und Anstösse für eine Volksinitiative

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