Editorial

Wer sich derzeit auf die Suche nach Alternativen zum herrschenden Marktradikalismus oder zur kapitalisti-schen Produktionsweise an sich begibt, stösst unweigerlich auf die Debatte um die sogenannten Commons, die oftmals leider unzureichend mit „Gemeingütern“ übersetzt werden (siehe unten).

Spätestens seit die Ökonomin und Autorin von Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action (1990), Elinor Olstrom 2009 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, wird die Debatte auch in einer breiten Öffentlichkeit geführt. Olstrom hatte u.a. am Beispiel von Schweizer Almbauern oder dem Wassersystem von Nepal aufgezeigt, dass sich Nutzer von Gemeinschaftsgütern eigene Regeln setzen, die einen vernünf-tigen und nachhaltigen Umgang mit diesen Gütern gewährleisten. Ihre Beobachtungen wiederlegen das Argument, eine produktive Ökonomie erfordere staatli-che Regulierung und/oder privatwirtschaftliches Unternehmertum.

Im Grunde ist die Debatte mindestens so alt wie der Kapitalismus und die Kritik an ihm. So waren für Marx die Einhegung und Privatisierung, bzw. die sogenannten enclosures von ursprünglich in Gemeindeeigentum befindlichen Ackerweiden (Allmenden) eine zentrale Vorraussetzung für die kapitalistische Vergesellschaftung. Die enclosures setzte massenhaft ArbeiterInnen aus ihren bäuerlichen Verhältnissen frei und trieb sie auf der Suche nach Einkommen in die Manufakturen und entstehenden Fabriken der Städte.

Solche Prozesse der Einhegung, d.h. der Integration gesellschaftlicher Einrichtungen in den Verwertungsbe-reich des Kapitals, sind jedoch kein historisch abgeschlossenes Faktum, sondern ein konstitutives Moment der Kapitalisierung der Gesellschaften, das immer wieder von Neuem ansetzt. Ein Beispiel sind die Priva-tisierungen öffentlicher Strom-, Verkehrs- und Kommunikationsnetze in den 80er Jahren, die den Startschuss einer bis heute anhaltenden massiven Privatisierungswelle öffentlicher Dienste markierten. Allerdings sind – und das zeigt sich auch heute wieder vermehrt – diese Einhegungen nie „vollständig“. Stets hat der Kapitalismus zentrale gesellschaftliche Bereiche in eine Sphäre der Reproduktion gebannt. Zum einen weil Arbeitskräfte zwingend auf verwertungsfreie Schonräume angewiesen sind, um Kraft für neue „Leistung“ zu schöpfen, zum andern weil sich gesellschaftliche Bereiche wie Erziehung, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Sicher-heit nie vollständig marktförmig und profitabel verwer-ten lassen.

Die Tatsache, dass sich mittlerweile viele der Versprechen auf Versorgungseffizienz, Qualitätssteigerungen oder Preissenkungen, die im Zusammenhang mit den Privatisierungen abgegeben worden sind, Luft aufgelöst haben, zugleich aber auch weitere Privatisierungen drohen, erklärt zum Teil die aktuelle Intensität der Commons-Debatte.

Neben diesem eher defensiven Motiv speist sich die Debatte jedoch vor allem auch aus einem progressiven, ja vielfach euphorischen Moment. Um viele Gemeingü-ter herum haben sich in den letzten Jahren weltweit soziale Praxen herausgebildet, die mit der kapitalistischen Logik brechen und dennoch oder gerade deshalb ökonomisch „Erfolge“ erzielen. Als herausstechendes Beispiel hierfür dient die Entwicklung, Produktion und Verteilung freier Software. Sie be-legt, dass nicht profit- und konkurrenzbasierte Formen von Kooperation gute Pro-dukte hervorbringen, die kein Privatei-gentum benötigen und die auch von jenen genutzt werden können, die wenig Geld haben. Entscheidend für dieses Potential ist die stoffliche Besonderheit digi-taler Produkte: Sie sind unendlich verfügbar und unterlaufen damit das Knappheitsgebot, das für die Warenbildung im Kapitalismus unerlässlich ist. Was im Überfluss vorhanden ist, kann nicht verkauft werden, es sei den man stellt die Warenform des Produkts künstlich her, etwa durch Kopierschutz. Patente etc.

Während nun skeptische Stimmen die gesellschaftliche Relevanz der Digital Commons gerade wegen dieser stofflichen Besonderheit relativieren, sehen Optimisten in der sozialen Praxis des digital Commoning generell die Blaupause für eine neue Produktionsweise.

Der vorliegende Infobrief möchte diese Debatte orientierend strukturieren und damit kon-krete Hinweise für eine vertiefende Beschäftigung liefern.

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Inhalt

I Einleitung: Die politische und historische Dimension der Commons-Debatte

II Definition: Was sind Commons?

III Die Debatte um Commons
Freie Softwareproduktion als commonsbasierte Peer-Produktion
Spezialfall oder generalisierbares Modell zum „Commonismus“
Das „Gemeinsame“ in der Theorie des Postoperaismus
Die Debatte um geistiges Eigentum und Urheberrechte
Gemeingüter als Steigbügelhalter des Kapitalismus?

IV Diverses

AutorInnen

Inhalt und Gestaltung: Holger Schatz. Ein besonderer Dank geht an Beat Ringger für Anregungen und Kommentare.

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